Freytags Frage

Macht Steuerwettbewerb arme Bundesländer wirklich ärmer?

25 Jahre nach der Wiedervereinigung wird es Zeit die Finanzbeziehungen zwischen den Bundesländern neu zu organisieren. Ärmere Bundesländer sollten sich nicht länger von Nachteilen neuer Regeln blenden lassen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Die Gewinner und Verlierer des Aufbau Ost
Eine alte Frau verlaesst mit ihrem Hund ein Haus in Duisburg-Bruckhausen, Quelle: dapd
"Marietta-Bar-Areal" im Nordabschnitt des Breiten Weges in Magdeburg wird am Neubau für ein Geschäftshaus gearbeitet. Quelle: ZB
Die quer durch das Ruhrgebiet verlaufende Autobahn A40 ist in Essen kaum befahren. Quelle: dpa
Die Bundesstraße 95 zwischen Chemnitz und Leipzig Quelle: dpa/dpaweb
Ein Bauarbeiter schwingt den Hammer auf der Baustelle für die neue Schwimmhalle des SV Halle Quelle: dpa
Eine Frau geht am 18.02.2012 in Oberhausen an einer Kaufhof Filiale vorbei, die bald geschlossen wird und mit dem Räumungsverkauf wirbt Quelle: dpa
Das Bürogebäude in Mülheim an der Ruhr, in dem die Firma Globudent Quelle: dpa/dpaweb

Passend zum Tag der Einheit am heutigen 3. Oktober ist die Diskussion um die Neuregelung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern einerseits und zwischen den Ländern andrerseits wieder aufgeflammt. Gut 25 Jahre nach der Wiedervereinigung wird es wirklich Zeit, diese Beziehungen neu zu regeln. Denn es gibt viele Ungereimtheiten und Probleme. Nicht nur der Solidaritätszuschlag fällt darunter, sondern auch die Möglichkeiten der Länder, ihre Finanzen selber zu gestalten, müssen gesichtet und überarbeitet werden.

Da kommt der Vorschlag, den Ländern mehr Autonomie bei der Einkommensteuer zu geben, wie gerufen. Gegenwärtig wird die Variante diskutiert, dass die Bundesländer um bis zu drei Prozentpunkte nach oben oder unten vom gültigen Steuertarif abweichen können. Dies ist im Grundsatz eine sehr gute Idee.

- Denn erstens entspricht dies tatsächlich dem Konzept von Föderalismus. Entscheidungen werden auf derjenigen Ebene gefällt, wo sie ihre Wirkung entfalten. Die Steuerpolitik ist direkt wirksam, weswegen die Bürger direkt mitentscheiden sollten.

- Zweitens kann der dadurch entstehende Steuerwettbewerb den Bürgern nur guttun. Denn wenn die Landesregierungen die Steuerhoheit (zumindest im Ansatz) haben, können sie mithilfe der Steuerpolitik Anreize zur Schaffung neuer Arbeitsplätze sichern. Es ist nämlich keineswegs ausgemacht, dass arme Bundesländer dann automatisch hohe Steuersätze haben müssen, während die reichen Bundesländer ihre Steuern senken können, wie es manche Kritiker des Plans sofort erwartet haben.

Eckdaten des Bundeshaushalts 2014 bis 2018

- Ganz im Gegenteil, das herrschende System bestraft effektive Steuerpolitik ja geradezu. Es zeigt sich in empirischen Studien, dass Bundesländer, die entweder viel in den Länderfinanzausgleich einzahlen oder viel herausholen, nur wenig Anreiz verspüren, die Einkommensteuer auch wirklich effektiv einzufordern. Denn ein Euro mehr an Steuereinnahmen bedeuten beinahe einen Euro mehr in den Finanzausgleich bzw. einen Euro weniger daraus, je nach Status als Geber- bzw. Nehmerland.

- Statt nur auf die Einnahmen zu blicken, müssen die Bundesländer dann auch die Ausgaben in den Blick nehmen. Solange genug Geld fließt und Löcher automatisch von Dritten gestopft werden, wird Geld verschwendet – dies ist nur allzu menschlich. Ich vertrete die These, dass bei Steuerhoheit der Bundesländer Berlin viel besser dastehen würde; das BER-Desaster wäre vermutlich nicht geschehen. Solange die Verluste den Schwaben und Bayern „aufgedrückt“ werden können, dürfte der Senat nur bedingtes Interesse an Kostenbewusstsein haben.

"Race to the bottom"

- Ein interessanter Nebenaspekt liegt darin, dass die Kritiker des Steuerwettbewerbs normalerweise ein "Race to the bottom", also einen Steuersenkungswettbewerb erwarten – hier liegt ihnen sozusagen das Gegenteil auf dem Magen. Realistisch ist es wohl, ein Unbehagen mit dem Konzept des Wettbewerbs zu vermuten. Denn Wettbewerb macht das Leben der Landespolitiker deutlich ungemütlicher. Verschwendung muss zu Steuererhöhungen und Kritik, eventuell sogar Abwanderung oder Abwahl  führen. Aus Sicht der Bürger eher ein Vorteil!

