Gauland, Petry & Co. „Medien könnten einen AfD-freien Tag einführen“

Müssen Medien wirklich über jedes Stöckchen springen, das ihnen die AfD hinhält? Die Gauland-Berichterstattung scheint ein Umdenken in Gang gesetzt zu haben – bei Journalisten, aber auch bei manchen Politikern.

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Nach einer Woche Interview-Marathon sitzt AfD-Vize Alexander Gauland (m.) am Sonntagabend im ARD-Talk von Anne Will - mit FAZ-Korrespondent Eckart Lohse (l.) und Justizminister Heiko Maas. (Quelle: NDR)

Berlin Fast könnte man meinen, die AfD bestünde nur noch aus einem Politiker. Diesen Eindruck erwecken zumindest Zeitungen, TV-Talkrunden und digitale Nachrichtenkanäle. Quasi täglich ist in den vergangenen Tagen über den Vize der rechtspopulistischen Partei, Alexander Gauland, und seine Einlassungen über den dunkelhäutigen Fußball-Nationalspieler Jérome Boateng berichtet worden. Anne Will setzte am Sonntagabend mit ihrer gleichnamigen ARD-Talkshow dem Ganzen dann noch die Krone auf.

In Anspielung auf Gaulands Aussage, die Leute fänden den dunkelhäutigen Innenverteidiger „als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben“, betitelte Anne Will ihre Sendung „Guter Nachbar, schlechter Nachbar – Wie rassistisch ist Deutschland?“. Dabei ging es aber weniger um Rassismus im Allgemeinen, sondern eine Stunde lang vielmehr um die Frage, wie rassistisch Gauland ist. Im Beisein von Justizminister Heiko Maas (SPD) wurde Gaulands rechtsideologisches Weltbild in seine Einzelteile zerlegt. Und der AfD-Vize hatte einmal mehr die Gelegenheit, von den Anwürfen gegen ihn wenig beeindruckt, seine kruden Thesen zu verbreiten.

Die ständigen Gelegenheiten für Gauland & Co., das mediale Dauerfeuer, das entsteht, wenn Medien jede noch so abwegige Äußerung aus den Reihen der AfD-Hardliner aufspießen und breittreten, sorgt inzwischen für Unmut – bei politischen Beobachtern genauso wie bei Politikern der etablierten Parteien. „Wenn jeder politische Rülpser der AfD in der „Welt“ oder der „Tagesschau“ landet, dann gibt man dieser Partei eine Macht, die ihr zum Beispiel im Vergleich mit Umfragewerten der Grünen nicht zukommt“, sagte der FDP-Vorsitzende Christian Lindner der Zeitung „Die Welt“.

Dazu erklärten die Regierungsparteien bei jedem wichtigen Projekt taktisch, man wolle der AfD kein Gewinnerthema geben. „So erweckt man den Eindruck, die AfD stünde vor der Machtübernahme“, kritisierte Lindner. „Ich rate zu mehr Coolness“, so der FDP-Chef. „Indem wir nicht die AfD bestimmen lassen, was Deutschland diskutiert, sondern indem wir diskutieren, was für unser Land wichtig ist.“ Die AfD setze inhaltlich gar keine Themen. „Die arbeiten mit Provokationen.“

Selbst Journalisten mokieren sich über die Dauerpräsenz der AfD in den Medien. Zugleich lassen sie mit Unterstützung durch den Deutschen Journalisten-Verband (DJV) Sympathie dafür erkennen, der Partei künftig deutlich weniger Raum in der Berichterstattung einzuräumen.


