Diese Woche war aufregend. Denn viele Dinge, die nur scheinbar zusammenhängen, aber doch im Kontext gesehen werden sollten, sind passiert. Angela Merkel (CDU) hat ihre erneute Kanzlerkandidatur angekündigt. Sahra Wagenknecht (Die Linke) hat sie darauf hin verantwortlich für das Erstarken der AfD gemacht. Boris Palmer (Grüne) hat in einem bemerkenswerten Artikel das linksliberale Bürgertum aufgefordert, ihr Weltbild mit der Realität in Einklang zu bringen. François Fillon hat in Frankreich die Vorwahlen der Konservativen bestimmt, aber noch nicht gewonnen. Donald Trump hat erste Aussagen über seine Agenda der ersten Tage im Amt getroffen und dabei vermutlich viele übertriebenen Erwartungen enttäuscht (Niemand hat mehr die Absicht, eine Mauer zu bauen...).
Am wenigsten überraschend war wohl die Ankündigung der Bundeskanzlerin, im Amt bleiben zu wollen. Das hätten wohl alle politischen Beobachter erwartet, denn die Alternativen sind in der CDU zurzeit offenkundig rar. Dass die Opposition diese Ankündigung kommentiert, ist auch kein Wunder. Allerdings ist es schon bemerkenswert, dass die Vertreterin der Vorzeigepopulisten „Die Linke“ Frau Merkel für das Erstarken der AfD ausgerechnet mit dem Argument der unerträglichen sozialen Spaltung – bei Rekordbeschäftigung – verantwortlich macht. Die naheliegende Begründung wäre wohl die Position Merkels in der Flüchtlingsfrage gewesen. In dieser gibt es aber im Bundestag – mit Blick auf die humanitäre Seite zurecht – Konsens. Es gibt zwar soziale Probleme wegen zunehmendem Wettbewerb aus Schwellen- und Entwicklungsländern (den wir ja entwicklungspolitisch begrüßen) und wegen technischem Fortschritt (der wiederum umweltpolitisch nötig ist), diese aber sollten sachlich diskutiert werden.
Vor diesem Hintergrund sind die schrillen Töne der Linkspartei zur sozialen Lage im Land eher abstoßend, denn sie folgen demselben Muster wie die Thesen der Pegida, der AfD und der gesamten Anti-Freihandels-Koalition einschließlich der Linkspartei: Erst einmal wird Angst und daraus resultierend Hass geschürt. Ausländer, besonders die Flüchtlinge (so Björn Höcke) nähmen uns die Jobs weg und vergewaltigten systematisch unsere Töchter, niemals seit dem Feudalismus (so Sahra Wagenknecht) wäre die soziale Lage für die Mehrheit der Bevölkerung so schlimm wie heute. Mit TTIP (so Thilo Bode von Foodwatch) würden unser Produktstandards drastisch sinken, die öffentliche Kultur- und Sozialpolitik stünde vor dem Ende. Und wir würden quasi Sklaven gewissenloser US-Konzerne!
Die Sprüche der AfD
Ob Flüchtlingspolitik oder Fußball - mit markigen Sprüchen sorgen führende AfD-Politiker immer wieder für Kopfschütteln und Empörung, wie jetzt die stellvertretende Bundesvorsitzende Beatrix von Storch. Einige Zitate.
Quelle: dpa
„Das ist ungefähr so, als würden Sie mit Plastikeimern einen Tsunami stoppen wollen.“ (Der AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen am 24. Oktober 2015 bei einem Landesparteitag in Baden-Württemberg über die Maßnahmen der Bundesregierung zur Bewältigung der Flüchtlingskrise)
„Im 21. Jahrhundert trifft der lebensbejahende afrikanische Ausbreitungstyp auf den selbstverneinenden europäischen Platzhaltertyp.“ (Der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke am 21. November 2015 in einem Vortrag über Asylbewerber aus Afrika)
„Wer das HALT an unserer Grenze nicht akzeptiert, der ist ein Angreifer. Und gegen Angriffe müssen wir uns verteidigen. (...) Es gibt keinen Grund, mit Gewalt unsere Grenze zu überqueren.“ (Die stellvertretende AfD-Bundesvorsitzende Beatrix von Storch Ende Januar 2016 auf ihrer Facebook-Seite über Flüchtlinge)
„Ich will das auch nicht. Aber zur Ultima Ratio gehört der Einsatz von Waffengewalt.“ (Die AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry in einem Interview des „Mannheimer Morgen“ vom 30. Januar 2016. Angesichts des Flüchtlingszustroms forderte sie im Notfall auch den Einsatz von Schusswaffen.)
