Freytags-Frage

Wie kann Deutschland Frankreich bei Reformen unterstützen?

Die Bedingungen für Wirtschaftsreformen in Frankreich sind so gut wie selten. Die deutsche Regierung kann Emmanuel Macron bei der Umsetzung helfen – indem sie ihn mit harten Regeln konfrontiert.

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„Frankreich hat ein neues Kapitel aufgeschlagen“
Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron Quelle: REUTERS
Unterlegene Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen Quelle: AP
Wladimir Putin Quelle: AP
Macrons Vorgänger François Hollande Quelle: REUTERS
Bundeskanzlerin Angela Merkel Quelle: dpa
Außenminister Sigmar Gabriel Quelle: dpa
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Quelle: dpa

Frankreich hat gewählt, und Europa atmet auf. Das gilt vor allem für diejenigen Politiker und Berater, die das europäische Integrationsprojekt als eine Einbahnstraße betrachten und es für selbstverständlich halten, dass es zu weiteren Vertiefungen der Einigung kommt. So erstrebenswert eine weitere Integration aus vielerlei Gründen auch sein mag, sollte sie doch mit Augenmaß angestrebt – und eventuell sogar mit Rückschritten verbunden werden. Das lehrt die Geschichte der europäischen Staatsschuldenkrise seit 2009 sehr eindrucksvoll.

Wirtschaftspolitische Pläne von Emmanuel Macron

Nicht alle ziehen diese Schlussfolgerungen: Kaum ist das Gespenst Le Pen (vorerst) vertrieben, fordern die deutschen Sozialdemokraten (SPD), dem neuen französischen Präsidenten Macron Spielräume für höhere Neuverschuldung einzuräumen; auch ein gemeinsamer europäischer Haushalt wird ins Spiel gebracht. Damit werden genau die Themen wieder öffentlich diskutiert, die zur Gründung der AfD geführt haben. Das verheißt nichts Gutes für die Bundestagswahl im September – weder für die SPD selber noch für die Zusammensetzung des Bundestages. Der AfD ohne Not neue Munition zu liefern, kann nur als dumm bezeichnet werden.

Außerdem – und das ist für den Erfolg Europas am Ende noch wichtiger – gefährdet die SPD damit den Reformerfolg des neuen Präsidenten. Es ist zwar richtig, dass Herr Macron selber ähnliche Vorschläge ins Spiel gebracht hat und die Deutschen zur Unterstützung aufgefordert hat. Es ist auch richtig, dass die Deutschen ihm selbstverständlich Unterstützung gewähren müssen. Es ist jedoch keineswegs klar, dass man mit vorauseilender Bereitschaft zu einer neuen europaweiten Verschuldungsrunde den Franzosen hilft.

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Frankreich scheint statt mehr öffentlicher Ausgaben – mit denen kein nachhaltiges Wachstum erzeugt werden kann – Strukturreformen zu brauchen, die gerade der öffentlichen Hand in der Wirtschaft eine etwas kleiner Rolle zuweisen. Flexiblere Arbeitsmärkte mit besseren Chancen für Jugendliche, bessere Integration der Zuwanderer, späterer Renteneintritt und Öffnung von Karrierechancen für alle Franzosen im öffentlichen Dienst (Stichwort ENA) sind wirtschaftspolitische Themen, die der Präsident angehen muss und offenbar auch will. In Frankreich ist der Widerstand gegen derartige Reformen traditionell hoch, weil sie tradierte Privilegien angreifen.

Niemand erwartet, dass Emmanuel Macron der Ludwig Erhard des 21. Jahrhunderts wird. Dennoch hat er im Wahlkampf angedeutet, dass er bereit ist, einige heilige Kühe der Franzosen zu opfern, um mehr wirtschaftliche Dynamik zu erzielen. Überdies scheint der neue Präsident ein gewisses Momentum auf seiner Seite zu haben und die Menschen mitreißen zu können. Selten schien in Frankreich eine günstigere Konstellation für wirtschaftspolitische Reformen vorgelegen zu haben als heute. Wenn es gut läuft, bekommt er im Juni in den Parlamentswahlen die nötige Mehrheit zugestanden. Wenn es dann aber mit den Reformen – wie stark sie auch immer die Politik verändern – konkret wird, wächst auch der Widerstand. Die jetzt herrschende Euphorie wird nicht lange anhalten.

Das Schicksal der EU hängt von transparenter Politik ab

Damit Herr Macron seine Reformvorstellungen tatsächlich umsetzen kann, braucht er also auch Unterstützung aus Europa, die es gerade den Reformbremsern erschwert, sich zu entfalten. Das heißt: Die europäischen Partner dürfen Frankreich jetzt gerade nicht aus der Pflicht zum sparsamen Umgang mit knappen Ressourcen entlassen. Im Gegenteil, sie müssen auf der Einhaltung der Verträge beharren, wohl wissend, dass das Haushalts-Kriterium des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (SWP) ohnehin nie durchsetzbar war. Es ist auch klar, dass man den neuen Präsidenten jetzt nicht mit Forderungen nach strenger Austerität bombardieren sollte. Die Rhetorik muss stimmen. Der Präsident muss seinen Kritikern zu Hause, die sich den Reformen verweigern wollen, etwas entgegenzusetzen haben.

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Insgeheim kann man ja – wie von Herrn Gabriel lautstark gefordert – die SWP-Kriterien etwas in den Hintergrund rücken. Das muss Herr Macron dann aber selber als Zugeständnis der Kommission „heraushandeln“. Es ist klar, dass Europas Schicksal nicht daran hängt, ob das französische Budgetdefizit im Jahre 2018 genau drei Prozent oder aber 3,5 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) beträgt. Es ist aber klar, dass das Schicksal der Europäischen Union maßgeblich daran hängt, dass die Politik transparent ist und Regeln folgt. Im Zweifel sollten wir für die drei Prozent stimmen.

Möglicherweise verstehen die beiden Spitzen-Sozialdemokraten, die so explizit höhere Ausgaben und deutsche Solidarität, vulgo deutsches Geld gefordert haben, diese Logik nicht. Dabei ist sie eine politische, keine ökonomische Logik. Ihre bisherigen Aussagen und der Wahlkampf des Kanzlerkandidaten lassen jedenfalls diesen Schluss zu. Es ist die Aufgabe des Wahlkampfteams im Willy-Brandt-Haus, den Herren Gabriel und Schulz zu vermitteln, dass jetzt Diplomatie gefordert ist, die sowohl den französischen Befindlichkeiten als auch den Wünschen der deutschen Steuerzahler nach vernünftigem Umgang mit deutschem Geld Rechnung tragen. Laute und voreilige Forderungen nach deutscher Solidarität mit französischen Reformverweigerern helfen weder Frankreich noch der SPD.

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