Garrelt Duin "Den Stromkonzernen steht das Wasser bis zum Hals"

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Eine Sparorgie droht

Wo die Energiewende besser funktioniert
Im internationalen Vergleich gibt es kaum ein zweites Land, das sich derart ambitionierte Ziele zur Umstellung seines Energiesystems gesteckt hat wie Deutschland. Daher existiert auch kein Gesamtkonzept, das als Blaupause für die deutsche Energiewende dienen könnte. Dennoch kann Deutschland von anderen Ländern lernen. Eine Studie von McKinsey im Auftrag von Siemens stellt Beispiele aus verschiedenen Ländern vor und zeigt, was davon in welchem Umfang auch in Deutschland erfolgreich umgesetzt werden könnte. Die Fallbeispiele beziehen sich auf die wesentlichen Elemente der deutschen Energiewende entlang der Energiewertschöpfungskette: Stromerzeugung, Verteilung oder Balancierung von Angebot und Nachfrage sowie Steigerung der Energieeffizienz. Quelle: dpa
Dänemark, Niederlande, Brasilien - Versteigerung von WindparksDer Ausbau von Solar und Windkraft wird die Regierung bis 2020 rund 30 Milliarden Euro kosten. Eine Möglichkeit, den Kostenanstieg zu drosseln, wäre eine Anpassung der Förderung, zum Beispiel durch Auktionierung von Windparkprojekten – wie in Brasilien, Dänemark oder den Niederlanden praktiziert. So kann erreicht werden, dass Windparks an windreichen Standorten mit einer geringeren Vergütung auskommen. Würden in Deutschland die infrage kommenden Windparkprojekte in Zukunft versteigert, könnten allein im Jahr 2020 rund 0,7 Milliarden Euro an Förderkosten eingespart werden. Quelle: dpa
China – bessere Nutzung von AbwärmeAbwärme lässt sich bei Temperaturen ab circa 300 Grad Celsius zur Stromerzeugung nutzen. In Deutschland gibt es unter anderem in der Zement- und Glasindustrie weitere Potenziale, die andere Länder beziehungsweise Pilotanlagen in Deutschland bereits nutzen: So wurden in China in den  vergangenen zehn Jahren knapp 30 Zementwerke mit entsprechenden Anlagen ausgestattet oder werden aktuell umgerüstet. Durch Nachrüsten der in Deutschland infrage kommenden Werke könnten hier im Jahr 2020 etwa 2 TWh Strom erzeugt und so eine Megatonne CO2 eingespart werden. Die Investitionen würden sich bereits nach rund drei Jahren amortisieren, so die Autoren der Studie. Quelle: REUTERS
Shanghai – bessere TransformatorenJetzt wird es technisch, aber im Grunde simpel. Transformatoren sind  für die Stromversorgung unverzichtbar, da elektrische Energie nur mittels Hochspannungsleitungen über weite Entfernungen wirtschaftlich sinnvoll transportiert werden kann; der Betrieb von Elektrogeräten ist aber nur mit Nieder- und Kleinspannung praktikabel und sicher. Transformatoren haben einen magnetischen Kern, meist Eisen, man kann aber auch so genannte amorphe Metalle verwenden. Sie haben bessere magnetische Eigenschaften und senken Übertragungsverluste im Netz.  In Shanghai konnten die Leerlaufverluste der ausgetauschten Transformatoren um 80 % reduziert werden konnten. Allein die Ausstattung der in Deutschland bis 2020 neu zu installierenden Transformatoren mit amorphen Kernen könnte die Übertragungsverluste im Stromnetz im Jahr 2020 um 0,2 TWh reduzieren. Dies entspricht der Stromproduktion von circa 65.000 Aufdach-Solaranlagen. Durch die Einsparungen  würden sich die erforderlichen Investitionen nach circa elf Jahren amortisieren. Quelle: dpa
Schweden – mehr WärmepumpenEine Wärmepumpe entzieht zum Beispiel dem Boden oder der Luft unter Aufwendung mechanischer oder elektrischer Energie thermische Energie und stellt diese zur Raumheizung zur Verfügung. Momentan sind in Schweden bei 9,5 Mio. Einwohnern 1 Mio. Wärmepumpen installiert, gegenüber circa  0,5 Mio. Wärmepumpen in Deutschland bei rund 81 Millionen Einwohnern. Der Ausbau zusätzlicher 0,7 Millionen Wärmepumpen in Deutschland bis 2020 würde zu einer Senkung des Primärenergiebedarfs um 18 PJ und zu einer Senkung der CO2-Emissionen um 0,6 Mt für das Jahr 2020 führen.Foto: "Tourismusverband Westschweden Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms
USA – Stromnachfrage besser steuernDie Stromerzeugung aus Wind und Sonne schwankt wetterabhängig sehr stark. Das belastet das Netz. Die Schwankungen lassen sich durch eine flexiblere Stromnachfrage ausgleichen. Im Nordosten der USA hat man dazu einen Markt für temporäre Nachfragereduzierung geschaffen. Zu Spitzenzeiten reduzieren Stromkunden ihren Verbrauch freiwillig und erhalten hierfür eine Vergütung. Bei diesem Fallbeispiel wurde die Spitzenlast in einem Markt, der größer als der deutsche ist, um circa 8 % reduziert. Würde Deutschland in ähnlicher Weise allein seine industrielle Nachfrage flexibilisieren, könnten 2020 etwa 0,5 Milliarden Euro eingespart werden. Das entspricht den jährlichen Betriebskosten von zwei großen Kohlekraftwerken. Quelle: AP
Los Angeles – LED-StraßenbeleuchtungInternational hat eine Reihe von Städten den Austausch der klassisch verwendeten Natrium-Hochdrucklampen durch LED s vorangetrieben. In den USA installierte zum Beispiel Los Angeles von 2009 bis 2013 in 146.000 Ampeln und Straßenleuchten mit LED. Mit Investitionen von rund 45 Millionen Euro konnte eine Reduzierung des Stromverbrauchs von rund 60 % erreicht werden. Quelle: Presse