„Sorry, Herr Gauland! Wir haben heute leider keinen Bericht für Sie.“

Nach Gaulands „Spiegel“-Interview, in dem der Brandenburger AfD-Fraktionschef über den undeutschen Charakter der deutschen Fußball-Nationalmannschaft sinniert, schrieb etwa die Berliner Boulevard-Zeitung „B.Z.“ auf ihrer Titelseite: „Sorry, Herr Gauland! Wir haben heute leider keinen Bericht für Sie.“

Zu Gaulands in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS) zitierten Aussage, Angela Merkel (CDU) sei eine „Kanzler-Diktatorin“, schrieb „B.Z.“-Chefredakteur Peter Huth zudem auf seiner Facebook-Seite: „Bitte gehen Sie weiter! Hier gibt es nichts zu sehen!“

Andere Journalisten stoßen in dasselbe Horn. Detlef Esslinger von der „Süddeutschen Zeitung“ schreibt bei Twitter: „Bekommt @AfD_Bund jetzt eigentlich jeden Sonntag die Chance, irgendein Stöckchen hin zu halten? Heute springt die @WELT_am_Sonntag drüber.“

Und Thomas Walde, stellvertretender Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios, tut bei Twitter kund: „Bei der Story-Promo-Mail der Frankfurter Allgemeine, „Gauland nennt Merkel...“ hab ich jetzt einfach mal nicht weitergelesen.“

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) unterstützt ein Ende des AfD-Medien-Overkills. Journalisten hätten zwar eine Informationspflicht. „Und die gilt erst recht bei einer relativ neuen politischen Kraft wie der AfD“, sagte DJV-Chef Frank Überall dem Handelsblatt. Es sei aber auch Aufgabe der Journalisten, Nachrichten zu gewichten. „Nicht jede Äußerung von AfD-Politikern hat Nachrichtenwert.“

Für den Berliner Ex-Piraten-Politiker Christopher Lauer hat die AfD-Fokussiertheit fast schon suchthafte Züge. Seine via Twitter verbreitete Empfehlung: „Damit es keinen kalten Entzug gibt, könnten Redaktionen zuallererst mal einen AfD-freien Tag einführen.“

Der FDP-Politiker Otto Fricke hat berechtigte Zweifel, ob die Medien sich in Zurückhaltung üben werden. Aus gutem Grund, liefert die Tagespolitik der Rechtspartei doch Steilvorlagen im Minutentakt. An diesem Montag etwa Joachim Gauck, der um die Mittagszeit seinen Verzicht auf eine Amtszeit erklären wird.

„Bin ja mal gespannt“, schreibt Fricke bei Twitter, „welches Stöckchen die AfD beim Thema Bundespräsident hochhält und wer da wieder drüber springt.“


CDU-Politiker skizziert Anti-AfD-Strategie

Die Provokationsstrategie der AfD zu ignorieren – davon hält der CDU-Politiker Ruprecht Polenz indes reichlich wenig. Ignorieren werde leider nicht helfen. „Die AfD treibt durch Zitate und Provokationen die öffentliche Diskussion immer weiter ins Völkische“, schreibt der frühere Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag auf seiner Facebookseite. „Was gestern noch unerhört war, soll morgen zum allgemeinen Sprachgebrauch gehören. Und dann wird die Radikalisierungsschraube die nächste Umdrehung weiter bewegt.“

Dieser „schleichende Prozess“ sei schwierig zu erkennen und deshalb nicht leicht zu bekämpfen, räumt Polenz, der Vorsitzende des ZDF-Fernsehrats ist, ein. Seine Strategieempfehlung lautet daher, zunächst den von der AfD geplanten Weg zu Ende denken, dann dieses Ende kommunizieren. „Es ist zwar noch ein ganzes Stück entfernt von dem, was die AfD derzeit vermag. Aber es ist die logische Konsequenz ihres islamfeindlichen und völkischen Programms“, erklärte der Christdemokrat.

Als dritten Schritt rät Polenz, die „logische Verbindungslinie“ vom Ende her zum Programm der AfD und den derzeitigen Äußerungen ihrer führenden Vertreter zu ziehen, zumal eine „weit überwiegende Mehrheit der Deutschen“ nicht dort ankommen wolle, wohin die AfD sie am Ende führen will.

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