„Wir müssen die Grenzen dichtmachen und dann die grausamen Bilder aushalten. Wir können uns nicht von Kinderaugen erpressen lassen.“ (Gauland am 24. Februar 2016 im Magazin der Wochenzeitung „Die Zeit“ über Flüchtlinge)
„Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ (Gauland in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 29. Mai 2016 über Fußball-Nationalspieler Jérôme Boateng)
„Eine deutsche oder eine englische Fußballnationalmannschaft sind schon lange nicht mehr deutsch oder englisch im klassischen Sinne.“ (Der AfD-Bundesvize Alexander Gauland am 3. Juni 2016 im „Spiegel“)
Populistischer Unsinn dieser Art wird also links und rechts der Mitte mit großem Pathos geäußert und trifft auch in der Mitte auf Widerhall. Pegida und AfD finden mehr Resonanz bei konservativen Menschen, die antikapitalistischen Sprechblasen verfangen besser bei denjenigen, die sich selbst für linksliberal und linksintellektuell halten. Gerade dieses Klientel, so Boris Palmer in seinem oben zitierten Aufsatz, sonnt sich zudem in seiner moralischen Überlegenheit gegenüber den durch die Flüchtlingszuströme besorgten Menschen. Er plädiert dafür, dieses hohe Ross zu verlassen.
Allen diesen begeisterten Empfängern der populistischen Botschaften scheint eine empfindliche Allergie gegen Fakten gemein zu sein, denn keine Statistik belegt die Thesen von Wagenknecht, Höcke und Bode (sowie vielen anderen). Zudem erläutern die Populisten selten ihre Alternativvorschläge und bleiben im Ungefähren, wenn es um Lösungen geht. Insofern kann man Palmers Appell auch so lesen, dass sich die Menschen wieder ihres Verstandes bedienen sollen. Je mehr man sich von Fakten und nicht von Emotionen in der Urteilsbildung leiten lässt, umso weniger anfällig wird man für billige Parolen.
Ermutigende Signale
Ähnlich faktenavers sind viele amerikanische Wähler, die sich von Trump verführen ließen, oder diejenigen Franzosen, die Marine Le Pen glauben, mit Zollbarrieren und Einwanderungsverboten könne man die französischen Probleme, vor allem die Jugendarbeitslosigkeit, lösen. Die Probleme sind komplex und erfordern Augenmaß, aber auch Verständnis für die Verlierer der Globalisierung. Beides scheint der potentielle französische Präsidentschaftskandidat Fillon zu haben, so dass Hoffnung besteht, einen rationalen und dennoch an den Problemen interessierten Präsidenten in Frankreich zu erleben.
Das ist Marine Le Pen
Marine Le Pen, Tochter des Politikers und FN-Gründers Jean-Marie Le Pen wurde am 5. August 1968 in Neuilly-sur-Seine geboren. Als Kind überlebte sie ein Attentat, das 1976 gegen das Wohnhaus der Familie verübt wurde. Die 46-Jährige war mit Geschäftsmann Franck Chauffroy verheiratet. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Nach der Scheidung heiratete sie den FN-Funktionär Éric Lorio. Auch diese Ehe scheiterte. Marine Le Pen studierte in Paris Jura und erhielt 1992 die Anwaltszulassung. Bis 1998 war sie als Anwältin tätig. Besonders markant ist ihre dominante und und für eine Frau sehr tiefe Stimme.
