Freytags-Frage

Warum riskiert der Wirtschaftsminister die Zukunft unserer Kinder?

Sigmar Gabriel hat das Freihandelsabkommen mit den USA aufgegeben. Und in der Rentenpolitik ist ihm Nachhaltigkeit egal. Warum setzt der Wirtschaftsminister die Zukunft der nachfolgenden Generation aufs Spiel?

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Bundeswirtschafts-minister Sigmar Gabriel (SPD) Quelle: dpa

Der berühmte amerikanische Komiker Graucho Marx hat einmal gesagt “Why should I care about posterity? What's posterity ever done for me?”. Das ist in der Tat witzig, solange es ein Scherz auf einer Cocktail-Party bleibt. Wenn aber der Wirtschaftsminister einer ausgewiesenen Exportnation Aussagen trifft, die genau diesen Tenor versprühen, ist es etwas ganz anderes.

In welcher Weise richtet sich Minister Gabriel gegen die Jugend? An zwei Aussagen kann diese Tendenz festgemacht werden. Erstens erklärte der Minister die Verhandlungen zum transatlantischen Freihandels und Investitionsabkommen (TTIP) am vergangenen Wochenende bereits vorzeitig für gescheitert. Zum zweiten arbeitet er maßgeblich mit an einer eklatanten Schwächung des Rentensystems, indem er seiner Parteifreundin und Arbeitsministerin Frau Nahles nicht klar macht, dass weitere Rentengeschenke nicht nachhaltig sind, und gleichzeitig die Bundesbank polternd dafür beschimpft, dass sie das Rentenalter im Moment für zu niedrig hält.

Beide Aussagen kann man so interpretieren, dass der Minister sich nicht um die Zukunftsfähigkeit Deutschlands beziehungsweise Europas kehrt. Denn sowohl ein Scheitern von TTIP als auch eine weitere Verschleppung einer demographisch gerechtfertigten Erhöhung des Renteneinstiegsalters werde dauerhaft die heutige Jugend benachteiligen.

  • Mit Blick auf transatlantischen Freihandel muss klar werden, dass die wesentliche Funktion von TTIP nicht darin bestehen kann, einige Prozentpunkte mehr Wirtschaftswachstum, einige zehntausende Arbeitsplätze und etwas höheren Gewinn für die Unternehmen zu erzielen. Seine Bedeutung erhält TTIP erstens dadurch, dass sein Abschluss ein Zeichen an die Welt ist, dass diejenigen Länder, die den eigenen Wohlstand ihrer Offenheit sowie ihrer Bereitschaft zum Wettbewerb und zur Marktwirtschaft verdanken, auch weiterhin an offenen Grenzen und internationaler Arbeitsteilung interessiert sind. Scheitert TTIP hingegen, ist dies ein Sieg der Vereinfacher und Nationalisten, der zu Lasten der nächsten Generation gehen wird. Ein Land wie Deutschland kann nur in einer offenen Welt erfolgreich sein und Wohlstand genießen. Zweitens ermöglicht TTIP es der Europäischen Union, auch weiterhin die Regeln im Welthandel mitzugestalten. Wenn TTIP nicht zustande käme, wäre es unwahrscheinlich, dass die hohen Standards, die wir gewohnt sind, sich in der Welt durchsetzen werden. Wahrscheinlich wird es ohne TTIP weniger Verbraucherschutz als mit TTIP geben. Insofern kommt die Erklärung des Ministers einer Selbstaufgabe gleich; anstatt für ein gutes Abkommen (mit hohen Standards, Regulierungshoheit bei uns und einem adäquaten – möglichst multilateralen – Investitionsschutz zu kämpfen, gibt der Minister auf.
  • Ähnlich schwach sind die gegenwärtige Rentenpolitik und die Antwort auf Vorschläge zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Dabei kann sich jeder ausrechnen, dass in einer alternden und schrumpfenden Gesellschaft ein konstantes – oder gar gesunkenes Rentenalter – nur dadurch ermöglicht werden kann, dass entweder die Rentenauszahlungen an die Alten sinken (mit der Folge zunehmender Altersarmut) oder aber die Beiträge für die Jungen steigen. Im Moment scheint die große Koalition entschlossen zu sein, letzteres durchzusetzen.  Da muss gerade der Wirtschaftsminister, dessen Aufgabe einmal darin bestand, ordnungspolitische Konsistenz von Politikmaßnahmen zu prüfen, eigentlich eingreifen. Die ministerielle Einlassung, der Vorschlag der Bundesbank zur Erhöhung der Lebensarbeitszeit sei bekloppt, entspricht dieser Vorgabe wohl nicht. Vielmehr müsste der Minister für diese Sicht in der Bevölkerung werben und den Leuten die oben beschriebene Logik erklären.

Das Päppeln der Rentner

Vor diesem Hintergrund sind beide Vorstöße als nicht nachhaltig im ökonomischen und sozialen Sinne zu bezeichnen; von daher richten sie sich – ob gewollt oder ungewollt – gegen die Jugend. Was treibt den Minister dazu, die Zukunft so leichtfertig aufs Spiel zu setzen?

Die Rentenversprechen - Was die Parteien vorhaben

Nun könnte man es sich leicht machen und argumentieren, der Minister sei eben kein Fachmann und wüsste es nicht besser. Er verstünde halt weder die Logik der offenen Märkte noch die der Alterssicherung. Das ist natürlich zu einfach und obendrein arrogant. Selbst wenn der Minister kein Fachmann ist, dürfte die ökonomische Logik für ihn keine Geheimwissenschaft darstellen. Außerdem verfügt er über ausgezeichnete Fachleute in seinem Ministerium, die zu befragen ihm möglich sein sollte, wenn er denn wollte. Sei es wie es ist, diese Erklärung dürfte nicht richtig sein.

Wahlkampf ist da schon eher ein Thema; es wirkt so, als wolle der Minister die linken Sozialdemokraten für sich einnehmen und extreme – nicht unbedingt linke – Positionen übernehmen. Das Päppeln der Rentner betreiben die Sozialdemokraten (SPD) schon länger, auf die Angstkarte bei TTIP setzt sie erst seit einigen Monaten.

Besonders überzeugend ist der Vorstoß nicht, zumal der Minister ja das Freihandelsabkommen mit CETA verteidigt, vermutlich weil er glaubt, der Widerstand dagegen sei geringer. Das scheint nicht zu stimmen: Die Vereinfacher von Foodwatch, Pegida, Campact, der Linkspartei, den Grünen und der AfD kämpfen auch gegen CETA. Insofern scheint es eine Verzweiflungstat zu sein, die den Minister trieb, TTIP abzuschreiben.

Er muss sich jetzt schon mit Widerstand auseinandersetzen, so zum Beispiel seitens der Wirtschaftsverbände, der Christdemokraten, der Europäischen Kommission und der amerikanischen Regierung. Leider bleiben die Hauptbetroffenen dieser schwachen Politiken, die Generation der 15-35-jährigen, ruhig. Sie müssten auf die Straße gehen und dem Minister klar machen, dass es um ihre Zukunft geht. Ob es hilft, bleibt unklar: Offenbar wählen die Alten eher die Sozialdemokraten als die Jungen. Hoffentlich hat man im Willy-Brandt-Haus nicht beschlossen, diese Klientel abzuschreiben. Es wäre bitter, wenn das die Erklärung für die Aussagen des Ministers wäre!

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