Ganztag für Grundschüler Jamaikas Hebel gegen das Kooperationsverbot

Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen dient allein bildungsfernen Zwecken: Der Schwächung des Föderalismus und der Bereitstellung der Arbeitskraft von Müttern.

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Lernzimmer einer Ganztagsschule in Horgenzell (Baden-Württemberg) Quelle: dpa

 

Endlich haben die sondierenden Parteien der vermutlich bald regierenden Jamaika-Koalition eine präsentierfähige Gemeinsamkeit gefunden: Man will einen „Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschüler" einführen, berichtet die „Rheinische Post“ aus einem Papier, auf das sich anscheinend alle vier Parteien geeinigt haben.

Streng genommen hat eine Bundesregierung für ein solches Versprechen gar keine Zuständigkeit. Denn Bildungspolitik ist Ländersache. Das so genannte Kooperationsverbot der Föderalismusreform von 2006, das den Bund aus den allgemeinbildenden Schulen raushält, ist allerdings seit einigen Jahren zunehmend unbeliebt im gesamten Parteienspektrum. Und da liegt wohl auch ein Grund für diese übergriffige Einigkeit der Koalitionäre: Da das Versprechen teuer werden dürfte (und es die benötigten Lehrer noch gar nicht gibt!) und da zumindest einigen Bundesländern das Geld für den Ausbau eines flächendeckenden Angebots von Ganztagsbetreuung an allen Grundschulen fehlt, wird der Bund einspringen – müssen und wollen.

Striche zählen und Werte ablesen

Vor allem FDP und Grüne wollen vermutlich das Ganztagsbetreuungsversprechen nutzen, um das Kooperationsverbot auszuhebeln und letztlich ganz zu kippen. Dass die Unionsparteien ausgerechnet auf diesem Feld heldenhaften Widerstand leisten, dürfte kaum eine realistische Erwartung sein. Die Kanzlerin selbst hat schon deutlich genug signalisiert, dass sie spezifische CDU-Politikziele für ganz und gar verzichtbar hält. „Ich will das“, soll sie gesagt haben – und meinte damit die Jamaika-Koalition ohne Bedingungen.

Sicher wird die künftige Regierung, so sie denn zustande kommt, dieses Projekt als Beleg dafür präsentieren, dass sie das von allen Parteien gegebene Wahlversprechen, in „mehr Bildung“ zu investieren, erfüllt. Das stimmt allerdings bei näherer Betrachtung nicht wirklich. Denn bei dem Projekt des Ganztags geht es von Anfang an nicht wirklich um die Schüler, die sich bilden sollen, sondern um die Mütter, die arbeiten wollen und sollen.

Dementsprechend hat auch die Zunahme der Ganztagsschüler keine positiven Auswirkungen auf die Lernerfolge. Die Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen STEG zeigt: Das Sozialverhalten von Schülern aus bildungsferneren Familien bessert sich zwar, aber nicht die schulischen Leistungen - entgegen den großen Erwartungen. Nach den Zahlen für das Schuljahr 2015/2016 nehmen bundesweit rund vier von zehn Schülern eine Ganztagsschule in Anspruch, eine Vervierfachung gegenüber 2000. Doch gerade an Grundschulen, um die es bei dem Versprechen geht, hat das Leistungsniveau in den vergangenen Jahren in erschreckendem Maße abgenommen.

Das Ganztagsschulversprechen der Jamaikaner ist also kein Bildungsprojekt, sondern eine Maßnahme zur Freisetzung von Arbeitskraft innerhalb der Familien für den Arbeitsmarkt. Es dient dem Interesse von Arbeitgebern und mehrarbeitswilligen Müttern, wird aber den Bildungserfolg der heranwachsenden Generation aller Voraussicht nach nicht befördern.

Die Realität ist, dass heute deutlicher als noch vor einigen Jahren das Elternhaus zum Lernerfolg und vermutlich auch zum späteren beruflichen Erfolg von Kindern beiträgt. In dem Maße nämlich, wie Schulen zu einer Kombination aus Kompetenztrainings-, Integrations- und Verwahranstalten umfunktioniert werden, sind Kinder für den eigentlichen Schulzweck Bildung immer mehr auf die Unterstützung ihrer Elternhäuser angewiesen. Erwerb von Wissen und Bildung im Sinne eines reflektierten Verhältnisses zu sich, zu anderen und zur Welt – wird nämlich bei all dem grassierenden bildungspolitischen Aktivismus zur Nebensache.   

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