Seit Marine Le Pen den Parteivorsitz inne hat, versucht sie frischen Wind in den „Front National“ zu bringen. So hat sie sich zum Ziel gesetzt, Anspielungen auf das Dritte Reich zu vermeiden, um das Bild einer rechtsextremen Partei loszuwerden. Dazu passt auch, dass sie sich stärker auf die Alltagsprobleme der Bürger fokussiert. Die hohe Arbeitslosigkeit und steigende Preise sind nun die neuen zentralen Themen. Ihre Rezepte zur Überwindung der Krise: Heimische Investoren sollen von einer Abwanderung abgehalten werden, Franzosen sollen bei der Jobsuche bevorzugt werden und das Land aus dem Euro austreten. Feindbild ist die "wilde Globalisierung".
Von 1998 bis 2004 war Marine Le Pen Abgeordnete im Parlament der Region Nord-Pas-de-Calais. Über ihren Wahlkreis Île-de-France zog sie 2004 ins Europaparlament ein. Nach Stationen im Regionalparlament der Île-de-France wurde sie 2011 an die Parteispitze des Front National gewählt. Bei der Präsidentenwahl 2012 wurde sie nach Hollande und Sarkozy drittstärkste. Zeitweise sahen Umfrageergebnisse, die im Magazin „Le Nouvel Observateur“ erschienen sind, den Front National als stärkste französische Partei. Seit der Europawahl im Mai 2014 ist sie Abgeordnete im Europäischen Parlament.
Eine explizite Feindschaft zum Islam gehört zu den zentralen Positionen Le Pens und ihrer Partei. Eine entsprechende Äußerung in einer Wahlkampfrede im Dezember 2010 brachte Le Pen ins Visier der Staatsanwaltschaft. Sie verglich öffentliche Gebete von Muslimen mit der deutschen Nazi-Besatzung. "Sicher geschieht dies ohne Panzer und ohne Soldaten, aber trotzdem ist es eine Besatzung, und betroffen sind die Einwohner", so Le Pen.
In dieselbe (leicht positive) Richtung zielen auch die Rückzieher des zukünftigen US-Präsidenten, der zwar im Wahlkampf das Blaue vom Himmel versprochen hat, aber nun offenbar bemerkt (falls noch nicht geschehen), dass seine Vorschläge abenteuerlich waren. Das heißt noch nicht, dass Trump keinen nachhaltigen Schaden anrichten kann, aber den größten Blödsinn aus seinem Programm scheint er streichen zu wollen.
Es gibt natürlich keinen einfachen Weg zur Lösung der gegenwärtigen wirtschaftlichen und sozialen Probleme in den Industrieländern; es mag sogar ganz unterschiedliche Lösungen geben. In der Wirtschaftspolitik gibt es keine ewigen Wahrheiten. Es scheint aber festzustehen, dass es weiterhin Wanderungsströme geben wird. Und den Strukturwandel kann niemand aufhalten, man kann ihn aber begleiten und abmildern.
Wer aber verspricht, die Zeit zurückzudrehen und abgewanderte Jobs mit Protektion zurückzuholen sowie ethnische Säuberungen vorzunehmen, lügt schlicht und fällt in vorzivilisatorische Denkmuster zurück.
Dies impliziert natürlich nicht, dass man die mit Migration und Strukturwandel einhergehenden Probleme verdrängt und die Sorgen der Menschen mit moralischem Überlegenheitsgefühl wegwischt. Verantwortungsvolle Politiker gehen die Probleme an, ohne simple Lösungen zu versprechen. Sie sind aber auch nicht arrogant gegenüber denjenigen, die sich – ob zurecht oder zu Unrecht – benachteiligt fühlen. Zudem sollten sie offen sein für Lösungen, selbst wenn sie sich mit ihrem Vorurteil („Banker sind böse“) nicht decken oder politisch kurzfristig nicht opportun scheinen. Genauso, das heißt mit einer auf den ersten Blick wenig sozialdemokratisch anmutenden Agenda, hat Gerhard Schröder vor fast 14 Jahren dafür gesorgt, dass viele Arbeitslose zurück in den Arbeitsmarkt fanden. Das ist gelebte Sozialpolitik und verantwortungsbewusste Regierungsarbeit. So kann man den Populisten Einhalt gebieten. In dieser Woche wurden einige ermutigende Signale ausgesandt.