Wo ist das Problem, wenn Konzerne vom Markt verschwinden, deren Geschäftsmodell nicht zur Energiewende passt?

Erstens brauchen wir auch fossile Energien für einen funktionierenden Mix. Aber denken Sie auch an die Kommunen, die hängen über ihre Stadtwerke, Firmenbeteiligungen und RWE-Anteile mit drin. Wenn ich darüber mit Kämmerern spreche, da schlägt mir die nackte Not entgegen.

Das klingt bedrohlich. Auf was müssen sich die Städte gefasst machen?

Die werden eine Sparorgie hinlegen müssen, die ihresgleichen sucht. Wenn dort richtig die Verluste von den Kraftwerken reinregnen und die Städte Wertberichtigungen vornehmen müssen, dann wird das eine Katastrophe. Da schließt dann auch noch das letzte Hallenbad, weil die Kraftwerke so hohe Verluste produzieren.

Welche Städte trifft das denn?

Auf jeden Fall das gesamte Ruhrgebiet. Die meisten Städte dort sind sogar doppelt betroffen, weil sie nicht nur bei der Steag Anteilseigner sind, sondern auch bei RWE.

Damit nicht genug: Im Ruhrgebiet häufen sich gerade die Meldungen über Werksschließungen und Stellenabbau. Ist der Strukturwandel endgültig gescheitert?

Wir beobachten das mit Sorge. Das sind aber mit Ausnahme von Opel keine Werksschließungen. Entscheidend ist, dass man sich mehr um die Alternativen kümmert.

Im Kuratorium der Krupp-Stiftung hat das Land Einfluss. Auch die RAG-Stiftung wäre ein Vehikel, um die NRW-Industrie zu retten. Drücken Sie sich um die Verantwortung?

Der Fehler war doch, auf die Großen zu setzen. Aber all die lebensverlängernden oder gar wiederbelebenden Maßnahmen haben nur Geld gekostet. Ein Beispiel: Die Überkapazitäten auf dem europäischen Automobilmarkt sind für jeden offensichtlich. Wenn daraus das Aus für Opel in Bochum folgt, sollte man nicht jammern, sondern schauen, dass man auf den Flächen schnell etwas anderes machen kann.

Gibt es denn Interessenten?

Allerdings, die rennen uns gerade die Bude ein. Es ist eine hohe zweistellige Zahl von Investoren, die Interesse zeigen.

Wie passt diese Strategie damit zusammen, dass Sie gerade einer verheißungsvollen Industriefläche im Ruhrgebiet, dem NewPark, die Bürgschaft verweigern?

Das Geschäftsmodell hat einer kritischen Überprüfung nicht standgehalten. Die Hoffnung auf einen einzelnen Großinvestor hat sich in Deutschland seit zehn Jahren nicht mehr realisiert. Die Zukunft gehört den mittelständischen Betrieben, gerade auch im nördlichen Ruhrgebiet.

Liegt der Fehler bei den Politikern im Ruhrgebiet? Die kümmern sich aus alter Verbundenheit nur um die Großkonzerne.

Das war ja auch jahrzehntelang sehr komfortabel. Wenn Sie früher mit einem Betriebsrat gesprochen hatten, dann hatten sie schon mal 10 000 Leute erreicht. Das hat den schleichenden Niedergang aber nicht verhindert. Deshalb muss man jetzt die Struktur verändern.

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