In der Debatte um einen Kandidaten für die Nachfolge von Bundespräsident Joachim Gauck legt sich die SPD immer stärker auf Außenminister Frank-Walter Steinmeier fest. Gefragt sei ein Bewerber, „der unser Land repräsentieren kann, aber auch die Herausforderungen unserer Zeit kennt und Antworten darauf hat“, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel der „Bild“-Zeitung (Montag). „Die SPD hat bereits einen Kandidaten, auf den all das zutrifft: Frank-Walter Steinmeier. Doch der findet bei der Union bisher keine Unterstützung.“ Steinmeier ist vielen in der SPD der Favorit. Er gilt aber als gemeinsamer Kandidat in der Union als nicht vermittelbar.
Union und SPD hatten sich darauf verständigt, gemeinsam nach einem Konsenskandidaten für die Gauck-Nachfolge zu suchen. Dies zieht sich allerdings seit geraumer Zeit hin. Kanzlerin Angela Merkel (CDU), CSU-Chef Horst Seehofer und Gabriel wollen sich nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur im November zusammensetzen, um die Chancen für einen gemeinsamen Kandidaten auszuloten. Ursprünglich war ihr Treffen zu dem Thema für Ende Oktober geplant. Gefragt, ob sich CDU/CSU und SPD auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen können, antworteten SPD-Generalsekretärin Katarina Barley und ihr CSU-Kollege Andreas Scheuer in der „Bild am Sonntag“ mit „ja“.
Gaucks Wegmarken
Diese Rede schlug Wellen: Im Januar 2014 forderte Gauck in einer Ansprache vor der Münchner Sicherheitskonferenz über „Deutschlands Rolle in der Welt“ mehr Mut zu einer aktiven deutschen Außenpolitik - eventuelle Militäreinsätze eingeschlossen. Deutschland könne sich nicht um seine Verantwortung drücken, wenn es um die Verteidigung von Menschenrechten und die Beilegung von Konflikten gehe. Gauck tat mit der Rede das, was ein Bundespräsident idealerweise tut: Er trat eine Debatte los. Sie brachte ihm Anerkennung, aber auch den Vorwurf der Kriegstreiberei ein.
Aufmerksamkeit war Gauck immer dann gewiss, wenn er sich von Kanzlerin Merkel distanzierte. So sagte er im Mai 2012: Merkels Aussage, dass Israels Sicherheit für Deutschland Staatsräson sei, könne sie noch "in enorme Schwierigkeiten" bringen. Kurz darauf beklagte Gauck, die Politik mache den Bürgern das Vorgehen in der Euro-Schuldenkrise nicht ausreichend verständlich: Merkel habe die "Verpflichtung", mehr zu erklären. Wie schnell aus solchen Worten Schlagzeilen werden, erstaunte Gauck selbst. Mit öffentlicher Kritik an Merkel hielt er sich fortan zurück.
Als mutmaßlich letztem Vertreter der Kriegsgeneration im Präsidentenamt war sie Gauck ein Herzensanliegen: die Aussöhnung mit Europäern, die unter der deutschen Besatzung zu leiden hatten. Gauck besuchte Orte, die im Weltkrieg von Deutschen gezielt zerstört worden waren: Lidice in Tschechien, Oradour in Frankreich, Lyngiades in Griechenland, Sant'Anna di Stazzema in Italien. Treffen mit Zeitzeugen endeten mit Umarmungen, Tränen, tiefer Rührung. Mit solchen Begegnungen verlieh Gauck dem Amt auch jenseits der großen Schlagzeilen eine eigene Prägung.
In der Flüchtlingskrise bezog Gauck eine Sowohl-als-auch-Position. Er brachte sie auf den Nenner: „Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten sind endlich.“ Die Aufnahmekapazität sei bei allem guten Willen begrenzt, „auch wenn noch nicht ausgehandelt ist, wo diese Grenzen liegen“. Kritiker hätten sich ein beherzteres Eintreten für Flüchtlinge gewünscht. Gauck verwies auf seine Sorge vor einer gesellschaftlichen Spaltung und einem Erstarken rechter Kräfte. Auch dafür fand Gauck einen Begriff, der aufhorchen ließ: Er sprach von einem „Dunkeldeutschland“, in dem Fremde angefeindet würden. Bei einem Besuch im sächsischen Bautzen wurde er dann ausgebuht und als „Volksverräter“ beschimpft.
Als leidenschaftlicher Demokrat nutzte Gauck sein Amt zur Warnung vor autoritärer Machtausübung. In der Türkei kritisierte er 2014 das Demokratiedefizit - und zog sich eine verärgerte Replik von Präsident Recep Tayyip Erdogan zu: „Er hält sich wohl immer noch für einen Pastor.“ Auch die Ambitionen von Kreml-Chef Wladimir Putin machten Gauck Sorgen: Aufhorchen ließ er 2014 in Danzig mit einer Warnung vor russischer Aggression. Eine Einladung zu den Olympischen Spielen in Sotschi schlug er aus. Auch gegenüber seinen eigenen Landsleuten in Deutschland trat Gauck gerne als „Demokratielehrer“ auf.
