Freytags-Frage

Wie verteidigen wir unser Lebensmodell?

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Weihnachtswünsche und Aufgaben

1.    Sicherheit hat ihren Preis. In den letzten Jahrzehnten haben wir zu wenig in Sicherheit investiert. Vielleicht waren wir so naiv zu glauben, dass es genügt, selber tolerant zu sein, damit andere es auch sind. Die Feinde der offenen Gesellschaft haben dies offenbar als Einladung verstanden, uns von innen – wie PEGIDA – oder von außen – wie Herr Putin – anzugreifen. Sie sind damit recht erfolgreich gewesen. Deshalb müssen wir unsere öffentlichen Mittel umwidmen. Sicherheit muss mehr bekommen, anderes eher weniger (wie wäre es mit Subventionsabbau zu diesem Zweck, s.u.?)

2.    Es genügt aber nicht, mehr Geld in die Hand zu nehmen. Auch die Haltung der Eliten gegenüber den Sicherheitskräften muss sich ändern. Sie müssen die Wertschätzung erfahren, die ihre Arbeit verdient. Wenn Landtagsabgeordnete der Linksfraktion in Thüringen (immerhin die stärkste Regierungsfraktion) von „Bullenschweinen“ reden, zeigt dies ein erschreckendes Unverständnis für die Balance von individueller Freiheit und kollektiver Sicherheit. Richtig ist, dass Sicherheit nicht in Repression münden darf. Das schließt Respekt vor der Arbeit der Polizei aber überhaupt nicht aus.

3.    Die Feinde bzw. die Gefährder der offenen Gesellschaft sitzen aber auch an den Schaltstellen der Macht und im weiteren Establishment. Dies sieht man insbesondere in der europapolitischen Diskussion – und dies seit Jahrzehnten. Bis vor kurzem wurde die kleinste Kritik an Details der europäischen Integration mit dem Vorwurf erstickt (oder niedergebrüllt), man sei wohl gegen Europa und ein Rassist oder Nationalist. Es gab schon immer gute Gründe für überzeugte Europäer, die gemeinsame Agrarpolitik für falsch zu halten. Diese Diskussion zu unterdrücken, ist ein Zeichen für eine Ablehnung der offenen Gesellschaft. Im Kern beschreibt dieses Bild den Konflikt zwischen Verantwortungsethik und Gesinnungsethik.

4.    Es muss sich also wieder die Verantwortungsethik durchsetzen. Wir haben ein gemeinsames Langfristziel: Frieden und Freiheit in Europa. Dies ist unverhandelbar. Wege zum Ziel sind sehr wohl verhandelbar: Sollen wir die Regionalpolitik der Europäischen Union beibehalten? Muss die Eurozone in mehrere Teilzonen unterteilt werden? Ist die Agrarpolitik noch zeitgemäß? Gibt es doch die Möglichkeit eines Europas der mehreren Geschwindigkeiten? Wer sich schon diesen Fragen verweigert und alles außer einer „Ever closer Union“ als faschistoid darstellt, handelt gesinnungsethisch und gefährdet das Ziel. Das gilt natürlich auch für diejenigen, die ohne Wenn und Aber gegen Europa reden und die Schuld für alle Probleme in Brüssel sehen.

5.    Sicherheit hängt auch mit Sicherung der Grenzen zusammen, ob man es gerne hört oder nicht. Deutschland braucht eine Einwanderungspolitik, die natürlich diskriminieren und selektieren muss. Das machen andere Länder erfolgreich vor. Nur wenn wir wissen, wer zu uns kommt und aus welchen Motiven, können wir sowohl eine kluge Einwanderungspolitik betreiben als auch unsere menschliche Asylpolitik fortsetzen. Die Verweigerung der Notwendigkeit einer Einwanderungspolitik aus rassistischen Gründen kann nur dadurch abgewehrt werden, dass man sie nicht aus falsch verstandener – weil gesinnungsethisch fundierter - Menschlichkeit heraus (jeder darf kommen) ablehnt. Wir brauchen endlich klare Regeln zur Einwanderung und Integration.

Das bedeutet der Anschlag von Berlin für die Sicherheit in Deutschland

6.    Zusätzlich steht eine große Aufgabe im Raum. Wie kann die Sozialpolitik wieder zielgenauer werden? Diejenigen, die im Zuge der Modernisierung – denn das ist der eigentliche Treiber des Strukturwandels, weniger die Globalisierung – müssen besser in die Lage versetzt werden, wieder eine Perspektive zu finden. Das ist nicht einfach. Hier könnten die Sozialdemokraten wieder an Boden gewinnen, wenn sie Hilfe und Selbstverantwortung richtig austariert.

7.    Außerdem müssen die Sorgen derer beachtet und entschärft werden, die zwar beschäftigt sind, aber in der Globalisierung eine Bedrohung sehen. Es reicht nicht, ihnen die abstrakten Argumente zu liefern, warum sie weit mehr Chancen als Risiken bietet. Globalisierung muss sozial- und bildungspolitisch viel besser als bisher begleitet werden.

8.    Wirtschaftspolitisch ist außerdem der Subventionsabbau voranzubringen. Die Notwendigkeit, den Ausbau der Sicherheit voranzutreiben, könnten hier als ein Hebel genutzt werden.

Es zeigt, dass genug zu tun ist. Diese Wünsche sind nicht an Frau Merkel gerichtet, sondern an alle, die sich für eine faire, menschliche und offene Gesellschaft einsetzen mögen. Allen Lesern der Kolumne (wie auch denen, die sie nicht lesen) wünsche ich eine Frohe Weihnacht und ein Gesundes und Erfolgreiches Jahr 2017!

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