Freytags-Frage

Warum sind Pazifisten keine Freihändler?

Im Programm des Evangelischen Kirchentages geht es auch um Frieden und Wohlstand. Ökonomen fehlen aber weitgehend auf dem Podium. Das schadet der Debatte.

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Kirchentagsbesucher. Quelle: REUTERS

Im Moment findet in mehreren deutschen Städten, darunter Berlin und Wittenberg, der Deutsche Evangelische Kirchentag statt. Das bunte Programm befasst sich traditionell und folgerichtig mit Frieden und Wegen zum Frieden. Das sollte man erwarten dürfen, denn die Friedensbotschaft ist eine der zentralen Botschaften der Christenheit. Und in der Tat wird die Weltgemeinschaft immer wieder durch Gewaltausbrüche wie Terrorangriffe, religiöse Kriege, politische Verfolgungen und dergleichen vor enorme Herausforderungen gestellt. Kanzlerkandidat Schulz hat gerade in einem Gastartikel im Spiegel dafür geworben, in den Frieden anstatt in Waffen zu investieren. Das klingt sofort sympathisch.

Einen Euro in Bildung zu stecken, dürfte einen höheren Ertrag erwirtschaften als denselben Euro für Munition auszugeben.

Das Programm des Kirchentages enthält außerdem Veranstaltungen zu wirtschaftlichen Fragen, zum Beispiel zur Zukunft bzw. zum Ende des Wachstums. Wie fast immer bei solchen Veranstaltungen sind Ökonomen auf fast keinem Podium dabei. Das ist bedauerlich, zeigt es doch eine gewisse geistige Enge der Organisatoren. Viele Ökonomen befassen sich seit Jahrzehnten mit ökologischen Konsequenzen verschiedener Wirtschaftsordnungen und wären prädestiniert, an der Diskussion teilzunehmen und sie zu bereichern bzw. zu vervollständigen. Es sei denn, die Organisatoren wollen nicht ernsthaft diskutieren, weil sie die Lösungen bereits kennen, und fühlen sich durch zu viel Expertise in der Harmonie der wohlhabenden Wachstumskritiker nur gestört.

Das wäre bitter!

Insgesamt fällt auf, dass die Verbindung von Frieden und wirtschaftlicher Aktivität von Nicht-Ökonomen eher selten (oft gar nicht) gesehen wird. Vielfach wird sie sogar verneint, was allerdings auf eine bedauerliche historische Unkenntnis schließen lässt. Der amerikanische Politiker Cordell Hull fasste diese Verbindung während des ersten Weltkrieges so zusammen: Krieg und Autarkie seien genauso Geschwister wie Frieden und Handel.

Und in der Tat zeigt sich in der Geschichte (unterstützt durch zahlreiche empirische Studien, aber auch anschaulich am Beispiel der Europäischen Union), dass erstens transnationale Konflikte umso unwahrscheinlicher sind, je mehr die Bürger zweier Länder miteinander Außenhandel betreiben. Frankreich und Deutschland söhnten sich zu Beginn der europäischen Integration mit Hilfe einer Zollunion aus. Das klingt profan und technisch, wirkt aber vertrauensbildend. Denn durch Außenhandel lernt man die Partner besser kennen, man redet miteinander und baut persönliches Vertrauen auf. Vielleicht kann sogar eine Vorliebe für die Produkte aus dem anderen Land entstehen, die Menschen veranlasst, dorthin zu reisen und weitere Kontakte aufzubauen.

Handel ist eine Kulturleistung, die Grenzen (auch im übertragenen Sinne) überwindet.

Zweitens sind intra-nationale Konflikte, zum Beispiel Bürgerkriege, oft durch ökonomische Probleme ausgelöst worden. Der amerikanische Bürgerkrieg hatte eine Ursache in der beschlossenen Beendigung des Sklavenhandels, die von vielen Bürgern des Südens als Enteignung aufgefasst wurde. Natürliche Ressourcen und deren ungerechte Verteilung waren offenbar die Ursache der meisten Bürgerkriege in Sub-Sahara Afrika.

Wissenswertes zum internationalen Handel

Studien zum Terrorismus zeigen drittens, dass eine (aber natürlich keineswegs die einzige) Ursache dafür in den fehlenden wirtschaftlichen Chancen der Menschen besteht. Sie sind dann leicht als Kämpfer zu rekrutieren. In Irland und im Baskenland hat vermutlich der wirtschaftliche Aufschwung breiter Massen dazu beigetragen, dass die Irisch-republikanische Armee sowie die ETA nicht mehr attraktiv für die Menschen waren und sie sich nach Frieden sehnten.

Auch Wanderungsbewegungen aus ärmeren Regionen in reichere Länder werden viertens regelmäßig durch ökonomische Probleme ausgelöst. Solche Wanderungen verlaufen in der Regel nicht konfliktfrei ab; sowohl in den Zielländern als auch in den Herkunftsregionen können Probleme entstehen, wie die letzten Jahre in Europa sehr klar gezeigt haben. Leider trägt die Europäische Union mit ihrer gegen die Entwicklungsländer gerichteten Handelspolitik, die sehr von ihrer Agrarpolitik getrieben wird, zu diesen ökonomischen Problemen in Afrika bei.

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