Gemeinschaftswährung So gefährlich ist der Euro-Austritt wirklich

Die "Alternative für Deutschland" fordert eine Auflösung der Europäischen Währungsunion. Wie eine Rückkehr zu nationalen Währungen in Europa organisiert werden kann – und welche Folgen dies für die Wirtschaft hätte.

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Auch nach mehr als zehn Jahren wünschen sich viele deutsche die D-Mark zurück. Quelle: dpa

Düsseldorf Für manche ist es währungspolitischer Chauvinismus, für andere ein Akt der ökonomischen Vernunft. Die Auflösung der Europäischen Währungsunion und die Rückkehr zu nationalen Währungen ist unter Ökonomen und in der Bevölkerung umstritten. Jüngsten Umfragen zufolge wollen 69 Prozent der Deutschen am Euro festhalten, 27 Prozent hingegen fordern die Rückkehr zur D-Mark. Das Wählerpotenzial für die neue Anti-Euro-Partei Alternative für Deutschland (AfD) ist also groß. Die neue Partei hat sich die "geordnete Auflösung des Euro-Währungsgebietes" auf die Fahnen geschrieben. Doch wie sich die AfD die Abwicklung der Währungsunion konkret vorstellt, lässt sich aus den knappen Ausführungen auf ihrer Homepage nicht entnehmen.

Dort heißt es lediglich: "Wir fordern die Wiedereinführung nationaler Währungen oder die Schaffung kleinerer und stabilerer Währungsverbünde." Und: "Die Wiedereinführung der D-Mark darf kein Tabu sein."

Die Meinungsbildung über den Weg zurück zu nationalen Währungen sei in der Partei noch nicht abgeschlossen, sagt der Hamburger Ökonomieprofessor Bernd Lucke, Sprecher und Mitgründer der AfD. Es gebe mehrere Wege, die Euro-Zone abzuwickeln, das Festhalten an der Einheitswährung sei daher nicht alternativlos, wie die Bundesregierung behauptet.

Der radikalste Weg wäre es, wenn ein Land oder mehrere Länder die Währungsunion Hals über Kopf verließen und zu ihren nationalen Währungen zurückkehrten. Zwar sehen die EU-Verträge einen Euro-Ausstieg nicht vor. Allerdings könnte ein einstimmiger Beschluss des Europäischen Rates ein Mitgliedsland ermächtigen, eine eigene Währung einzuführen.

Machte Deutschland davon Gebrauch und führte die D-Mark wieder ein, könnte die Bundesbank geldpolitisch autonom agieren und die Zinsen an den Bedürfnissen der deutschen Wirtschaft ausrichten.

Die D-Mark würde im Gefolge massiver Kapitalzuflüsse kräftig aufwerten und die Exporte verteuern. Ein Kollaps der Ausfuhren wäre dennoch nicht zu befürchten. So zeigen ökonometrische Untersuchungen, dass der Wechselkurs nicht die entscheidende Größe für die heimischen Ausfuhren ist. Wertet der effektive Außenwert der Währung um ein Prozent auf, lässt dies die deutschen Exporte nur um rund 0,5 Prozent sinken.

Der Grund ist, dass die Nachfrage nach deutschen Produkten wegen der hohen Produktqualität wenig preissensibel ist. Dazu kommt, dass deutsche Exporte zu mehr als 40 Prozent aus importierten Vorleistungen bestehen. Eine starke Währung senkt daher die Einfuhrkosten und bietet den Exporteuren so Spielräume für Preisnachlässe. Auf diese Weise können die Unternehmen die wechselkursbedingte Verteuerung ausgleichen.


