Freytags-Frage
Ludwig Erhard. Quelle: dpa

Soziale Markwirtschaft - war da was?

In Deutschland herrscht die Soziale Marktwirtschaft über die Ökonomie. Doch in der Praxis entfernt sich die Republik vom Ideal. Was ist von der Idee noch übrig geblieben?

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Die Christlich Demokratische Union (CDU) bezeichnet sich gerne als Partei Ludwig Erhards, des ersten deutschen Wirtschaftsministers der Nachkriegszeit. In Erhards Amtszeit wurden die wirtschaftspolitischen Weichen für die Soziale Marktwirtschaft gestellt. Der Begriff selber stammt aber von einem anderen CDU-Mitglied, dem Staatssekretär und Kölner Professor Alfred Müller-Armack.

Erhard hat vor genau sechzig Jahren sein bekanntestes Buch „Wohlstand für alle“ veröffentlicht. 20 Jahre später starb Erhard. Zeit also, zu prüfen, ob das Modell der Sozialen Marktwirtschaft noch Anwendung findet, zumal die Bundestagswahlen vor der Tür stehen. Für eine tiefere Diskussion des Erhard‘schen Werkes sei auf die Website der Ludwig-Erhard-Stiftung verwiesen.

Zur Erinnerung auch für die Politiker der noch amtierenden sogenannten Großen Koalition: Soziale Marktwirtschaft bedeutet, dass der Staat erstens die Rahmenbedingungen für den wettbewerblichen Austausch auf Märkten schafft und dabei einigen Grundsätzen folgt. Die wichtigsten sind: stabile Währung; private Eigentums- und Verfügungsrechte; Übereinstimmung von Kompetenz und Haftung, das heißt Unternehmen ernten die Früchte ihres Handelns genauso, wie sie die Verluste tragen; Gewerbefreiheit und Offenheit von Märkten; und schließlich eine über die Zeit konstante Wirtschaftspolitik.

von Bert Losse, Konrad Fischer

Zweitens sorgt der Staat für den sozialen Ausgleich. Am besten schon im Vorhinein durch eine umfassende und nachhaltige Bildungspolitik und weiterhin im Nachhinein durch gerechte und zielgenaue Sozialpolitik. Dabei sollte die Zielgröße nicht darin bestehen, den Anteil der Sozialausgaben im Staatshaushalt zu maximieren, sondern die nachsorgenden Ausgaben zu minimieren.

Hinzu kommt drittens eine Wettbewerbspolitik, die Monopole und die Ausbeutung marktbeherrschender Stellung verhindert und dort regulierend eingreift, wo Marktversagen besteht. Das ist der Fall bei positiven und negativen Externalitäten (positiv: öffentliche Güter wie etwa die Verteidigung; negativ: Umweltverschmutzung), bei Informationsasymmetrien (z.B. im Versicherungsmarkt) und bei Unteilbarkeiten durch hohe Fixkosten (zumeist bei Netzwerkindustrien).

In der streng interpretierten Sozialen Marktwirtschaft ist der Staat sozusagen der Schiedsrichter, der Regeln für die Privaten, aber auch sich selber setzt, diese durchsetzt und sich als Akteur zurückhält. Er betreibt im Idealfall keine eigenen Unternehmen. Eingriffe beziehen sich ausschließlich auf soziale Probleme, Behinderung des Wettbewerbs durch Private und Marktversagen.

Soweit die theoretische Konzeption. Was ist davon noch da? Zunächst fällt auf, dass viele deutsche Ökonomen so tun, als sei das Modell der Sozialen Marktwirtschaft ein Sonderweg für das Deutschland der 1950er Jahre und von daher obsolet; als bräuchte man keine Regeln mehr, die politische Akteure und organisierte Interessen begrenzen.

Gerade in Zeiten des schnellen Wandels und globaler Märkte brauchen Unternehmen und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Leitplanken und Sicherheit, die sich nicht auf einen speziellen Arbeitsplatz, aber auf die langfristigen Beschäftigungsmöglichkeiten beziehen muss. Im Strukturwandel werden immer wieder Arbeitsplätze obsolet; dann muss es schnell neue Beschäftigungsmöglichkeiten in bestehenden und neuen Unternehmen geben. Insofern kann man die Soziale Marktwirtschaft auch sehr gut als angebotsorientierte Wirtschafts- und Sozialpolitik betrachten, was die These vom deutschen Sonderweg widerlegt.

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