G20-Krawalle und die Folgen Linksextremisten fordern Bundesregierung heraus

Nach den Ausschreitungen am Rande des G20-Gipfels deuten sich erste Konsequenzen an. Justizminister Maas will beim Linksextremismus künftig „sehr genau hinsehen“ – und dabei  auf europäische Unterstützung zurückgreifen.

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Polizeikräfte setzen am Rande des G20-Gipfels in Hamburg auch Wasserwerfer gegen Gewalttäter ein. Quelle: dpa

Berlin Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) strebt nach den gewalttätigen Ausschreitungen beim G20-Gipfel in Hamburg ein grenzüberschreitendes Vorgehen gegen Linksextremisten an. „Die brutalen Krawalltouristen machen an keiner Grenze halt“, sagte Maas am Montag in Berlin. Ein „hoher Anteil“ der gewaltbereiten Extremisten sei aus dem europäischen Ausland zu G20 angereist. Deshalb sei in der EU ein „besserer Austausch über extremistische Gewalttäter“ notwendig. „Wir haben eine neue Qualität der Gewalt erlebt, auf die wir auch mit mehr Kooperation bei der Bekämpfung von Extremisten reagieren sollten“, betonte der Minister.

Damit macht sich erstmals ein Mitglied der Bundesregierung für einen europäischen Schulterschluss im Kampf gegen linke Gewalttäter stark. Gleichwohl ist die Stoßrichtung nicht neu. Schon 2007 war eine europaweite Datei für gewaltbereite Autonome gefordert worden. Seinerzeit vom damaligen niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann (CDU). Auslöser waren Krawallen mit fast 1000 Verletzten bei der Anti-G8-Demonstration in Rostock. Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU), der damals Kanzleramtsminister war, wies den Vorstoß seinerzeit mit der Begründung zurück, dass die Rechtslage ausreichend sei.

Nun scheint der politische Wille jedoch deutlich größer zu sein, mit der Einführung einer europäischen Extremistendatei auf die G20-Ausschgreitungen zu reagieren. Innenpolitiker von Union und SPD ziehen hier jedenfalls an einem Strang. Mit einer solchen Datei hätten die Behörden einen besseren Überblick über Gewalttäter, sagte die Vize-Chefin der SPD-Bundestagsfraktion, Eva Högl, der „Rheinische Post“.

Auch der Unions-Innenexperte Stephan Mayer (CSU) hält eine europäische Extremistendatei für Linksradikale „für sehr sinnvoll und unterstützenswert“. Der für Inneres und Recht zuständige Vizevorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Stephan Harbarth (CDU), verlangte, die Grenzkontrollen fortzuführen, um mögliche Gewalttäter an der Ein- oder Ausreise zu hindern. Bei den Kontrollen der vergangenen Wochen seien der Polizei mehrere Hundert Straftäter ins Netz gegangen, sagte Harbarth dem Handelsblatt.

Der CDU-Politiker äußerte zugleich sein Unverständnis über die geringe Zahl von Festnahmen nach den Hamburger Krawallnächten. „Es ist nicht hinnehmbar, dass ein Mob von 1.000 Leuten Hamburg in ein Bürgerkriegsgebiet verwandelt und wir nachher nur ein paar Dutzend Haftbefehle haben“, sagte Harbarth. Hier erwarte er eine Antwort des Bundesjustizministers, wie sich das künftig ändern lasse. Die Ereignisse von Hamburg zeigten, dass Linksextremismus nicht entschieden genug entgegengetreten werde. „Ich glaube, dass wir die Quittung dafür bekommen haben, dass Teile des politischen Spektrums Linksextremismus für salonfähig und Gewalt für ein Kavaliersdelikt halten.“ Es gebe in Deutschland eine breite Ächtung von Rechtsextremismus. Gleiches gelte leider nicht für das linke Spektrum. „Wir brauchen eine Null-Toleranz-Strategie gegen jede Form von Extremismus, egal ob politisch oder islamistisch motiviert.“

Der CSU-Innenpolitiker Mayer forderte in diesem Zusammenhang die Schließung von Autonomen-Zentren wie der Roten Flora in Hamburg und in der Rigaer Straße in Berlin. Diese rechtsfreien Räume dürften nicht mehr von den Behörden geduldet werden.

Bei den Krawallen am Rande des Gipfels der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer wurden den Sicherheitsbehörden zufolge fast 500 Polizisten verletzt. Maas sprach mit Blick auf die Hamburger Krawalle von Schwerstkriminalität und betonte, dass man auch beim Linksextremismus „sehr genau hinsehen“ müsse. Das gelte sowohl für den Verfassungsschutz als auch für die Prävention. Extremismus dürfe in Deutschland keinen Platz haben, unterstrich der Minister, „völlig egal, welches die Motive sind“.

