Zu Beginn des Jahres 2016 äußern sich zahlreiche Deutsche relativ pessimistisch mit Blick auf die Zukunft. Sie fürchten den Terrorismus, sie blicken zum Teil skeptisch auf die Flüchtlingsströme, sie sind nicht sehr optimistisch mit Blick auf die europäische Integration, und sie zeigen einen ausgeprägten Entwicklungspessimismus. Sie sehen vielfach Ungerechtigkeiten, obwohl die Daten es gar nicht hergeben, und haben Abstiegsängste.
Dabei gibt es eigentlich überwiegend gute Nachrichten. In Deutschland erleben wir gerade eine sehr gute Wirtschaftslage, einen extrem hohen Beschäftigungsstand und geringe Inflation.
Außerhalb Deutschlands, z.B. in den Entwicklungs- und Schwellenländern sinkt die Kindersterblichkeit, steigt die Rate der Kinder, die zur Schule gehen, sinkt der Anteil derjenigen ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie derjenigen, die unterhalb der Armutsgrenze leben (um nur einiges zu nennen). In allen Fällen sind die Werte auf einem Rekordniveau, jeweils positiv für die erfreulichen und negativ für die unerfreulichen Tatbestände, ohne dass deshalb Entwarnung gegeben werden kann. Dennoch überwiegen die positiven Nachrichten.
Die sieben größten Ängste der Deutschen
41 Prozent fürchten sich vor einer schlechten Wirtschaftslage.
Quelle: R+V-Langzeitstudie „Die Ängste der Deutschen“
43 Prozent sorgen sich vor Spannungen durch Ausländer.
Skeptisch bewerten die Deutschen die handelnden Politiker: 44 Prozent haben Angst, dass diese überfordert sind.
47 Prozent fürchten sich vor schweren Erkrankungen.
Rund 2,5 Millionen Pflegebedürftige gibt es in Deutschland – Tendenz steigend. Dementsprechend hoch ist auch die Besorgnis der Deutschen, im Alter anderen als Pflegefall zur Last zu fallen. Mit 51 Prozent liegt dieses Thema gemeinsam mit der Furcht vor Naturkatastrophen auf Platz 2.
Überschwemmungen durch Starkregen, Hagel, Stürme: Mit 51 Prozent liegt die Furcht vor zunehmenden Naturkatastrophen auf Platz 2 der Ängste-Skala – gleichauf mit der Angst vor Pflegebedürftigkeit.
Die Furcht vor steigenden Lebenshaltungskosten steht mit 58 Prozent an der Spitze.
Warum nur sind die Deutschen so trübsinnig? Man könnte ja mit Blick auf Deutschland auf die vielzitierte “German Angst“ abstellen. Das machen wir hier nicht, denn in anderen Ländern sind viele Einschätzungen ähnlich.
Die erste Erklärung für Pessimismus könnte darin liegen, dass die Lage in der Tat nicht so gut ist, wie es scheint. Und wirklich bestehen Risiken, die in der öffentlichen Diskussion im Augenblick vernachlässigt werden: Es gibt europaweit einen Investitionsstau, und die Eurokrise ist noch lange nicht vorbei, ganz im Gegenteil: Der Linksruck in Spanien und Portugal, die halbherzigen Versuche der griechischen Regierung, die Gläubiger mit „Reförmchen“ zufrieden zu stellen, die müde französische Wirtschaftspolitik sowie die fatale Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) befeuern ernsthafte Zweifel an der Widerstandskraft der Europäischen Union (EU). In Verbindung mit der Schwäche der chinesischen Wirtschaft, die sich erst diese Woche wieder gezeigt hat, lässt dies einen etwas beunruhigten Blick in die Zukunft der Wirtschaft weltweit nicht völlig unangebracht erscheinen.
