Freytags-Frage

Haben Martin Schulz und Jean-Claude Juncker nichts verstanden?

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„Weiter so!“ kann nicht funktionieren

Die Errichtung der Europäischen Währungsunion hat dieses Gleichgewicht in Frage gestellt. Denn nun wurde den verschiedenen Wirtschaftsordnungen ein gemeinsames Geld verpasst, ein wenig wohl in der Hoffnung, dass es für alle vorteilhaft sei, wenn das deutsche Modell dem Rest Europas geschenkt würde. Die anderen würden die Vorteile erkennen und ihre Wirtschaftsordnung entsprechend anpassen.

Das ist aber nicht passiert, aus demselben guten Grund, wie die Deutschen ihre Ordnung nicht aufgeben wollten. Stattdessen brechen alte Konfliktlinien wieder auf: Deutsche schimpfen auf Griechen und Franzosen, Briten lästern über Deutsche.

Gleichzeitig bestehen fundamentale Unterschiede in der Haltung zur Flüchtlingskrise, zur Sicherheitspolitik und zum Klimawandel.

Die wichtigsten Infos zum Brexit-Referendum

Während diese Fragen wegen der Spillovers dringend europäische Lösungen benötigen (aber nicht bekommen), müssten Arbeitsmarkt-, Fiskal- und Sozialpolitik gerade nicht harmonisiert werden. Auch in der Geldpolitik besteht diese Notwendigkeit theoretisch nicht.

Anti-EU-Befindlichkeiten bekämpfen

Vor diesem Hintergrund scheint es gerade nicht so zu sein, dass ein „Weiter so!“ oder eine unkritische Vertiefung der EU im Moment das Gebot der Stunde ist. Schulz und Juncker scheinen zu übersehen, dass ein großer Teil der Anti-EU-Befindlichkeiten gerade daraus erwachsen, dass die Leute glauben, fremdbestimmt zu sein. Das liegt auch daran, dass die Entscheidungsprozesse in der EU nur schwer nachvollziehbar sind. Was aus Brüssel an Richtlinien und Gesetzesvorlagen zu uns kommt, ist oftmals von nationalen Regierungen vorgeschlagen worden (zuhause war es aber nicht umsetzbar).

Wo die großen Brexit-Baustellen sind

Je nachdem, ob die Leute die Regeln mögen nicht, werden sie von den Regierungen als das Ergebnis ihres Handelns oder aber als Diktat aus Brüssel verkauft. Dies kann als ein drittes Narrativ angesehen werden, das verheerende Folgen hat; vermutlich war es auch der Treiber des Brexit.

Deshalb ist das Gebot der Stunde eine ergebnisoffene Diskussion über die Zukunft der Tiefe der EU – die Zukunft der EU steht außer Frage. Dazu zählt auch eine ehrliche Bestandaufnahme des Erreichten. Bewertungsmaßstab kann das Subsidiaritätsprinzip sein, das heißt es muss genau geprüft werden, was auf welcher Ebene entschieden wird.

Wie wahrscheinlich sind Austritte weiterer EU-Länder?
Die Chefin der rechtsextremen Front National, Marine Le Pen Quelle: dpa
Chef der rechtspopulistischen Partei für die Freiheit, Geert Wilders Quelle: AP
Anhänger der ungarischen, rechtsextremen Partei Jobbik verbrennen eine EU-Flagge Quelle: dpa
FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer mit dem ehemaligen Präsidenten Österreichs, Heinz Fischer Quelle: REUTERS
Finnland Quelle: dpa
PolenWährend die nationalkonservative Warschauer Regierung betont, sie werde keinesfalls dem Vorbild in Großbritannien folgen, haben verschiedene rechtspopulistische und nationalistische Gruppen einen „Pol-Exit“ verlangt. So ist der rechtsnationale Europaabgeordnete Janusz Korwin-Mikke von der Partei Korwin seit langem der Meinung, die EU müsse aufgelöst werden. Den Einzug ins Warschauer Parlament verfehlte er allerdings im vergangenen Jahr. Angesichts der hohen Zustimmung, die die EU-Zugehörigkeit in Polen seit Jahren genießt, dürfte ein Referendum ohnehin zum Scheitern verurteilt sein. Ein landesweites Referendum kann in Polen unter anderem dann durchgesetzt werden, wenn die Antragsteller 500.000 Unterschriften sammeln. Quelle: REUTERS
Italiens Regierungschef Matteo Renzi Quelle: dpa

Dazu muss Transparenz über die Verteilung der Entscheidungskompetenzen geschaffen werden. Vielleicht muss man sogar hinter das Erreichte in einigen Feldern zurückfallen. Dies dürfte kein Problem sein, wenn es der Integration insgesamt diente.

Ochs und Esel können die EU nicht aufhalten, falsch verstandene Imperative und schlecht vorbereitete Vertiefungsschritte allerdings sehr wohl.

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