G20-Gipfel in Hamburg Polizei-Show mit Folgen

Tausende gewaltbereite Demonstranten wollten angeblich zum G20-Gipfel kommen. Bei seinem Besuch am Dienstag räumte Innenminister de Maizière aber ein, die Zahl sei bewusst hoch gegriffen. Bleibt es überraschend friedlich?

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Der Innenminister ist auf Stippvisite in Hamburg, wenige Tage vor dem G20-Gipfel. Quelle: Reuters

Hamburg Wie viele gewaltbereite Demonstranten kommen nach Hamburg zum G20-Gipfel? Offenbar doch nicht so viele, wie die Polizei geschätzt hat. Noch Ende Juni nannte die Agentur Reuters aus Sicherheitskreisen die Zahl 10.000, zuletzt sprach Innenminister Thomas de Maizière (CDU) von 8000. Am Dienstagnachmittag relativierte er bei einem Besuch in Hamburg auch diese Zahl. „Es ist gut, von einer hohen Zahl auszugehen – wir freuen uns, wenn es weniger sind“, sagte der Minister. Von den „bis zu 8000“ potenziellen Gewalttätern, könnten einige möglicherweise wegen der Warnung zu Hause bleiben, andere schon auf der Anreise abgehalten werden, weitere könnten sich vor Ort entscheiden, doch keine Gewalt anzuwenden, sagte de Maizière.

Vorangegangen war eine kleine Show der polizeilichen Möglichkeiten. Rund um das Messezentrum, dem eigentlichen Tagungsort, posierten Polizisten in einer Motorradstaffel, angeführt von zwei Reitern hoch zu Polizeipferd. Wenige hundert Meter weiter sammelte sich eine dänische Einheit. Erfahrene Staffelfahrer aus den Hauptstädten Kopenhagen und Wien unterstützen die deutsche Polizei bei den nötigen Konvois vom Flughafen mitten in die Stadt. US-Helikopter flogen über die Alster und übten den Fall einer Evakuierung, falls Staatsgäste in Sicherheit gebracht werden müssten.

In der Halle hielten de Maizière und Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) vor Fernsehkameras Small-Talk mit telegen ausgewählten Einsatzbeamten: darunter einige Österreicher und Polizeischülerinnen, die als Ansprechpartner für die Anwohner fungieren. Daneben durfte eine schwer bewaffnete „Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit Plus“ dem Minister ihre neuen Helme und G36-Gewehre zeigen – und ihre Meinung zum Thema Body-Cam, einer Kamera auf der Schulter – äußern. Allerdings: Beim Gipfel kommen die Geräte gar nicht zum Einsatz.

Der Zweck der ministerialen Visite im allgemeinen Klassenfahrts-Trubel gut gelaunter, neu eintreffender Einheiten aus ganz Deutschland blieb etwas vage. „Ich will meine Solidarität und Unterstützung ausdrücken“, sagte de Maizière, um zudem noch die „ausgezeichnete Zusammenarbeit“ aller Behörden zu loben. Mindestens 10.000 Beamte von verschiedenen Landespolizeistellen, BKA, Bundespolizei und ausländischen Behörden sollen im Einsatz sein.

In Richtung potenzieller, noch unentschlossener Gewalttäter betonte der Innenminister den ausgerufenen Null-Toleranz-Kurs: „Gewalttätiger Protest kann sich nicht auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit berufen und wird unterbunden. Kein Demonstrant kann bestimmen, ob, wann und wo sich Regierungschefs in Deutschland auf Einladung der Kanzlerin treffen.“

In Hamburg demonstrierte die Polizei den strengen Kurs im praktischen Einsatz erstmals am Sonntagabend, als etliche Einsatzkräfte elf kleine Schlafzelte in einem als Versammlungsort genehmigten Camp im Elbpark Entenwerder unter Einsatz von Pfefferspray einkassierten. Seitdem verlagert sich die Diskussion in Hamburg auf die Frage, ob doch noch irgendwo Übernachtungszelte gestattet werden. Vor allem auf Twitter gerät dabei die Polizei unter #Entenwerder unter Kritik. Auch die Linkspartei kritisierte – wie zu erwarten – den harten Kurs der Polizei.

Innensenator Grote blieb hart: „Wer ein Übernachtungscamp in Hamburg genehmigt, geht ein unverantwortliches Risiko ein“, sagt er. Zwar gebe es auch friedliche Demonstranten, die sich ein Zeltlager wünschten. Doch seien die konkreten Anmelder mit den vom Verfassungsschutz beobachteten Organisationen Rote Hilfe und dem Veranstaltungszentrum Rote Flora verbunden. „Die Frage der Camps ist daher nicht von der Frage des Gewaltpotenzials trennbar“, sagte Grote und erhielt Zustimmung von de Maizière.

Wohl nicht ganz unwillkommener Nebeneffekt des Übernachtungsverbots in öffentlichen Parkflächen: Bei fehlenden Schlafplätzen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Andeutung des Ministers wahr wird, potenzielle Gewalttäter würden gar nicht erst anreisen. Gut möglich, dass die großen Gewaltorgien, vor denen die Polizei seit Wochen warnt, mangels Teilnehmer ausbleiben. Dabei ist die Frage, wie hoch die Polizei die Zahl gewaltbereiter Störer einschätzt, nicht ohne Relevanz. Die Lageeinschätzung dient den Gerichten auch dazu zu urteilen, inwieweit die Versammlungsfreiheit eingeschränkt werden darf. In Hamburg gilt ein Streifen zwischen Flughafen und Elbphilharmonie als Verbotsbereich.

Er erleichtert es den Polizisten, die angekündigten Straßenblockaden zu verhindern. Bislang haben die Gerichte auch bestätigt, dass die Behörden die Übernachtungsmöglichkeit in solchen Camps untersagen darf, die Gerichte als reinen Demonstrationsort mit offenen Veranstaltungszelten genehmigen. Am Dienstag protestierten einige Aktivisten dagegen mit dem kurzzeitigen Aufbau von Zelten an verschiedenen Orten in der Stadt – in überschaubarem Maß. Die Polizei übte derweil mit mehreren Hubschraubern Flüge über die Alster.

Eine Gruppe scheinen die Gewaltdiskussion und die demonstrative Polizeipräsenz bereits abzuschrecken: friedliche Demonstranten. Die erste große Familiendemonstration am Sonntag, zu der Gruppen wie der BUND und WWF aufgerufen hatten, litt unter einer geringen Teilnahme. Die Polizei schätzte 8000 Teilnehmer, die Veranstalter gut das Doppelte – weit unter ihren Erwartungen.

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