Maas kündigte zugleich ein hartes Vorgehen gegen mögliche Helfer der gewaltbereiten Extremisten an. „Wer hemmungslose Gewalt unterstützt, wird sich ebenfalls vor Gericht verantworten müssen“, sagte der SPD-Politiker. „Unser Rechtsstaat wird darauf mit Härte und Konsequenz  reagieren.“

Rückendeckung von ungewohnter Seite erhielt derweil der Erste Bürgermeister Hamburgs, Olaf Scholz (SPD). Kanzleramtsminister Peter Altmaier wies Forderungen aus seiner Partei, der CDU,  nach einem Rücktritt von Scholz wegen der Ausschreitungen zurück. Er könne keinen Grund für einen Rücktritt des SPD-Politikers erkennen, sagte Altmaier am Montag auf NDR Info. „Die Bundesregierung hat gemeinsam mit Hamburg alle Schritte geplant und vorbereitet. Deshalb ist das für mich zum jetzigen Zeitpunkt nicht die Frage einer parteipolitischen Auseinandersetzung, sondern einer Auseinandersetzung zwischen Demokraten, die den Rechtsstaat verteidigen, und den radikalen, autonomen, linksextremen Minderheiten, die diesen Rechtsstaat herausfordern.“

Scholz wird vorgeworfen, die Gefahr von Gewalttaten vor dem Gipfel heruntergespielt zu haben. Hamburgs CDU-Fraktionschef André Trepoll hatte am Sonntag von der „größten politischen Fehleinschätzung eines Hamburger Bürgermeisters aller Zeiten“ gesprochen.


Argumente für Gipfel-Standort Hamburg „lebensgefährlich und dumm“

Auch der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) ging Scholz hart an. Man habe davor gewarnt und abgeraten, den G20-Gipfel in Hamburg durchzuführen. „Das Argument, dass wir uns nicht von Chaoten vorschreiben lassen dürfen, wo wir so einen Gipfel abhalten werden, ist nicht tragbar, lebensgefährlich und schlicht dumm“, sagte der BDK-Bundesvorsitzende Andre Schulz dem Handelsblatt. Scholz hätte daher Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) „deutlich sagen müssen, dass das Risiko aufgrund der Rahmenbedingungen in Hamburg zu groß ist und man nicht für die Sicherheit der Stadt und für Leib und Leben der eingesetzten Sicherheitskräfte, Demoteilnehmer und Unbeteiligter garantieren kann“

Altmaier verteidigte indes die Entscheidung, das G20-Gipfeltreffen in Hamburg auszurichten. „Wir haben diese Treffen seit vielen Jahren, sie haben auch in Großstädten wie London, Washington und Berlin stattgefunden. Ich glaube, wir dürfen uns von einem kleinen, radikalisierten Mob nicht einschüchtern lassen und wir dürfen uns nicht vorschreiben lassen, wo wir diese Gipfel durchführen.“

Gleichwohl ist das Sicherheitskonzept für den Gipfel aus Sicht des Polizeigewerkschafters Schulz „schlichtweg nicht aufgegangen“. Mehr als 20.000 Polizisten seien nicht in der Lage gewesen, die Stadt vor 1.500 linken Kriminellen zu schützen. „Was wäre eigentlich passiert, wenn tatsächlich die prognostizierten 8.000 linken Gewalttäter nach Hamburg gekommen wären und es an verschiedenen Orten der Stadt gleichzeitig zu Ausschreitungen gekommen wäre? Man mag es sich nicht ausmalen“, so Schulz.

Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, sprach von „ungeheuren Belastungen“, denen die Einsatzkräfte ausgesetzt gewesen seien. „Der Gipfel selbst und die Staatsgäste mussten geschützt, das Versammlungsrecht gewährleistet und gleichzeitig Gewalt unterbunden werden“, sagte Wendt dem Handelsblatt. „Viele Einheiten der Polizei waren weit mehr als 50 Stunden im Einsatz und kamen zwischendurch gerade einmal für zwei Stunden zur Ruhe.“

Zugleich verteidigte Wendt das Vorgehen der Polizisten gegen Kritik. Die Störer hätten auf bewährte Strukturen der Hamburger linken Szene zurückgreifen können. „Es war nicht zu verhindern, dass kleine Gruppen blitzschnell auftauchten, erhebliche Straftaten begingen und dann auch wieder unter Passanten verschwanden.“ Das habe in der Bevölkerung natürlich Angst und auch Zorn ausgelöst. Die Einsatzkonzeption der Polizeiführung sei aber „überzeugend und richtig“ gewesen. „Aber es bräuchte die Fähigkeit, an mehreren Orten gleichzeitig zu sein, wenn man Kleingruppentaktik bekämpfen will.“

Die Hamburger Polizei richtet nun eine Sonderkommission ein, die die Ursachen für die Gewalt in den Blick nehmen soll. „Wir müssen uns schon damit beschäftigen, wo kommt diese neue Qualität her. Wer hat auch dazu beigetragen, wer ist verantwortlich dafür? Wie kriegen wir die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen?“, sagte Innensenator Andy Grote (SPD) dem Sender NDR Info. Es gehe auch um die Strukturen und um die Frage, wer die Gewalttäter nach Hamburg eingeladen, beherbergt und bei ihren Taten gedeckt habe.

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