Größtes Problem wären die Spekulationen

Entscheidend für die deutschen Exporte ist vielmehr die Auslandskonjunktur. Legt das Bruttoinlandsprodukt in den Abnehmerländern um ein Prozent zu, klettern die deutschen Ausfuhren Studien zufolge um mehr als zwei Prozent. Die Auslandskonjunktur ist mithin vier Mal so wichtig für die Exporte wie der Wechselkurs. Stiege Deutschland aus der Währungsunion aus, dürfte der Euro kräftig abwerten. Für die Krisenländer wäre das ein Segen. Mit dem Rückenwind der schwachen Währung könnten sie ihre Exporte steigern und ihre Leistungsbilanzen aus den roten Zahlen holen. Die Konjunktur käme wieder in Fahrt – und die deutschen Exporte in diese Länder beschleunigten sich.

Größere Probleme durch eine starke Mark könnten die Besitzer von Auslandsvermögen bekommen. Aufgrund der hohen Leistungsbilanzüberschüsse hat Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten viel Kapital ins Ausland exportiert und große Vermögen aufgebaut. Insgesamt verfügen die Bundesbürger über Wertpapiere, Immobilien und Beteiligungen von netto 1070 Milliarden Euro im Ausland. Der Höhenflug der neuen Währung würde deren Gegenwert in Mark verringern. Allerdings hatte die D-Mark auch in der Vergangenheit im Trend aufgewertet – ohne dass die Deutschen verarmten.

Entschiede sich ein Krisenland wie Griechenland, die Währungsunion zu verlassen, wertete seine Währung kräftig ab. Dies verbesserte seine preisliche Wettbewerbsfähigkeit im Nu. Statt in die Türkei strömten die Touristen wieder auf den Peloponnes. Zugleich verteuerte die schwache Drachme die Einfuhren. Statt Tomaten aus Holland zu importieren, kauften die Griechen wieder eigenes Gemüse. Das Defizit in der Leistungsbilanz verschwände, und die Inlandsproduktion legte zu. Griechenlands Wirtschaft könnte wieder wachsen.

Allerdings besteht die Gefahr, dass höhere Importpreise eine inflationäre Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen. Um dies zu vermeiden, müsste die Zentralbank die geldpolitischen Zügel anziehen. Auch verteuerte die schwache Drachme den Schuldendienst für die auf Euro lautenden Altschulden. Ein Forderungsverzicht der Gläubiger wäre kaum zu vermeiden. Dieser träfe im Falle Griechenlands in erster Linie die öffentlichen Gläubiger, also Regierungen, den Euro-Rettungsschirm und die Europäische Zentralbank (EZB). Fraglich wäre, ob die griechische Notenbank nach einem Euro-Austritt ihre Verbindlichkeiten aus dem Target-Zahlungssystem der Euro-Notenbanken begleichen könnte. Die Steuerzahler in Deutschland müssten sich daher auf milliardenschwere Belastungen einstellen.

Die größte Gefahr bestünde jedoch darin, dass nach dem Euro-Austritt eines Landes die Finanzmärkte gegen andere Krisenländer spekulieren. Faktisch bedeutete dies, dass Länder wie Italien kaum noch Zugang zum Kapitalmarkt besäßen. In der Bevölkerung machte sich Panik breit, ein Run auf die Banken wäre die Folge. Bräche die Euro-Zone daraufhin unkontrolliert auseinander, wäre das Chaos an den Finanzmärkten perfekt. Jahrelange Rechtsstreitigkeiten über die Frage, welche Währung für in Euro denominierte Altverträge nach dem Exitus des Euro verwendet werden soll, blockierten den weltweiten Kapital-, Dienstleistungs- und Güterverkehr. Die Weltwirtschaft stürzte in eine tiefe Rezession.

"Um einen ökonomischen GAU zu vermeiden, muss der Abschied vom Euro auf Raten erfolgen", sagt daher AfD-Sprecher Lucke. Der Ökonom plädiert dafür, jedem Land das Recht zur Einführung einer eigenen Währung einzuräumen, die zunächst parallel zum Euro verwendet wird. Die nationale Zentralbank bliebe daher zunächst weiter Mitglied des Euro-Systems.


