Gauck zu Europa mit Trump „Es ist an der Zeit, selbstständiger zu werden“

Der Rechtspopulismus erstarkt, in Washington regiert ein bislang unberechenbarer Präsident. Der scheidende Bundespräsident Joachim Gauck fordert nun von Deutschland und Europa, sich stärker von den USA zu emanzipieren.

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„Manchmal bedarf es eines Schocks, um Einsichten zu erzwingen. Ein Schock kann heilsam sein.“ Quelle: dpa

Maastricht Bundespräsident Joachim Gauck hat angesichts der Verunsicherungen durch US-Präsident Donald Trump eine stärkere Emanzipation von den USA verlangt. „Es ist an der Zeit, dass die europäischen Staaten und besonders auch Deutschland, die sich lange unter dem Schild der amerikanischen Führungsmacht eingerichtet hatten, selbstbewusster und selbstständiger werden“, sagte er am Dienstag nach einem vorab verbreitetem Text bei einem Festakt der Universität Maastricht.

„Wir haben besondere Verantwortung für die Stabilisierung der internationalen Ordnung“, betonte Gauck. Zu Recht werde deshalb diskutiert, wie Europa seine Verteidigungsbereitschaft erhöhen könne. „Wir dürfen die Werte, auf denen das europäische Projekt beruht, nicht preisgeben.“

Europa müsse im Zeitalter von rasantem technologischem Wandel, wegen des anhaltenden Migrationsdrucks, des internationalen Terrorismus und einer instabilen Weltordnung entschiedener zusammenrücken, mahnte Gauck: „Manchmal bedarf es eines Schocks, um Einsichten zu erzwingen. Ein Schock kann heilsam sein.“

Ohne den Namen Trump zu nennen, forderte der Bundespräsident: „Wir wollen erhalten, was mühselig in der Geschichte errungen wurde und einen Kernbestand der Demokratie ausmacht: Keine Macht steht über dem Recht. Auch die Macht ist an das Recht gebunden.“ Trump hatte sich im juristischen Streit über sein Dekret für befristete Einreiseverbote für Bürger aus islamisch geprägten Ländern abfällig über Gerichtsentscheidungen und einzelne Richter geäußert.

Am 25. Jahrestag der Unterzeichnung des EU-Vertrages von Maastricht räumte Gauck auch vor dem Hintergrund eines erstarkenden Rechtspopulismus selbstkritisch Fehler in der EU ein. Probleme seien teils verschleppt worden, bis heute sei etwa die Währungsunion nicht hinreichend stabil. Der Vertrag von Maastricht sei für ihn zwar „eine Chiffre für ein in Frieden und Freiheit geeintes Europa“, das für Demokratie, Herrschaft des Rechts, Wahrung der Menschenrechte, den Schutz von Minderheiten und die Gleichberechtigung stehe.

Deutlicher Appell an die Politik

Zugleich habe der Vertrag die EU aber „in eine gefährliche Schieflage gebracht“, weil er die Wirtschafts- und Finanzpolitik vorwiegend in nationaler Hand gelassen habe, kritisierte Gauck. Je stärker der Eindruck entstanden sei, die EU sei überfordert, desto mehr hätten Populisten an Einfluss gewonnen, die sich dem angeblich intransparenten Regelwerk grundsätzlich entgegengestellt hätten.

Der am 7. Februar 1992 unterzeichnete Vertrag von Maastricht machte den Einstieg in eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie eine Zusammenarbeit in der Justiz- und Innenpolitik möglich.

Als Rezept gegen Vertrauenskrise und wachsende Entfremdung zwischen politischen Eliten und Bevölkerung empfahl Gauck der Politik eine klare, anschauliche Sprache, ohne übertriebene Erwartungen zu wecken. Wichtig sei aber auch, „dass Regierungen von Mitgliedstaaten kein doppeltes Spiel treiben, indem sie in Brüssel Beschlüssen zustimmen, die sie dann auf nationaler Ebene kritisieren oder gar konterkarieren“. Der Bundespräsident betonte: „Denn davon profitieren am Ende nur die Populisten, werden ihnen so doch antieuropäische Argumente frei Haus geliefert.“

Angesichts von antieuropäischen Tendenzen und erstarkendem Rechtspopulismus hatte sich Gauck in jüngster Zeit immer wieder deutlich zurückhaltender als zu Beginn seiner Amtszeit über eine schnelle weitere Vertiefung der EU geäußert und sich für eine „zielwahrende Entschleunigung“ der EU ausgesprochen.

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