Fünf Lehren aus der Berlin-Wahl Regieren ohne Plan – nein, danke!

Die Große Koalition wurde am Sonntag in Berlin abgewählt. Doch anders als die CDU bekommt die SPD eine weitere Chance. Und die FDP zeigt, dass ein politischer Klon des Bundesvorsitzenden Erfolg haben kann.

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Der SPD-Spitzenkandidat Michael Müller Quelle: AP

Minus sieben Prozent für die SPD, minus sechs für die CDU. Die Berliner Bürger sagen Nein zur großen Koalition und Ja zu Rot-Rot-Grün. Linke und Grüne buhlen um die Gunst der SPD. Die CDU müsste sich neu erfinden – und dürfte daran scheitern. FDP und AfD atmen auf. Fünf Lehren aus der Abgeordnetenhaus-Wahl in Berlin. 

1.   Die SPD: Abgestraft, aber nicht abgewählt

Es ist die letzte Chance für den Regierenden Bürgermeister, der seit knapp zwei Jahren Berlin regiert. Als Michael Müller im Dezember 2014 die Nachfolge des (einst) schillernden Klaus Wowereit (SPD) antrat, inszenierte er sich als Macher. Anders als sein Vorgänger wollte er drängende Probleme in der Stadt lösen. Doch die Verwaltung ist immer noch heillos überfordert. Das für Flüchtlingsangelegenheiten zuständige Landesamt gilt bundesweit als das Negativ-Beispiel schlechthin in Sachen Krisenmanagement. Und der der Flughafen BER? Der soll 2017 noch eröffnen, versichert Müller. Reines Wahlkampf-Gerede halten ihm seine Kritiker entgegen und dürften wohl Recht behalten.