Diese Unterschiede herrschen zwischen Ost und West
Aktuelle WirtschaftsdynamikDie ersten sechs Monate 2013 liefen für West und Ost gleichermaßen schlecht: Die Wirtschaftsleistung schrumpfte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die neuen Bundesländer erreichten ein Minus von einem Prozent; der Westen kam etwas glimpflicher davon (minus 0,3 Prozent). Berlin hingegen ist eine echte Überraschung gelungen: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Stadtstaats wuchs um 0,5 Prozent und steht damit an der Spitze des Ländervergleichs. 2012 hat das BIP in Ostdeutschland um 2,2 Prozent, in Westdeutschland um 1,9 Prozent zugelegt. Quelle: dpa
JobsIm August waren in Westdeutschland etwa 2,1 Millionen Menschen arbeitslos, im Osten knapp 840.000. Die Arbeitslosenquote lag bei 6,1 Prozent beziehungsweise 9,9 Prozent. 2005, dem bislang schlimmsten Jahr auf dem Arbeitsmarkt nach der Wiedervereinigung, sah es in beiden Teilen des Landes ganz anders aus: 20,6 Prozent betrug die Arbeitslosenquote in Ostdeutschland, im Westen lag sie bei 11 Prozent. Quelle: BA Quelle: dpa
DemografieDer Osten schrumpft, der Westen wächst. In den neuen Ländern ist die Einwohnerzahl seit 1991 von etwa 18 Millionen auf 16,3 Millionen gesunken, im Westen hingegen von fast 62 Millionen auf 65,6 Millionen gestiegen. Quelle: Destatis. Quelle: dpa
EhescheidungenWestdeutsche lassen sich häufiger scheiden. Pro 10.000 Einwohner wurden im Westen 2011 fast 25 Ehen geschieden, das sind etwa 30 Prozent mehr als 1992. Im Osten stieg im gleichen Zeitraum die Quote zwar um stolze 135 Prozent – absolut allerdings nur auf etwa 15 Scheidungen. Quelle: Destatis. Quelle: dpa
RentenWestdeutsche haben im Alter immer noch mehr. Die sogenannte Standardrente, die ein Rentner erhält, nachdem er bei einem Durchschnittslohn 45 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt hat, beträgt 2013 im Westen etwa 1137 Euro, im Osten 1040 Euro. 1992 war der Unterschied deutlicher: Westdeutsche erhielten 895 Euro, Ostdeutsche nur 455 Euro. Quelle: BMAS. Quelle: dpa
FrauenerwerbstätigkeitFrauen in Ost und West haben sich bei der Erwerbstätigkeit angenähert. Waren 1991 in den neuen Bundesländern noch fast 90 Prozent der Frauen zwischen 35 und 40 Jahren berufstätig, sind es mittlerweile nur noch rund 83 Prozent. Die Quote berufstätiger Frauen in den alten Bundesländern erhöhte sich von 70 auf 75 Prozent. Quelle: Universität Duisburg Essen. Quelle: dapd
Verfügbares EinkommenWährend in Ostdeutschland das Haushaltseinkommen pro Kopf von 1991 bis 2011 um etwa 46 Prozent stieg, wuchs es in Westdeutschland um satte 68 Prozent. Ein Ostdeutscher hat heute im, Schnitt etwa 17.000 Euro zur Verfügung, ein Westdeutscher fast 20.000. Quelle: Bundeswirtschaftsministerium. Quelle: dpa

- Aber auch die Politik kann ganz erheblich profieren. Denn nun sind Kreativität und innovative Ideen gefragt. Geld verschwenden kann jeder – aber mit geringen Mitteln gute Politik zu machen, ist eine Kunst. Man darf erwarten, dass Steuerwettbewerb und Steuerautonomie wieder mehr talentierte Politiker anzieht und Politik insgesamt wieder an Attraktivität sowohl bei potentiellen Politikern als auch bei Wählern gewinnen würde.

Insgesamt überwiegen die positiven Effekte eines Steuerwettbewerbs.

Allerdings müssen die Voraussetzungen geschaffen werden. Das System des Länderfinanzausgleichs muss für den Steuerwettbewerb fit gemacht werden; eine echte Herausforderung! Die Chancen dafür scheinen besser als je zuvor zu sein, denn die Schuldenbremse steht fest, und die Länder müssen darauf reagieren.

Allerdings drängt die Zeit bis 2019.

Überdies wird offenbar, dass Deutschland zwar noch gut dasteht, aber vermutlich wie ganz Europa in unruhiges Fahrwasser geraten wird. Es sieht ja ganz danach aus, als ob der Aufschwung nach Weltwirtschafts- und Eurokrise auch hierzulande langsam zu einem Ende kommt. Es wird noch eine Weile dauern, bis die Europäische Währungsunion ihre Haushaltsprobleme löst.

Da hilft es, wenigstens innerhalb Deutschlands eine zeitgemäße und problemgerechte Finanzordnung zu besitzen. Steuerautonomie auf Länderebene mit geringeren Möglichkeiten, die Probleme zu sozialisieren, ist ein richtiger Schritt hin zur verantwortungsbewussten öffentlichen Haushaltspolitik. Zu lange hat der heute bestehende Finanzausgleich die Verschwendung belohnt und Sparsamkeit bestraft.

Es wird Zeit, dies zu ändern. Der Vorschlag des Bundesfinanzministers ist deshalb sehr zu befürworten. Gerade für die ärmeren Bundesländer bietet er viel Potential; sie sollten sich nicht von den potentiellen Nachteilen täuschen lassen. Bitte dranbleiben!

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%