Freytags-Frage

Warum hat die CDU keine Lust mehr auf Wirtschaft?

Seit über einem Jahrzehnt führt die Angela Merkel die Bundesregierung an. Doch die Wirtschaftskompetenz ihrer Partei lässt die CDU-Chefin links liegen. Sechs Gründe, warum die CDU keine Kompetenz mehr ausstrahlt.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beim CDU-Wirtschaftstag in Berlin. Quelle: dpa

In dieser Woche fand in Berlin der Wirtschaftstag der CDU statt, der wie immer vom Wirtschaftsrat der Christdemokraten organisiert wurde. Während die Veranstaltungen dieses Gremiums noch in den 1990er Jahren stark wahrgenommen wurden, weil sie einer breiten politischen Öffentlichkeit als ordnungspolitischer Kompass galt, kann man heutzutage so gut wie nichts darüber lesen oder hören; und dies obwohl die Bundeskanzlerin, der Bundesfinanzminister, der Chef der Eurogruppe und der frühere französische Präsident anwesend waren und auf der Tagung sprachen.

Die Presse hat ein feines Gespür. Denn die Bundesregierung, insbesondere der christdemokratische Koalitionspartner, ignoriert die wirtschaftspolitischen Herausforderungen seit Jahren – läuft doch, oder?
Weder die ökonomischen Herausforderungen der Flüchtlingskrise noch das sich abzeichnende Rentenproblem, weder die handelspolitischen Probleme (Stichworte TTIP oder Doha-Runde) noch die geldpolitische Zeitbombe, weder die verqueren arbeitsmarktpolitischen Vorstellungen der Sozialdemokraten noch die Verzerrungen auf dem Wohnungsmarkt durch die Mietpreisbremse scheinen die Bundesregierung und ihre Chefin in irgendeiner Form zu beeindrucken.

Die CDU hat sich längst davon verabschiedet, Wirtschaftskompetenz auszustrahlen. Das überlässt man im Bundestag den Sozialdemokraten und Grünen; dort ist allerdings auch nicht viel zu holen; zumeist geht es darum, die Risiken des Lebens klein zu halten. Chancen spielen im Denken dieser Parteien nur eine untergeordnete Rolle. Die FDP scheint als die einzige Partei mit Wirtschaftskompetenz übrig geblieben zu sein, auch wenn sie es oftmals gut versteckt. Damit nicht genug: In manchen wirtschaftspolitischen Themen hat sogar die Alternative für Deutschland überzeugendere Vorstellungen veröffentlicht als die CDU. Und von Ordnungspolitik spricht Frau Wagenknecht häufiger als die Bundeskanzlerin.

Dabei versteht Frau Merkel ziemlich genau, welche enorme Rolle die wirtschaftliche Ordnung für das wirtschaftliche Wohlergehen breiter Schichten und insbesondere potentieller Wähler der Volksparteien besitzt. Es dürfte ihr auch nicht entgangen sein, dass diese Ordnung gerade von vielen Seiten (Geldpolitik, Trennung von Kompetenz und Haftung in der Eurozone, Anti-TTIP-Bewegung, Arbeitsmarktregulierungen, Preisobergrenzen etc.) massiv ausgehöhlt wird. Daran hat die CDU übrigens eine gehörige Mitschuld, führt sie doch seit 2005 die Bundesregierung.

Ursachenforschung zur mangelnden Wirtschaftskompetenz

Der Wirtschaftsrat hat sich in diesem Jahr – anders als früher – mit seiner Kritik an der großkoalitionären Wirtschaftspolitik zurückgehalten. Denn offenbar können sich diejenigen, die zum Wirtschaftsflügel gehören bzw. im Wirtschaftsrat aktiv sind, kein Gehör verschaffen.
Dort sammeln sich dann auch zunehmend Frustrierte und Verzweifelte, die schon nach der FDP rufen. Oder – wie jetzt in Berlin – hält man sich zurück, wahrscheinlich um wenigstens den Zugang zu den Führungskräften der Union nicht völlig zu verlieren. Das wird aber kaum reichen, um die Bedeutungslosigkeit der Wirtschaftspolitik in der CDU des Jahres 2016 zu beenden.

Da stellt sich die Frage nach den Ursachen dieser Ignoranz und dieser Missachtung fundmentaler politischer Herausforderungen der Zukunft durch die größte Partei mit der bei weitem überzeugendsten politischen Persönlichkeit an ihrer Spitze.

  • Zum ersten mag es damit zusammenhängen, dass Ordnungspolitik nicht viele Spielräume für Regierungshandeln gibt. Ein aktiver Politiker möchte sicher nicht zum Halbautomaten degradiert sein und braucht dafür Spielraum. Auf diese Weise wird eine wirtschaftspolitische Ordnung systematisch ausgehöhlt und müsste deshalb regelmäßig erneuert werden.

  • Zweitens ist das ökonomische Grundverständnis der Bevölkerung so gering, dass man mit komplexen Themen in der Öffentlichkeit nicht punkten kann. Wer auf die mit der Mietpreisbremse verbundenen potentiellen Feedback-Prozesse hinweist, dürfte damit wenig Zuspruch ernten; dann doch lieber die Karten Moral, Gerechtigkeit und soziale Belange spielen. Dass wirtschaftspolitischer Unsinn auch unmoralisch ist, wird vielfach ausgeblendet.

  • Drittens trägt vermutlich die neue Diskussionskultur im Internet in Verbindung mit den ständigen politischen Umfragen dazu bei. Schnelle Antworten auf aufkommende Probleme sorgen für ständige Beruhigung der Öffentlichkeit. Langfristig orientierte Maßnahmen können da nicht attraktiv sein. Wer erfolgreich „Government by polls“ betreiben will, darf keinen langen Atem haben. Effektive Wirtschaftspolitik ist jedoch Langfristpolitik.

  • Dazu passt viertens, dass wirtschaftspolitische Fehler und Unterlassungen in der Gegenwart sich oftmals erst sehr viel später negativ auswirken. Da es heute wirtschaftlich gut zu laufen scheint, sind die Menschen zufrieden und wollen nicht gestört werden.

  • Fünftens hat sich die CDU mit großem Erfolg den Sozialdemokraten angenähert und ihnen die Wählerschaft abgejagt. Damit verschiebt sich sich natürlich auch der Kompass in wirtschaftspolitischer Hinsicht – weg von der Ordnungspolitik, hin zur ad-hocerie.

  • Schließlich ist die Konkurrenz wie schon erwähnt so schwach, dass das Thema einfach ignoriert werden kann

Insofern muss man sich nicht wundern, dass die Wirtschaftspolitik in der CDU nicht mehr zuhause ist. Sie tummelt sich lieber auf den populären Feldern, die keine wirtschaftspolitische Kompetenz erfordern. Politisch ist dies sehr erfolgreich; aber wehe, die wirtschaftliche Lage verschlechtert sich. Dann dürften sich diejenigen mit den ganz einfachen Lösungen leichter tun als eine entkernte CDU. Sie sollte lieber langsam anfangen umzusteuern.

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