Die ersten Reaktionen zur Wahl
Die Berliner haben gewählt. Die rot-schwarze Koalition in Berlin ist abgewählt. Trotz deutlicher Verluste bleibt die SPD stärkste Kraft in der Hauptstadt. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller muss sich aber neue Partner suchen. Die zweitplatzierte CDU sackte bei der Abgeordnetenhauswahl nach ersten Prognosen auf das schlechteste Ergebnis in der Berliner Nachkriegsgeschichte ab. Ein Jahr vor der Bundestagswahl lieferten sich Grüne und Linke ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den dritten Platz. Die AfD setzte ihren Höhenflug fort und kam auf ein zweistelliges Ergebnis. Die FDP kehrt nach dem Aus von 2011 ins Parlament zurück. Erwartungsgemäß flogen die Piraten raus. Erste Reaktionen. Quelle: dpa
Michael Müller (SPD), Berlins Bürgermeister:Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) beansprucht nach dem Wahlsieg am Sonntag das Amt des Regierungschefs für seine Partei. Die SPD werde den Regierenden Bürgermeister stellen, sagte Müller am Sonntagabend. Welche Koalition er bevorzugt, ließ Müller offen. Nach jeweils deutlichen Verlusten reicht es für SPD und CDU nicht mehr für eine Regierungskoalition. Müller sagte: „Wir haben unser Ziel erreicht: Wir sind stärkste politische Kraft in dieser Stadt geblieben und wir haben einen Regierungsauftrag.“ Quelle: REUTERS
Frank Henkel (CDU):CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel hat das Abschneiden seiner Partei als absolut unbefriedigend bezeichnet. „Die Wählerinnen und Wähler haben der großen Koalition einen deutlichen Denkzettel verpasst“, sagte Henkel am Sonntagabend. „Wir haben eine gute Bilanz, aber ganz offensichtlich ist es uns in diesem Wahlkampf nicht gelungen, die Bilanz in eine erfolgreiche Kampagne und in Wählerstimmen umzusetzen“. Henkel warnte vor einer Spaltung in linke und rechte Lager und sagte: „Wir stehen zu Sondierungsgesprächen bereit.“ Das Ergebnis werde am Montag im Präsidium der CDU und im Landesvorstand aufgearbeitet. Quelle: REUTERS
Klaus Lederer, der Spitzenkandidat der Linken: Klaus Lederer, hält seine Partei für einen der großen Sieger bei der Abgeordnetenhauswahl. „Wir haben unser Wahlziel mehr als erreicht. Und das bei einer deutlich gestiegenen Wahlbeteiligung. Ich hätte das so nicht für möglich gehalten“, sagte Lederer am Sonntagabend. Quelle: dpa
FDP-Bundesvize Katja Suding:FDP-Bundesvize Katja Suding hat sich erfreut über das Ergebnis ihrer Partei bei der Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses gezeigt. „Nach Hamburg und Bremen ist nun auch im Stadtstaat Berlin wieder eine liberale Fraktion im Parlament vertreten“, sagte sie am Sonntag. Die Liberalen hätten im Wahlkampf die Sorgen und konkreten Alltagsprobleme der Berliner Bürger angesprochen, seien es die massiven Terminprobleme bei den Bürgerämtern, die Digitalisierung der Stadt oder die Schaffung bezahlbaren Wohnraums. Bei der Wahl am Sonntag war der 2011 aus dem Landesparlament geflohenen FDP die Rückkehr gelungen. Quelle: dpa
Markus Söder, Bayerns Finanzminister (CSU) zur "Bild"-Zeitung:"Das ist der zweite massive Weckruf in zwei Wochen. Der Union droht ein dauerhafter und massiver Vertrauensverlust in ihrer Stammwählerschaft. Dieser Trend bedroht auf Dauer die politische Stabilität des Landes. ... SPD und CDU müssen sich vor allem in der Flüchtlingsfrage wieder um mehr Zustimmung der Bürger bemühen und endlich die Zuwanderung strikt begrenzen und die Sicherheitsprobleme unter Kontrolle bringen." Quelle: dpa
CDU-Generalsekretär Peter Tauber:Peter Tauber hat das schlechte Abschneiden der Union bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin bedauert. Die CDU sei zwar zweitstärkste Kraft geblieben, dennoch sei das Ergebnis nicht erfreulich, sagte Tauber am Sonntagabend in Berlin. Der Wahlkampf sei sehr stark von der großen Unzufriedenheit mit dem rot-schwarzen Senat unter Führung von Michael Müller (SPD) geprägt gewesen. „Der Fisch stinkt bekanntlich vom Kopf her.“ Die CDU habe sich von dieser Stimmung nicht absetzen können, obwohl sei eine erfolgreiche Politik gemacht habe“, sagte Tauber. Quelle: dpa

Kurzum: Der Regierende Bürgermeister hat seine zwei Jahre im Amt nicht genutzt. Gerade Mal 53 Prozent der Berliner hätten sich bei einer Direktwahl für ihn entschieden, für einen Amtsinhaber ein schlechter Wert. Müller ist hinter den Erwartungen zurückgeblieben und wurde vom Wähler abgestraft: Aber: Seine SPD ist mit 21,6 Prozent stärkste Kraft geworden und hat damit den Auftrag, die nächste Landesregierung anzuführen – aller Voraussicht nach ein rot-rot-grünes Bündnis. Für die SPD im Bund ist die Botschaft klar: Regieren ohne Plan kommt beim Wähler nicht an. 

2.   Die (Berliner) CDU wird keine Groß- oder Hauptstadt-Partei mehr

Die Berliner haben keine Lust auf einen Möchtegern-Sheriff. Das ist Botschaft der Wähler an die CDU und ihren Spitzenkandidaten Frank Henkel. Der Noch-Innensenator muss in die Opposition. Ob er die auch anführen wird, ist unsicher. Die Berliner CDU hat das schlechteste Wahlergebnis aller Zeiten in der Hauptstadt geholt. Zurücktreten will Henkel zwar nicht, die Konservativen dürften dennoch darüber nachdenken, ob er noch der Richtige an der Spitze ist.

Denn ähnlich wie Müller hat auch der CDU-Mann nicht geliefert. Im vergangenen Jahr wurden etwa 570.000 Straftaten in der Hauptstadt begangen, knapp fünf Prozent mehr als im Vorjahr. Im Wahlkampf hatte Henkel auf den Slogan „Für ein starkes Berlin“ gesetzt. Aber welches? Jenes starke Berlin, an dem Henkel seit fünf Jahren erfolglos arbeitet? Oder ein Berlin, das sich für ein Burka-Verbot stark macht, so wie von Henkel gefordert?

