Dissens dürfe nicht übertüncht werden, sagt Kanzlerin Angela Merkel, als sie ihre Abschluss-Pressekonferenz zum G20-Gipfel in Hamburg eröffnet. Merkel meint natürlich den Dissens mit US-Präsident Donald Trump in wichtigen Streitfragen wie Klimaschutz oder Freihandel.
Merkel kann aber etwas anderes auch nicht übertünchen – dieser Weltgipfel in ihrer Geburtsstadt bedeutet weniger als drei Monate vor der Bundestagswahl für sie einen gleich doppelten Rückschlag.
Denn die Zähmung des widerspenstigen Donald kann die erwiesene politische Verhandlungskünstlerin Merkel nach den beiden intensiven Hamburger Gipfeltagen nicht vorweisen. Gewiss, Merkel vermag auf den Satz in der Abschlusserklärung verweisen, durch gemeinsames Handeln könne mehr erreicht werden als alleine. Doch dass sie diese Selbstverständlichkeit hervorheben muss, zeigt wie wenig noch selbstverständlich ist in diesen Trump-Tagen.
Gut, Merkel kann auch auf ein weiteres Projekt verweisen, das ihr am Herzen liegt: Für den vor kurzem ins Leben gerufenen Weltbank-Fonds zur Stärkung von Unternehmerinnen in Entwicklungsländern regnete es beim Gipfel weitere Geldzusagen. Aber damit das gelang, musste Merkel dulden, dass Präsidententochter Ivanka (mit dem Fonds beauftragt) ihren Vater zwischenzeitlich im Kreis der Super-Mächtigen vertrat – was gleich wieder Nepotismusdebatten auslöste.
Und: Merkel konnte eben nicht verhindern, dass das Motto „Donald gegen den Rest der Welt“ diesen Gipfel prägte. Die 19 anderen Mitglieder der G20 bekannten sich zu einer raschen Umsetzung des Pariser Klima-Abkommens, aus dem die USA unter Trump ausgestiegen sind. Damit stellten sich auch nicht gerade als Klimafreunde bekannte Länder wie China, Russland und Saudi-Arabien gegen den US-Präsidenten.
Ein Kommuniqué auch mit der Unterschrift der USA wurde nur dadurch möglich, dass die anderen Teilnehmer die amerikanische Position zwar aufnehmen – sie sich aber ausdrücklich nicht zu eigen machen.
Auch beim Freihandel ruderte Trump zurück. Die G20 erkannten die „Rolle legitimer Verteidigungsinstrumente im Handel“, ein Zugeständnis an Trumps Abschottungspolitik. Zwar steht im Abschlusstext auch ein Nein zu Protektionismus. Aber was das genau bedeutet, das sehen einzelne G20-Mitglieder ganz unterschiedlich.
Trump hat eine neue Dimension in Merkels Welt gebracht
Das war aber nicht der einzige Rückschlag für Merkel. Sie musste sich in der Pressekonferenz auch die Frage gefallen lassen, ob sie für schöne Gipfelbilder Ausschreitungen in der als Demo-Hochburg bekannten Hansestadt in Kauf genommen habe und Warnungen dazu zu lange ignoriert habe?
Wird die Debatte über die Gewalt in Hamburg den Bundestagswahlkampf entscheidend beeinflussen? Eher nicht. SPD-Herausforderer Martin Schulz versuchte zwar umgehend zu punkten, indem er um Entschädigung für die Opfer von Gipfelgewalt drängte. Aber soll ausgerechnet der ehemalige Präsident des Europaparlaments und erklärte Multilateralist Schulz der Kanzlerin glaubhaft vorhalten, zu einem Weltgipfel zur Diskussion von weltweiten Problemen geladen zu haben? Noch dazu da Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz - ebenfalls in der Kritik, die Ausschreitungsgefahr unterschätzt zu haben - ein Parteifreund ist?
Gefahren drohen Merkel für den Wahlkampf aber bei zwei anderen Gipfellehren. Trump hat eine ganz neue Dimension in Merkels Welt gebracht: die Unverlässlichkeit, die an Unzurechnungsfähigkeit grenzt. Und, Stichwort "alternative facts", die Unfähigkeit, eine gemeinsame Gesprächsgrundlage zu finden.
Beides hat dieser Gipfel überdeutlich gezeigt – und unterminiert so die größte Stärke der Politikerin Merkel, eben ihre Fähigkeit, die Welt miteinander in Dialog zu bringen und zu halten. Wenn selbst Merkel (angeblich die "Führerin der freien Welt) das aber nicht mehr schafft - wie viel wert ist dann ihr indirektes Wahlkampfargument, die Deutschen sollten noch einmal für sie stimmen, damit sie die Welt im Innersten zusammenhält? Diese Gipfel-Lehre muss die Kanzlerin mehr fürchten als jeden Barrikaden-Brand.
Freilich können ihr diese auch nicht egal sein. Ebenso wenig wie die Rückkehr von Fragen, die sie im Wahlkampf unbedingt vermeiden will – die Frage vom Staatsverlust, vom Kontrollverlust, die schon während der Flüchtlingskrise oder in der Kölner Silvesternacht thematisiert worden sind.
Diese Fragen waren von der politischen Tagesordnung verschwunden, seit die Flüchtlingskrise abflaute. Aber die könnte angesichts der aktuellen neuen Flüchtlingskrisen am Mittelmeer diesen Sommer auch wieder aufleben – und die Debatte wünscht sich die Kanzlerin auf keinen Fall.
Man solle die Gewalt in Hamburg, Flüchtlingskrise und Kölner Silvesternacht nicht in einen Topf werfen, entgegnete Merkel auf eine Frage dazu. Aber genau das geschieht manchmal in Wahlkämpfen.