Einen eigenen geschichtspolitischen Akzent setzte Gauck im Umgang mit den Massakern an den Armeniern im Osmanischen Reich. Aus Rücksicht auf türkische Befindlichkeiten vermied die Bundesregierung traditionell die Bezeichnung „Völkermord“. Gauck wich 2015 in seiner Rede zum 100. Jahrestag der Ereignisse von dieser Linie ab und sprach deutlich vom „Völkermord an Armeniern“ – wie danach dann auch der Bundestag. Die Türkei reagierte verärgert: Sie werde dem Bundespräsidenten die Rede „nicht vergessen und nicht verzeihen“, erklärte das Außenministerium in Ankara.
Staatsbesuche zählen zum Kerngeschäft des Bundespräsidenten. Einen heiklen Besuch absolvierte Gauck im März 2014 in Griechenland, wo er auf Vorbehalte wegen Deutschlands strengem Auftreten in der Schuldenkrise und wegen der griechischen Forderungen nach Kriegsreparationen stieß. Gauck machte Mut zu Reformen, äußerte Unbehagen über den Umgang mit der deutschen Kriegsschuld – lehnte Reparationen aber ab. Er wolle „Möglichkeiten von Wiedergutmachung“ sondieren, sagte er. Ergebnisse liegen bislang aber noch nicht vor.
Vor Gabriel hatten unter anderem Barley und Parteivize Ralf Stegner schon für Steinmeier geworben. Der Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD, Matthias Miersch, sagte der dpa am Sonntag, Steinmeier sei „der richtige Bundespräsident und der geeignete Repräsentant Deutschlands in einer Zeit, in der es auf den Zusammenhalt der Gesellschaft und Dialogfähigkeit auf internationaler Ebene ankommt“.
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann warnte davor, bei der Suche nach einem Gauck-Nachfolger auf einen wenig überzeugenden Konsenskandidaten zu setzen. „Dann sollte besser jede Partei jeweils eigene Vorschläge für die Bundesversammlung machen“, sagte er dem „Tagesspiegel“ (Sonntag).
Das sind die möglichen Gauck-Nachfolger
Norbert Lammert (67): Seit 2005 ist der CDU-Mann aus Bochum Präsident des Bundestages, der Umzug ins Schloss Bellevue wäre ein naheliegender Karriereschritt. Lammert gilt als wortmächtig und intellektuell brillant, was er andere auch gerne spüren lässt.
Ursula von der Leyen (57): Ihr Name fällt immer, wenn es um Spitzenämter geht, auch als künftige Kanzlerin ist die CDU-Frau im Gespräch. Schon 2010 war die amtierende Verteidigungsministerin als mögliche Kandidatin für das Präsidenten-Amt im Gespräch.
Volker Bouffier (64): Früher eher dem rechten Flügel der CDU zugeordnet, führt er seit 2014 relativ geräuschlos und erfolgreich die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen. Ein Signal für Schwarz-Grün auch im Bund also.
Frank-Walter Steinmeier (60): Beinahe so etwas wie der natürliche Kandidat für das höchste Amt im Staate. Beliebt bei den Bürgern, angesehen über Parteigrenzen hinweg, diplomatisch erfahren. Aber hat ein SPD-Mann diesmal überhaupt eine Chance?
Martin Schulz (60): Der Präsident des Europaparlaments wird immer wieder genannt, wenn die SPD nach Kandidaten für Spitzenämter sucht. Doch abgesehen von der Schwierigkeit, eine Mehrheit zu finden: Kanzlerin Angela Merkel gilt nicht als Schulz-Fan.
Annegret Kramp-Karrenbauer (53): Die CDU-Ministerpräsidentin aus dem Saarland genießt Ansehen auch bei der SPD und den Grünen. Sie ist linker und jünger als andere CDU-Kandidaten, und sie ist eine Frau.
Winfried Kretschmann (68): Der grüne Ministerpräsident aus Baden-Württemberg ist nicht nur in seiner Heimat populär. Sein landesväterlicher Habitus könnte auch für die Rolle des Bundespräsidenten passen. Wenn sich Union und SPD nicht einigen können, wäre er ein Kompromiss.
CSU-Generalsekretär Scheuer sprach sich gegen Steinmeier als nächstem Bundespräsidenten aus. „In der Außenpolitik warten so viele Herausforderungen auf uns, dass es ein Fehler wäre, über Frank-Walter Steinmeier als Bundespräsident zu diskutieren. Er soll lieber seinen Job als Außenminister besser machen“, sagte er der „Bild am Sonntag“. Der nächste Bundespräsident wird in der Bundesversammlung am 12. Februar 2017 gewählt.