Die Abgeordnetenhauswahl zeigt einmal mehr: Die Union hat ein Problem in Großstädten. Wer Rot-Rot-Grün nicht wollte, hatte mit der FDP und der AfD – je nach politischer Ausrichtung – Alternativen zur CDU. Eine moderne Großstadtpartei ist die Berliner CDU in den vergangenen fünf Regierungsjahren nicht geworden. Bleibt Henkel an der Spitze oder wählen die Konservativen einen ähnlichen Typus Politiker als seinen Nachfolger, dürfte sich daran auch nichts ändern.

3. Linke und Grüne im Duell

Die Linke ist mit 15,6 Prozent hauchdünn vor den Grünen gelandet. Beide Parteien dürften sich künftig in einer gemeinsamen Regierung wiederfinden. Die Linke wird die Rolle der Nummer zwei für sich beanspruchen. Denn während die Grünen leicht verloren haben, konnte die Linke vier Prozentpunkte zulegen im Vergleich zur Wahl 2011. Sie haben das Momentum auf ihrer Seite.

Die künftige Berliner Landesregierung darf durchaus als Testlabor für den Bund gesehen werden. Werden die drei Parteien auf Augenhöhe miteinander arbeiten oder wird die SPD einen der beiden Partner bevorzugen beziehungsweise vernachlässigen? Rücken die Grünen nun eher nach links und die Linken eher in die Mitte? Diese Fragen stehen im Raum –  in der Stadt Berlin, aber auch im Bund.

4.   Die FDP: Die Methode Lindner funktioniert

Sebastian Czaja ist nicht mit Christian Lindner verwandt. Und doch könnte der Berliner Spitzenkandidat der Liberalen als politischer Klon des Bundesvorsitzenden durchgehen. Czaja sagt Sätze wie: „Wir sind eine Partei des Mutes, nicht der Angst“ – ein Satz, den Lindner ebenfalls sagt. Der 33-jährige Czaja hat das Modell Lindner erfolgreich kopiert, die FDP schafft mit ihm an der Spitze klar den Wiedereinzug ins Parlament.

Lindners Ansatz für die FDP ist simpel. Der Partei soll sich für den Fortschritt einsetzen, für ein „Update“ für Deutschland (oder Berlin), für etablierte Unternehmen gleichermaßen wie für Startups. Und gelegentlich rügt der Bundesvorsitzende die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin scharf. All das zusammen sind die Zutaten der FDP für den Bundestagswahlkampf im kommenden Jahr. Die Chancen, dass die Mission Wiedereinzug gelingt, stehen gut.

5.   Die AfD schafft es auch in der Großstadt

Eine Partei, die nur ein Thema hat – nämlich eine alternative Flüchtlingspolitik – kann in einer Stadt wie Berlin kaum erfolgreich sein. Das hatten manche in den etablierten Parteien gehofft. Die Hoffnung war trügerisch. Eine solche Partei kann auch in einer Multi-Kulti-Hochburg Erfolge feiern. Und: Im Osten der Stadt ist die Partei deutlich stärker als im Westen, also dort, wo die Probleme wie Arbeitslosigkeit besonders akut sind.

Die AfD ist jetzt in allen ostdeutschen Landtagen vertreten, insgesamt in neun von 16 in ganz Deutschland. Die Partei hat sich in den Ländern eine solide Basis aufgebaut, mit dem sie in den Bundestagswahlkampf starten kann. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich am Wochenende exklusiv im Gespräch mit der WirtschaftsWoche von ihrem Satz „Wir schaffen das“ distanziert. Eine grundsätzlich andere Flüchtlingspolitik hat Merkel aber nicht im Sinn. Die AfD muss sich als keine Sorgen machen. Sie wird weiterhin das Ventil für all jene sein, die Merkels Politik ablehnen – ob auf dem Land oder in der Großstadt.

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