Bargeldzahlung vorerst noch in Euro

Alle Barzahlungen erfolgten zudem weiter in Euro. Dagegen würden alle elektronischen Zahlungen, etwa Kreditkartenumsätze, fortan zu 50 Prozent in Euro und zu 50 Prozent in der eigenen Währung, etwa der Drachme, abgerechnet. Es entstünde eine Art Kombi-Währung in Buchgeldform: die Euro-Drachme. Zuvor müsste die nationale Notenbank einen Teil der Euro-Zentralbankguthaben der Geschäftsbanken im Verhältnis 1:1 in Drachme tauschen.

Alle Zahlungen im Inland wie Gehälter, Mieten und Kredite würden fortan in Euro-Drachme erfolgen. Dagegen würden die Spareinlagen bei den Banken sowie alle Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland weiter in Euro berechnet. Der Vorteil: Die Bürger und ausländische Gläubiger müssten nicht mehr fürchten, dass ihre Euro-Ersparnisse und Forderungen über Nacht in Drachme getauscht werden, ein Bank-Run und Chaos an den Finanzmärkten würden vermieden.

Im Laufe der Zeit könnte die Zentralbank bei der Geldversorgung der Geschäftsbanken dann immer mehr Drachme gegen Euro tauschen, die Drachme verlöre so schrittweise an Wert. Das verbilligte auch die Euro-Drachme. Beispiel: Kostet ein griechisches Exportprodukt vor der Reform 100 Euro, so beträgt sein Preis nach Einführung der Drachme 100 Euro-Drachme. Diese besteht aus 50 Euro und 50 Drachme. Wertet die Zentralbank die Drachme um zehn Prozent gegenüber dem Euro ab, so sinkt der Wert des Drachme-Teils am Gesamtpreis auf 45 Euro. Ausländische Abnehmer müssten für die Ware dann nur noch insgesamt 95 Euro auf den Tisch legen. Griechenlands Wettbewerbsfähigkeit stiege.

"Die Zentralbank kann die Drachme später weiter abwerten und eigenes Bargeld in Umlauf bringen", sagt Lucke. Auf diese Weise könnten sich Krisenländer wie Griechenland, Portugal, Spanien und Italien ohne Schocks für Bürger und Finanzmärkte allmählich aus der Euro-Zone herausschleichen. Der Währungsclub würde zu einer stabilen Kernzone schrumpfen.

Allerdings bestünde die Gefahr, dass es zu Spekulationen gegen den gelenkten Drachme-Euro-Kurs kommt. In diesem Fall müsste wohl die EZB die Drachme durch die Ausgabe von Euro stützen. Damit aber stiegen die Inflationsgefahren. Zudem müsste die Initiative zur Auflösung der Euro-Zone von den Krisenländern ausgehen.

Dirk Meyer, Ökonomieprofessor an der Bundeswehruniversität Hamburg und wissenschaftlicher Berater der AfD, fordert daher, dass auch Deutschland und andere Kernländer eine eigene Parallelwährung mit flexiblen Wechselkursen einführen. Länder, die sich als zahlungsunfähig erklären, müssten durch eine Änderung der EU-Verträge zum Austritt aus der Euro-Zone gezwungen werden, könnten den Euro aber als Zahlungsmittel weiter verwenden. Sagten die Krisenstaaten der Euro-Zone auf diese Weise Adieu, könnten auch die Rettungsschirme eingestellt werden, urteilt Meyer. In Europa hätten die Menschen dann die Freiheit der Wahl zwischen Euro und nationaler Währung. "Das schafft Vertrauen und Sicherheit", so Meyer.

Vor allem aber könnte die politische Klasse in Europa das Gesicht wahren: Den Euro gäbe es ja weiterhin. Nur müsste er sich dem Wettbewerb mit den nationalen Währungen stellen. Das hat bekanntlich noch niemandem geschadet.

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