Freytags-Frage

Wann beginnt endlich der Wahlkampf?

Sechs Wochen vor der Bundestagswahl liegt die Republik im Tiefschlaf. Die Parteien drücken sich um drängende Themen, Wahlkampf findet kaum statt. Dabei gibt es genügend Probleme, die endlich diskutiert werden müssen.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz. Quelle: dpa

In sechs Wochen wird gewählt, aber in der Öffentlichkeit findet das Ereignis kaum statt. Die Parteien selber positionieren sich bislang inhaltlich kaum. Die Christlich Demokratische Union (CDU) will offenbar am liebsten über gar nichts debattieren, die Sozialdemokraten (SPD) scheinen es nicht zu können, die Linkspartei fordert alles für alle umsonst, die Grünen wirken gespalten über die Dieselaffäre und Integrationsprobleme und die Alternative für Deutschland (AfD) sieht scheinbar die Ausländer als Ursache aller Probleme. Wenigstens die Freien Demokraten (FDP) machen sich für individuelle Verantwortung und Selbstbestimmung stark. Vielmehr ist aber auch bei ihnen nicht zu finden.

Positiv ist dagegen, dass die Tonlage des bisherigen Wahlkampfes vergleichsweise moderat ist und persönliche Angriffe weitgehend unterbleiben. Die Parteien sind sich den Risiken eines polemisch und unsachlich geführten Streits offenbar bewusst. Auch wäre es zu viel erwartet, dass sich politische Parteien im Wahlkampf auf klare Positionen zu allen Themen festlegen lassen. Dennoch ist es notwendig, die relevanten Themen zu identifizieren. Und das gilt auch dann, wenn sie vornehmlich von Populisten aufgebracht werden. Der Umstand, dass Frau Petry ein Thema aufwirft, macht es nicht per se irrelevant. Die Verweigerung der Auseinandersetzung mit Populisten ist darüber hinaus mindestens feige.

Trotz der gerade recht guten wirtschaftlichen Lage mit Blick auf beispielsweise Beschäftigung und Steuereinnahmen gibt es genügend Themen, deren Vernachlässigung uns in der Zukunft teuer zu stehen kommen würde.

  • Ganz oben steht die Bildungspolitik. Erstens sollte frühkindliche Bildung gestärkt werden, gerade auch mit hinsichtlich der vielen Zuwanderer und Geflüchteten, die besser integriert werden müssen. Die Hochschulen werden zweitens von jungen Leuten überlaufen, von den nicht alle die richtige Wahl treffen. Gleichzeitig suchen Unternehmen händeringend Auszubildende. Diese Dissonanz trägt langfristig zu ökonomischen und sozialen Problemen bei.
  • Das führt direkt zur Integrations- und Migrationspolitik. Noch immer weigern sich viele Politiker und Bürger anzuerkennen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Das erfordert erstens eine klare Vorstellung darüber, wen wir als Neubürger aufnehmen möchten (auch wenn dies teilweise unangenehm sein mag) und wie der Auswahlmechanismus funktionieren soll. Zweitens müssen Zugwanderte – ob geflüchtete oder regulär eingewanderte Menschen – angemessen integriert werden. Integration ist dabei eine Hol- und eine Bringschuld zugleich, für deren Einlösung es klarer Regeln bedarf. Diese müssen im öffentlichen Raum diskutiert werden – trotz und gerade wegen unqualifizierter Zwischenrufe einer zweifelhaften Alternative.
  • Ein ständiges Manko ist der traurige Zustand öffentlicher Infrastruktur. Seit über einem Jahrzehnt sind die öffentlichen Nettoinvestitionen negativ, trotz Steuereinahmen auf Rekordniveau. Dieses Versäumnis wird von internationalen Organisationen und anderen Beobachtern schon lange angemahnt. Dabei wird es darum gehen, steigende Investitionen so zu finanzieren, dass die Bürger nicht noch stärker belastet werden. Das erfordert eine – gelegentlich auch unangenehme – Prioritätensetzung.
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