Am Wochenende ist in Berlin einiges los: Am Samstag werden dort (und in weiteren sechs deutschen Städten) wohl Hunderttausende gegen das transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) demonstrieren. Und am Sonntag wird der Berliner Senat gewählt. Wiederum steht zu befürchten, dass die Vereinfacher von der Alternative für Deutschland (AfD) einen Wahlerfolg feiern werden. Gibt es einen Zusammenhang zwischen diesen Ereignissen?
In Deutschland wenden sich – folgt man den Vertretern der Anti-TIPP Kampagnenorganisationen – immer mehr Menschen gegen TTIP. Ihre Argumente sind: fehlende Transparenz, die Sorge vor einer Flächenerosion des Verbraucherschutzes und die Furcht vor Investitionsschutz. Keines dieser Argumente ist im Augenblick ernsthaft stichhaltig, denn erstens berichtet die Europäische Kommission sehr ausführlich über die Verhandlungen.
Zweitens ist es keineswegs gesichert, dass europäische Standards höher sind als amerikanische; man denke an Standards in Sofia (Bulgarien, EU) und vergleiche sie mit solchen in New York (USA)! Geplant ist eine Fachdiskussion über gegenseitige Anerkennung mit Kennzeichnungspflichten, wobei bestimmte Güter (genmanipulierte Organismen) und Dienste (der sogenannten öffentlichen Daseinsvorsorge und Kultur) von vornherein ausgenommen wurden.
Die Vertreter von Nicht-Regierungsorganisationen hätten später per Gesetz sogar einen Platz in den Fachgremien über regulatorische Kooperation. Sie könnten intervenieren und vor allem Gesagtes und Beschlossenes nach außen tragen.
Drittens hat die Europäische Kommission längst einen Vorschlag unterbreitet, der die – völlig zu Recht aufgebrachte – Problematik privater Schiedsgerichte aufgreift und einer brauchbaren, wenngleich nicht perfekten Lösung zuführt. Insofern gehen die Verhandlungsführer recht umfassend auf die Kritik ein. Dennoch muss man die Versuche, sogenannte Mega-Regionals zu begründen, nicht mögen. Allerdings wäre es für eine Versachlichung der Diskussion und die Zukunft der Demokratie geboten, auf Argumente einzugehen, wie es die Europäische Kommission praktiziert, und auf Metaphern wie „TTIP tötet“ zu verzichten.
Das wiederum ficht die TTIP-Gegner nicht an, die sich wenig beindruckt in Fundamentalopposition üben. Sie behaupten weiterhin, es ändere sich nichts. Wie eine Studie vom European Centre for Political Economy (ECIPE) zeigt, wurde und wird der Protest gegen TTIP von einem breiten linken (von grün bis kommunistisch) Bündnis orchestriert. Ihre Argumente sind in aller Regel nicht evidenzbasiert, weshalb man sie auch als einen impliziten Angriff auf die Errungenschaften der Aufklärung verstehen muss.
Die Freihandelsabkommen
Ceta ist die Abkürzung für das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada. Es steht für „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ (Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen). Die technischen Verhandlungen begannen 2009, beendet wurden sie 2014. Am 27. Oktober soll Ceta unterzeichnet werden. Ziel des Abkommens ist es, durch den Wegfall von Zöllen und „nichttarifären“ Handelsbeschränkungen wie unterschiedlichen Standards und Normen das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.
Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums ist die EU für Kanada nach den USA der zweitwichtigste Handelspartner. Ceta gilt auch als Blaupause für das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP), das den weltgrößten Wirtschaftsraum mit rund 800 Millionen Verbrauchern schaffen würde. Kritiker sehen durch beide Abkommen unter anderem demokratische Grundprinzipien ausgehöhlt.
TTIP ist ein sich in der Verhandlung befindendes Freihandels- und Investitionsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA. Seit Juli 2013 verhandeln Vertreter beider Regierungen geheim – auch die nationalen Parlamente der EU erhalten keine detaillierten Informationen.
In dem Abkommen geht es um Marktzugänge durch den Abbau von Zöllen. Zudem sollen globale Regeln entwickelt werden – etwa zur Vereinheitlichung von Berufszugängen innerhalb der Handelszone. Auch Gesundheitsstandards und Umweltstandards sollen angeglichen werden.
Als Blaupause für das Abkommen gilt CETA.
Der Europa-Abgeordnete Sven Giegold ist den Daten zufolge eine Leitfigur in den Kampagnen gegen TTIP und nach außen hin offenbar unversöhnlich mit einer Regelung des Welthandels (im persönlichen Gespräch geht er übrigens auf Argumente ein). Die Studie, die auf einem einzigartigen Datensatz basiert, zeigt recht klar, dass die Anti-TTIP-Front gerade keine Bürgerbewegung ist, sondern von Kadern das grünen und linken Milieus in Deutschland gesteuert wird; eine wahrhaft meisterliche Organisation steht dahinter.
Die Befürworter von TTIP aus der Wirtschaft und den bürgerlichen Parteien sind indessen untergetaucht. Für viele Unternehmen – egal ob klein oder groß – scheint es aufgrund der emotional extrem aufgeladenen Debatte um TTIP heute offenbar aus Angst vor einem Reputationsverlust ökonomisch rational, den Mund zu halten und nicht für offene Märkte einzutreten.