Freytags-Frage

Kann Sozialismus demokratisch sein?

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Schritte in eine Diktatur

Die meisten Sozialisten starten ihre politische Karriere vermutlich als Idealisten; Churchill hat es auf den Punkt gebracht: „Wer in der Jugend kein Kommunist war, hat kein Herz, ...“ sagte er einmal. Allerdings ist der zweite Teil des Satzes nicht so schmeichelhaft: „…wer es im Alter noch ist, hat keinen Verstand“.

Die besagten Idealisten beobachten Elend und folgern, dass es einen Mechanismus geben muss, der die Ärmsten besser stellt. Das Ziel ist es, die Menschen zu beglücken und aus dem Elend zu befreien. Dem Markt als Instrument wird nicht getraut, weil die Motive der Marktteilnehmer nicht unbedingt edel sind.

Also muss eine staatliche Organisation die Beseitigung des Elends übernehmen. Es muss zunächst umverteilt werden. Reiche werden enteignet, und staatliches Vermögen wird gebildet. Die ersten, die nicht glücklich sind, sind die derart Enteigneten. Sollten sie nicht nachgeben, müssen sie diszipliniert, ausgebürgert oder eingesperrt werden. Auch kann ihnen keine politische Plattform eingeräumt werden, ohne dass dem Sozialismus das Ende droht. Demokratie muss also ein wenig eingeschränkt werden. Dies ist der erste Schritt in die Diktatur.

Wenn aus Privateigentum Kollektiveigentum geworden ist, entsteht ein weiteres Problem. Niemand ist mehr zuständig; die Produktivität des Kapitaleinsatzes sinkt; Investitionen, selbst Ersatzinvestitionen, unterbleiben. Kreative Köpfe scheitern in dieser Situation, weil sie nicht die Zuständigkeit und die Eigentumsrechte an den Produktionsmitteln, mit denen sie arbeiten, haben. Sie werden aufmüpfig. Die zweite Gruppe, die ausgebürgert oder eingesperrt werden muss, ist entstanden. Ihnen eine Stimme zu geben, ist noch gefährlicher als im Falle der Enteigneten.

Drittens sinkt wegen der sinkenden Produktivität und des Nichtstuns der Kreativen das Einkommen aller. Die allgemeine Unzufriedenheit steigt. Würde jetzt abgestimmt, stünde das gesamte Projekt auf der Kippe. Deshalb kann es keine Meinungsfreiheit und kein Mehrparteiensystem geben.

Damit ist das Problem skizziert – Andersdenkende können nicht akzeptiert werden. Denn Andersdenkende gefährden das ganze Regime. Insofern ist es auch nicht angemessen, dass Sozialisten sich als die Vertreter der Freiheit – vor allem nach Rosa Luxemburg der Freiheit Andersdenkender – begreifen.

Das Gegenteil ist der Fall. Sie müssen die Freiheit der Andersdenkenden einschränken, dies können sie nur als Diktatoren; ansonsten werden sie vermutlich schnell abgewählt. Wenn sie einmal Diktatoren sind, ist es pure Notwendigkeit, dass Sozialisten auch Diktatoren bleiben.

Zur Absicherung ihrer Macht brauchen sie immer mehr Repressionsinstrumente, immer bessere Staatssicherheitsapparate, immer williger Folterknechte; bis das Regime irgendwann so ausgehöhlt ist, dass es zusammenbricht.

Demokratie und Sozialismus vertragen sich also nicht, das gilt – wie gezeigt – schon rein theoretisch und ist in der gelebten Praxis – im real existierenden Sozialismus – das eindeutige Ergebnis.

Das sollten alle diejenigen bedenken, die aus welchen Motiven auch immer davon träumen, ein kollektivistisches Utopia zu bauen; und natürlich sollte es alle diejenigen, die an ihrer eigenen Freiheit und der ihrer Kinder interessiert sind, dazu motivieren, dies zu verhindern. Denn der Sozialismus würde kein menschlicheres System, sondern eine Hölle werden!

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