G20-Krawalle Innenministerium attackiert SPD-Kanzlerkandidat

In der G20-Debatte hat SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz die Randalierer in die Nähe von Terroristen gerückt. Das Bundes-Innenministerium wertet dies als unzulässige Einmischung in die Arbeit der Strafjustizbehörden.

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Wegen einer Terrorismus-Äußerung in der Kritik: SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz. Quelle: dpa

Berlin Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Günter Krings (CDU), hat SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz scharf dafür kritisiert, dass dieser im Zusammenhang mit den G20-Ausschreitungen von Terrorismus gesprochen habe. „Mir ist nicht bekannt, dass der Kanzlerkandidat der SPD über besondere Kompetenzen im Strafprozessrecht verfügt“, sagte Krings dem Handelsblatt. „Die Politik tut gut daran, voll und ganz auf die Expertise und die Unabhängigkeit der Strafjustizbehörden zu setzen.“

Insbesondere der Generalbundesanwalt könne selbst am besten beurteilen, von wem die Strafverfahren am effektivsten geführt werden, betonte der CDU-Politiker. „Die Politik sollte die Strafjustiz ihre Arbeit machen lassen und sich  vor allem in Hamburg darauf konzentrieren,  die etwa im Umfeld der Roten Flora rechtsfreie Räume und damit den Nährboden für  linksextreme Gewalt zu beseitigen“, so Krings.

Nach den schweren Krawallen am Rande des G20-Gipfels in Hamburg hatte Schulz mit Blick auf mutmaßlichen Täter von „marodierenden Banden“ gesprochen, die  für sich keinerlei politische Legitimation in Anspruch nehmen könnten. „Das hat Züge von Terrorismus“, sagte der SPD-Chef bei einem Besuch am Montag in Ingolstadt.

Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Ansgar Heveling (CDU), warnte vor vorschnellen Schlüssen bei der Aufarbeitung der Gewaltexzesse in Hamburg. Die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts bemesse sich ausschließlich nach klaren strafjuristischen Vorgaben im Gerichtsverfassungsgesetz, sagte Heveling dem Handelsblatt.

Im Fall der G20-Krawalle habe man es mit schweren Straftaten zu tun, etwa Landfriedensbruch, gefährlicher Körperverletzung oder versuchten Tötungsdelikten. „Das alles ist die Vorstufe von Terrorismus, ist aber wohl noch nicht vom Terrorismusstrafrecht erfasst“, betonte der CDU-Politiker. „Wichtig ist, dass die Täter schnell ermittelt werden, ihnen wegen der schweren Gewaltdelikte rasch der Prozess gemacht wird und sie hart bestraft werden.“

Das Bundesjustizministerium kommentierte die Schulz-Äußerungen nicht. Eine Ministeriumssprecherin erklärte lediglich auf Anfrage des Handelsblatts, dass der Generalbundesanwalt im Rahmen seiner Zuständigkeit grundsätzlich selbst entscheide, „ob er Ermittlungen wegen bestimmter Straftaten aufnimmt“.


SPD findet Unions-Verhalten nach G20-Gipfel „widerlich“

SPD-Kanzlerkandidat Schulz warf derweil dem Koalitionspartner in der G20-Debatte Unanständigkeit vor - und teilt damit die heftige Kritik von Außenminister Sigmar Gabriel (SPD). Die „unfaire Vorgehensweise“ der Union sei „nicht akzeptabel“, sagte Schulz am Mittwoch in Köln auf einer Sommerreise durch Nordrhein-Westfalen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) warf er vor, sie habe ihren Regierungssprecher und Kanzleramtsminister öffentlich Krokodilstränen vergießen lassen, aber gleichzeitig führende Unionspolitiker losgeschickt, um die SPD zu verleumden und in die Nähe von Linksextremisten zu rücken. „Das ist, wie Sigmar Gabriel es genannt hat, perfide.“

Gabriel hatte der Union in der Diskussion über die G20-Krawalle am Dienstag „ein bisher nicht gekanntes Maß an Verlogenheit“ vorgeworfen. Auch Schulz beklagte, Vorwürfe aus der Union, die SPD sei auf dem linken Auge blind, seien unanständig. „Ich habe es aufgegeben, von der anderen Seite Anständigkeit zu erwarten.“ Auf die Frage, ob das Verhältnis zur Union zerrüttet sei, sagte der SPD-Chef ausweichend, die Koalitionspartner hätten die Verpflichtung, das Land zu regieren.