Ein zweiter Grund für Pessimismus mag darin bestehen, dass es eine Neigung in der Politik gibt, die Sachfragen auszublenden und Diskussionen nicht zu führen. Dies kann am Beispiel der Flüchtlingsfrage in Deutschland gut verdeutlichen. Die These „Wir schaffen das“ gibt nur solange Hoffnung, wie sie auch mit Handlungsabsichten und Planungen in Verbindung gebracht wird. Diese mögen bestehen – so die Hoffnung des Kolumnisten –, sie werden aber nicht vernünftig kommuniziert. Dahinter mag die Angst der Regierung stehen, dass die Menschen die Pläne nicht gutheißen. Das Gegenteil wird offenbar erzielt, denn obwohl sämtliche ernsthaften Prognosen zeigen, dass die These „Wir schaffen das“ gar nicht so unrealistisch ist, glauben es viele nicht.
Nachrichten und Erwartungen
Drittens ist die Nachrichtenlage in der Regel verzerrt. Schlechte Nachrichten bekommen mehr Platz eingeräumt als gute. Nehmen Sie die Entwicklungszusammenarbeit als Beispiel: Obwohl seit etwa einem Jahrzehnt Afrika der Kontinent mit den weltweit höchsten durchschnittlichen Wachstumsraten ist und sich inzwischen ein kleine, aber stetig wachsende Mittelschicht herausgebildet hat, wird der Kontinent hierzulande fast ausschließlich als Krisenkontinent wahrgenommen. Diese guten Nachrichten werden offenbar systematisch ausgeblendet, nicht nur hierzulande
Dies mag viertens damit zu tun haben, dass die Erwartungen andere sind. Afrika war für viele immer das Herz der Finsternis und wird es deshalb bleiben müssen. Es ist schwer, Nachrichten, die diese Erwartungen (oder bisweilen Vorurteilen) nicht entsprechen, zu akzeptieren. So würde es den Kolumnisten wundern, wenn die Eurokrise tatsächlich beendet würde, es entspricht einfach nicht seinen Erwartungen; gut wäre es natürlich dennoch.
Fünftens kann es durchaus sein, dass einige Menschen die guten Nachrichten schon deshalb nicht wahrnehmen, weil sie nicht mit ihrem Weltbild vereinbar sind. Wachstum in Afrika würde in dieser Sicht bedeuten, dass ohnehin nur einige wenige – und zumeist westliche Konzerne – davon profitierten. Selbst wenn die guten Nachrichten einmal veröffentlicht werden, würden sie also von diesen nicht ernst genommen.
Sechstens kann man konstatieren, dass viele Menschen wenig Zutrauen zu Statistiken oder gar empirischer Forschung haben. Dies mag mit einer generellen Verunsicherung durch viele sich widersprechende Forschungsergebnisse erklärt werden. Allerdings kann man den Statistiken z.B. der Weltbank wenig entgegensetzen, die ja nicht auf einer Hypothese, sondern schlichter Beobachtung und Zählung beruhen.
Dass dieser Befund nicht aus der Luft gegriffen ist, kann man daran erkennen, dass in Umfragen zu Entwicklungsprognosen weltweit der Pessimismus vorherrscht, wie der schwedische Forscher und Gründer der Gapminder Foundation Hans Rosling in seinem Ignorance-Poject zeigt. In Deutschland beispielsweise unterschätzen seiner Umfrage zufolge die Menschen die entwicklungspolitischen Erfolge der jüngeren Vergangenheit bei weitem.
Wenn man die obigen Erklärungen in den Blick nimmt, kann man Wege erkennen, mit deren Hilfe man auch zu einer realistischeren Einschätzung und einer positiveren Sicht auf die Zukunft gelangt. Man könnte z.B. einfach grundsätzlich zur Kenntnis nehmen, dass es den meisten Menschen seit Generationen besser geht als jeweils einer Generation zuvor, wenigstens wenn man die echten Krisenregionen für einen Moment außer Acht lässt. Dann ist der Pessimismus weniger angebracht.
Eine solche Haltung setzt vielleicht die Energie frei, derer es bedarf, um die wirklichen Probleme anzugehen. Denn natürlich gibt es Probleme, zum Beispiel die dem Flüchtlingsdrama zugrundeliegenden Konflikte in den Krisenregionen, aber Pessimismus mag lähmen und ihre Lösung verschleppen oder verhindern. Dies sollte Anlass genug sein, ein wenig optimistischer in die Zukunft zu blicken.