Gabriels Pläne Energie-Reform wird für Industrie teuer

Tag zwei bei der Regierungsklausur in Meseberg: Heute wollen Merkel und Gabriel ihr Programm vorstellen. Im Mittelpunkt steht dabei die Energiewende. Nach einem Bericht wird diese für die Industrie teuer als gedacht.

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BraunkohleNoch immer der mit Abstand bedeutendste Energieträger Deutschlands: Im Jahr 2013 ist die klimaschädliche Stromproduktion aus Braunkohle auf den höchsten Wert seit 1990 geklettert. Mit 162 Milliarden Kilowattstunden macht der Strom aus Braunkohlekraftwerken mehr als 25 Prozent des deutschen Stroms aus. Das geht aus vorläufigen Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen hervor. Quelle: dpa

Berlin Die Industrie muss sich für die Energiewende auf höhere Belastungen einstellen. Neben den Einschnitten bei der Ökostrom-Branche beschloss die Bundesregierung am Mittwoch überraschend höhere Abgaben für das Gewerbe, die sich auf mindestens einen dreistelligen Millionen-Betrag belaufen. Dies geht aus einem Anhang zur Kabinettsvorlage hervor, der der Nachrichtenagentur Reuters vorliegt. Seine Eckpunkte für die Energie-Reform ergänzte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) so um Einschnitte für Betriebe, die Strom selbst produzieren. Darauf war bisher keine Ökostrom-Umlage fällig.

Gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel will Gabriel an diesem Donnerstag zum Abschluss der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg das Arbeitsprogramm der großen Koalition für dieses Jahr vorstellen. Die CDU-Vorsitzende und der SPD-Chef wollen dabei vor allem die nächsten Schritte zur Energiewende erläutern.

Laut Gabriels Vorlage wird Energie nun aus neuen Kraftwerken mit bis zu 90 Prozent der Haushalts-Abgabe belegt, und selbst Altanlagen werden nicht verschont. Der Industrie drohen noch weitere Kosten: Auch die Rabatte für große Stromverbraucher auf die Umlage sollen gekürzt werden. Einzelheiten sind dazu jedoch noch nicht bekannt.

Belastungen für selbst erzeugten Industriestroms waren zwar bereits im Koalitionsvertrag angekündigt, das Ausmaß ist aber überraschend. Immerhin ein Viertel des Stroms wird in Kraftwerken inzwischen selbst erzeugt mit steigender Tendenz. Hauptgrund war, dass die Ökostrom-Umlage darauf nicht gezahlt werden musste, die bei Industriestrom teils die Hälfte des Preises ausmacht. Konzerne wie BASF, die Deutsche Bahn oder Bayer nutzen daher in großem Ausmaß eigene Kraftwerke.

Jetzt soll die Energie aus neuen Anlagen der Industrie mit 90 Prozent der Umlage von derzeit 6,24 Cent pro Kilowattstunde belastet werden. Auf Strom aus Kraftwerken auf Basis erneuerbarer Energien und Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) wird 70 Prozent fällig. Dies bedeutet einen Einschnitt auch für größere Solaranlagen auf Dächern, die sich meist nur noch rechnen, wenn Haushalte einen Teil des Stroms selbst verbrauchen.

Vor allem plant die Regierung offenbar auch bestehende Kraftwerke trotz des Prinzips des Bestandschutzes einzubeziehen: Altanlagen sollen zwar in Höhe der Umlage 2013 von 5,28 Cent pro Kilowattstunde entlastet werden. Da die Umlage 2014 aber auf 6,24 Cent gestiegen ist, lässt sich schließen, dass die Differenz von rund einem Cent dann für diesen Strom fällig wird. Weitere Steigerung bei der Ökostrom-Umlage in den nächsten Jahren kämen noch hinzu. Das Wirtschaftsministerium lehnte jede Stellungnahme zu dem Anhang des Kabinettsbeschlusses ab.


Bayer fürchtet um Wirtschaftlichkeit der Kraftwerke

Der Chemiekonzern BASF bezifferte die zusätzlichen Kosten pro Jahr auf einen mittleren bis hohen zweistelligen Millionen-Betrag. Der Leverkusener Bayer-Konzern erklärte, die eigenen Kraftwerke würden sich bei Umsetzung der Beschlüsse nicht mehr wirtschaftlich betreiben lassen. Dies gelte für alte wie neue, sagte ein Sprecher.
Präzisiert wurde beim Treffen in Meseberg auch die Kürzungen bei der Windrad-Förderung: Bleibe der Zubau im Rahmen von maximal 2600 Megawatt im Jahr, werde die Förderung jährlich um 1,59 Prozent für neue Windräder gekürzt, heißt es in dem Papier. Wird mehr als 2600 Megawatt gebaut, verschärft sich die sogenannte Degression danach noch einmal um 0,1 Prozentpunkte für jeweils 200 Megawatt Überschreitung. Die Einschnitte bei der Windenergie hatten bereits vor allem bei den SPD-Ministerpräsidenten der Küstenländer Protest ausgelöst.

Widerstand gab es aber auch von Seiten der CSU-Ministerien in der Bundesregierung: Sie stießen sich an den drastischen Einschnitten bei der Förderung der Biomasse, die Gabriel auch im Vergleich zu Wind und Solar für zu teuer hält. In einer Protokollnotiz halten das Landwirtschafts-, Verkehrs- und Entwicklungsministerium zudem fest, dass die von Gabriel „kurzfristig vorgelegte Anlage zu den Eckpunkten für die Reform des Erneuerbare Energien-Gesetzes ... noch einer eingehenden Prüfung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens (bedarf)“. Ausdrücklich wird betont, dass Biomasse anders als Wind und Solar eine bedarfsgerechte Stromerzeugung ermögliche und damit zur Stabilität der Stromversorgung beitrage.

FDP-Chef Christian Lindner geht die Energiewende-Reform unterdessen nicht weit genug. „Die Vorschläge von SPD-Chef Gabriel sind ein Anfang, aber noch nicht couragiert genug“, sagte Lindner dem „Hamburger Abendblatt“. Um die Energiewende effizient und bezahlbar zu stemmen, brauche es „eine grundlegende marktwirtschaftliche Korrektur und stärker europäisches Denken“. Die Koalition von Union und SPD wolle aber „weiter den deutschen Sonderweg in der Energiepolitik“ fortsetzen, kritisierte Lindner.

Kritik kam auch vom Präsidenten des Bundeskartellamts, Andreas Mundt. Die Gefahr einer „Überförderung“ der Offshore-Windkraft werde durch die verabschiedeten Eckpunkte „nicht gebannt“, sagte er dem „Wall Street Journal Deutschland“.

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