Scharfe Kritik an der Union kam auch von SPD-Generalsekretär Hubertus Heil. „Ich empfinde es als widerlich, dass Teile der Union versuchen, die Geschehnisse des G-20-Gipfels für ihre pseudotaktischen parteipolitischen Spielchen zu missbrauchen“, sagte Heil dem Handelsblatt (Donnerstagsausgabe). Die SPD stehe in den Tagen nach den unsäglichen Gewaltexzessen geschlossen hinter den Polizistinnen und Polizisten und den Opfern.

Ähnlich äußerte sich SPD-Bundesvize Thorsten Schäfer-Gümbel.  „Verantwortung für gemeinsam getroffene Entscheidungen ist nicht teilbar — nicht in Sonnen- und auch nicht in Schattenseiten“, sagte er dem Handelsblatt. „Die infamen Versuche der Union genau das zu tun, markieren einen charakterlichen Tiefpunkt. So was Respektloses habe ich schon lange nicht mehr erlebt.“

Schulz lobte die Regierungserklärung von Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Diese sei klar und „im Ton angemessen“ gewesen. Scholz habe die Verantwortung, die ihm selbst zukomme, in einer sehr korrekten Haltung dargestellt. Daran könnten sich „andere Regierungschefs oder -chefinnen“ ein Beispiel nehmen. Merkel trage zwar ebenso wenig wie Scholz eine persönliche Verantwortung für die Ausschreitungen. „Ich hätte es nur gut gefunden, Frau Merkel hätte die gleiche Haltung eingenommen wie Herr Scholz.“


Bei G20-Grenzkontrollen über 700 Straftäter festgenommen

Nach Angaben von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sind nach Hamburg Gewalttäter in „dreistelliger Größenordnung“ angereist. Hunderte seien zurückgewiesen worden, sagte er.  Vor Ort gab es rund 400 Fest- und in Gewahrsamnahmen. Bei den Festnahmen wegen schwerer Straftaten erwarte er nun, dass die Justiz zu harten Urteilen komme, so der Minister.

Unabhängig davon waren bereits im Zuge der G20-Grenzkontrollen über 700 Straftäter festgenommen worden. Der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster sprach in diesem Zusammenhang von auf massiven Defiziten bei der Schleierfahndung in mehreren Nachbarländern Deutschlands. „Dieser Fahndungserfolg deutet darauf hin, dass in Europa leider das Motto „freie Fahrt für Straftäter“ gilt“, sagte Schuster der Nachrichtenagentur dpa. Die vereinbarte Schleierfahndung werde nur von Deutschland, der Schweiz und wegen der Migrationsbewegungen „neuerdings auch von Österreich“ in angemessenem Umfang umgesetzt. Viele Staaten des Schengen-Raumes seien aber auf diesem Gebiet sehr inaktiv.

Die Bundespolizei hatte bei den vorübergehenden Kontrollen in Zusammenhang mit dem G20-Gipfel in Hamburg vergangene Woche insgesamt 917 Menschen zurückgewiesen und 744 per Haftbefehl gesuchte Straftäter festgenommen. Dies hatte ein Sprecher des Bundespolizeipräsidiums in Potsdam am Dienstag bestätigt. Zuerst hatte die Zeitung „Die Welt“ darüber berichtet.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) bewertete die Festnahmen bei den G20-Kontrollen als großen Erfolg. Sie fordert deshalb eine Fortführung verstärkter Kontrollen in anderen kritischen Lagen. „Das zeigt, wie wertvoll der Grenzschutz ist, und wie viel er auch für die innere Sicherheit in Deutschland bedeuten kann“, sagte Jörg Radek, Vorsitzender der GdP in der Bundespolizei, der dpa. „Es kann nicht sein, dass die Grenzen nur bei hohen Staatsbesuchen geschützt werden“, fügte er hinzu. Eine Wiedereinführung dauerhafter Grenzkontrollen lehnt der Gewerkschaftschef allerdings ab. „Wir wollen die Freizügigkeit in Europa, die haben wir uns erstritten.“

Vom 12. Juni bis zum vergangenen Wochenende waren durchschnittlich 3500 Bundespolizisten pro Tag zu Grenzkontrollen im Einsatz. Das Bundesinnenministerium hatte die Checks für alle deutschen Schengen-Binnengrenzen angeordnet.

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