Gastbeitrag von Gregor Gysi In der Griechenland-Zwickmühle

Gregor Gysi lobt Alexis Tsipras für sein Verhandlungsgeschick. Der Kurs des griechischen Premier bereitet seiner Partei aber auch ungeahnte Schwierigkeiten. Welche, schreibt der Linksfraktionschef in seinem Gastbeitrag.

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Griechischer Linker besucht deutsche Linke: Alexis Tsipras (l.) bei Katja Kipping und Gregor Gysi in Berlin. Quelle: dpa

Eigentlich muss man Wolfgang Schäuble dankbar sein, denn er ist ein Freund der klaren Worte. Er habe Alexis Tsipras, damals noch Oppositionsführer, in einem Gespräch gesagt, er müsse nach einem Wahlsieg ohnehin die Troika-Politik fortsetzen – oder er werde scheitern.

Das sagt etwas über den Zustand der Demokratie in Europa aus: Wählen könnt ihr was und wen ihr wollt, aber bildet euch nur nicht ein, dass dabei eine andere Politik herauskommt.

Was hier so zäh verteidigt wird, ist das zur absoluten Wahrheit verklärte Dogma der Austeritätspolitik. Widerstand soll zwecklos sein! Das wird adressiert nicht nur an Griechenland und andere Länder, in denen ein linker Wahlsieg denkbar erscheint; adressiert wird das auch nach innen.

Das „Problem“ mit Alexis Tsipras ist ganz einfach. Er hält den Neoliberalismus, die Austeritätspolitik für gescheitert und kämpft dafür, sie abzuschütteln. Dafür lässt sich gut argumentieren. Griechenland hat gespart. Öffentliche Ausgaben sind zurückgegangen, Löhne und Renten sind gekürzt worden. Es gibt in Griechenland Massenarmut. Die Folge der Kürzung von Staatsausgaben und Masseneinkommen war ein Wirtschaftseinbruch, der zu einem Rückgang der Steuereinnahmen und zu einem Anwachsen der öffentlichen Schuldenstandsquote auf über 170 Prozent führte.

Deutschland argumentiert freilich mit seinen eigenen, „guten“ Erfahrungen. Aber: Deutschland ist nicht das Muster, sondern der Sonderfall. Zwar hat auch die Agenda-Politik zu einer Schwächung der Binnennachfrage beigetragen. Zugleich jedoch hat sie den Exportsektor aufgrund sinkender Lohn-Stück-Kosten gestärkt. Die deutsche Wirtschaft ist so in den Genuss von Exportvorteilen gekommen. Große Leistungsbilanzüberschüsse sind aber darauf angewiesen, dass es anderswo Verschuldung gibt, also einen starken Konsum.


„Nichts spricht gegen Bedingungen für Kredite“

Verschuldung existiert in zwei Formen: privat und öffentlich. Während es in den USA eine hohe private Verschuldung gab, die für die Finanzkrise mitverantwortlich war, gibt es in Griechenland und anderen Ländern des Südens eine hohe Staatsverschuldung. Das war, auch aus deutscher Sicht, kein Problem, solange diese Länder Märkte für den deutschen Export bildeten. Erst jetzt, nachdem es ein gravierendes Problem mit dem Euro gibt, wäre gerade eine deutsche Hilfestellung gefragt.

Leider helfen Argumente nicht ausreichend. Eine Position kann intellektuell stark sein und sich trotzdem nicht durchsetzen, weil sie es mit einer starken Gegenmacht zu tun hat. Diese bestimmt auch die Öffentlichkeit. Welche Chance haben Alexis Tsipras und seine Partei dann eigentlich?

Ich nannte die Austeritätspolitik dogmatisch. Solange deren dogmatischer Charakter nicht ausreichend sichtbar wird, erscheint alles, was Griechenland gegenüber durchgesetzt wird, alternativlos. Dabei spricht nichts dagegen, dass Kreditgeber Bedingungen an die Gewährung von Krediten knüpfen. Nur müssen die Bedingungen vernünftig sein.

Wir hatten es mit Technokraten zu tun, die niemandem Rechenschaft schuldig sind, auch von niemandem gewählt worden sind, die demokratisch gewählten Regierungen diktierten, was zu tun ist. Daraus folgt aus meiner Sicht, dass das Euro-Stabilisierungsregime als politisches Regime kenntlich gemacht werden muss, über das politisch diskutiert werden kann und muss und zudem mögliche Alternativen bestehen.

Alexis Tsipras versucht diese Politisierung herzustellen. Wenn die Differenz zwischen seinem „moderaten“, verhandlungsorientierten Auftreten innerhalb europäischer Institutionen und der anschließenden politischen Interpretation erzielter Vereinbarungen hierzulande mit Befremden beklagt wird, dann zeigt man nur, dass man den politischen Charakter von Verhandlungen nicht versteht.


„Mich treibt die Frage nach der Rolle meiner Partei um“

Verhandlungsergebnisse lassen immer Interpretationsspielraum. Das ist aber vorerst auch alles, was im Zusammenhang mit einem Politikwechsel in Europa erreicht werden kann. Das ist noch lange nicht das Ende des Neoliberalismus und erst recht nicht der Einstieg in eine gerechtere Wirtschaftsordnung. Für letztere fehlen ohnehin konkrete, realistische und nach vielen Seiten hin durchdachte Konzepte.

Mich treibt dabei die Frage nach der Rolle meiner Partei um. Wir sind zwar stärkste Oppositionspartei, aber nicht stark genug. Trotzdem müssen wir unseren Beitrag zur Politisierung der Debatte um das Euro-Stabilisierungsregime leisten. Das ist schwierig, weil sich nicht nur die griechische Bevölkerung ungerecht behandelt fühlt.

Viele Deutsche, denen es auch nicht gerade blendend geht, sehen auch nicht ein, weshalb Deutschland zahlen soll. Ihnen müssen wir verständlich machen, dass Griechenland, würde die jetzige Politik fortgesetzt werden, nie in der Lage sein wird, auch nur einen Teil seiner Schulden zurückzuzahlen. Dann aber haften auch deutsche Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für 27 Prozent, zurzeit für 60 Milliarden Euro.

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