Freytags Frage

Wozu muss Schulz im Wahlkampf Stellung beziehen?

Seit Wochen euphorisiert Martin Schulz seine SPD. Doch ein Programm hat der Kanzlerkandidat noch nicht. Auf welche Fragen muss er dringend Antworten geben? Und mit welchen Themen kann er punkten?

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Martin Schulz euphorisiert seine SPD – hat aber noch kein Wahlprogramm. Quelle: dpa

Martin Schulz hatte mal wieder einen guten Tag erwischt. Bei seiner Wahl zum Kanzlerkandidaten stimmten am vergangenen Wochenende 100 Prozent für ihn. Wieder einmal begeisterte er seine Partei – und einte sie. Alle anwesenden Parteimitglieder waren davon überzeugt, den Richtigen für die Bundestagswahl im September gefunden zu haben. Alle stimmten für ihn.

Um es vorweg zu sagen: Für die Demokratie in Deutschland ist das Wiedererstarken der SPD ein Glücksfall. Zum einen ist es gut, wenn zwei Drittel der Wähler oder sogar mehr den Volksparteien anhängen und sich dort gut aufgehoben fühlen. Zum anderen zwingt eine starke SPD die Christdemokraten dazu, ihr Profil zu schärfen. Man darf wieder hoffen, dass der anstehende Wahlkampf interessanter wird als der vergangene. Dann könnten sich auch kleiner Parteien besser profilieren.

Die große Frage lautet aber, ob das Hoch der SPD nachhaltig ist. Aktuell schwimmt der Kandidat auf einer Erfolgswelle und wirkt schon so staatstragend, als sei er bereits Kanzler. Doch das kann sich schnell ändern.
Noch kann Schulz so tun, als sei die SPD in der Opposition – und steigende soziale Ungerechtigkeit beklagen. Doch das stimmt natürlich nicht. Die SPD ist Regierungspartei, sie stellt die Schlüsselminister für die Themen soziale Gerechtigkeit und wirtschaftlichen Aufschwung. Dieser Aspekt wird im Wahlkampf mit Sicherheit thematisiert werden.

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von Max Haerder

Außerdem steht Herr Schulz für genau das Europa, das in den Augen vieler Bürger –darunter viele potentielle Wähler der AfD – in den vergangenen Jahren so schlecht funktioniert hat. Noch am Morgen nach dem Brexit-Referendum erhob er sich moralisch über die Briten und drohte ihnen. Irgendwann werden seine Gegner auf seine europapolitische Vergangenheit zurückkommen.

Noch wichtiger: Bisher fehlt von ihm jegliche konkrete Aussage zu den Problemen, die in den nächsten Jahren zu bewältigen sind. Es wird nicht reichen, Respekt für nahezu sämtliche gesellschaftlichen Gruppen einzufordern und Einzelschicksale geschickt zu thematisieren. Einzelschicksale sind wichtig, aber von Politik wird ja gerade verlangt, dass sie sich nicht auf Einzelfälle beschränkt, sondern den Rahmen für eine faire und produktive Gesellschaft schafft. Wer sich nur auf Einzelschicksale konzentriert verliert schnell das Große und Ganze aus dem Blick – möglicherweise mit fatalen Folgen für das Gesamtgefüge und die Gerechtigkeit.

Insofern ist es verständlich, dass die CDU bisher relativ entspannt auf die Euphorie um Martin Schulz reagiert. Solange er nicht sagt, was er konkret plant und welche wirklichen Schwerpunkte seine Kanzlerschaft hätte, wäre jede hektische Reaktion Energieverschwendung.

In den kommenden Wochen aber muss die SPD konkreter werden und ein echtes Wahlprogramm vorlegen. Für den Fall, dass man im Willy-Brandt-Haus nicht weiß, um welche wichtigen Themen es im September geht, hier ein paar Anregungen.

Soziale Gerechtigkeit wird wichtig werden

Erstens: Die soziale Gerechtigkeit ist ein echtes Thema. Ob es aber reicht, die erfolgreichen Arbeitsmarktreformen zurückzudrehen, um mehr Gerechtigkeit zu schaffen, kann bezweifelt werden. Vielmehr geht es um Chancen auf dem Arbeitsmarkt und um bessere Bildung für alle. Dazu gehört auch, dass alle Kinder einen Schulabschluss und eine Berufsausbildung bekommen. Das erfordert extreme Anstrengungen und eine objektive Bewertung des gegenwärtigen Bildungssystems.

So etwas wäre eine wahrhaft sozialdemokratische Agenda – nicht das Schimpfen auf die letzte wirklich durchdachte wirtschaftspolitische Politikmaßnahme, die Agenda 2010, an der Martin Schulz übrigens nicht völlig unbeteiligt war. Man kann Details der Agenda 2010 verändern, aber das sollte wirklich nicht alles sein.

Zweitens: Das Rentensystem wird auf der Agenda bleiben. Dabei darf man nicht so tun, als ob es ausreiche, heutigen Rentnern mehr Gerechtigkeit zu bieten – also mehr Geld. Die Nachhaltigkeit des Systems muss gesichert werden. Wenn in der kommenden Wahlperiode nichts geschieht, um die absehbare Überlastung des Systems in etwa zehn Jahren zu verhindern, werden zukünftige Wahlkämpfe vor allem zu Streitereien zwischen den Generationen verkommen. Das kann keiner wollen!

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Drittens: Europa muss als Konzept und Lebensentwurf für Abermillionen überzeugte Europäer gerettet werden. Das heißt nicht, dass alles so bleiben muss, wie es ist. Hier hat Martin Schulz die Chance, sehr glaubwürdig die gegenwärtigen Schwächen der EU, an denen der maßgeblich Mitverantwortung trägt, zu identifizieren. So könnte er eine Diskussion um Alternativen und Lösungen auslösen. Es wäre dagegen grundfalsch, das Thema zu tabuisieren. Europa braucht eine Revitalisierung.

Viertens: Die Menschen erwarten Antworten auf die immer noch schwelende Flüchtlingskrise sowie das Problem mangelnder Integration bereits Zugewanderter. Es bedarf einer echten Einwanderungspolitik, die humanitäre Aspekte berücksichtigt und gleichzeitig die Interessen unserer Gesellschaft bedenkt. Sie muss Kriterien festlegen, nach denen in Zukunft Zuwanderung organisiert wird.

Ein weiteres Thema ist die Verteidigungspolitik. Angesichts der Krisen und Instabilitäten um uns herum können wir uns eine weitere Schwächung der Bundeswehr nicht leisten. Das Thema spielt außenpolitisch eine ernsthafte Rolle, wie der Besuch der Kanzlerin in Washington gezeigt hat. Vor Außenpolitik und Verteidigung darf ein ernsthafter Kanzlerkandidat nicht zurückschrecken. Die Nato, Terrorbekämpfung und Entwicklungszusammenarbeit sind eng zusammenhängende Themenfelder.

Es gibt somit viel zu tun. Martin Schulz hat die Chance, hier Positionen zu beziehen, die über das Jammern über die Umstände und das Versprechen, alles werde besser, hinausgehen. Er könnte konstruktive Lösungen für drängende Probleme anbieten. Wenn ihm das gelingt, erwartet uns ein spannender Wahlkampf mit echten Alternativen für das Land. Man kann ihm dafür nur alles Gute wünschen!

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