Genossenschaften Große Begeisterung für die Kiez-Kapitalisten

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Auch Ärzte bilden Genossenschaften

Stefan Pollmächer, Allgemeinarzt und Vorsitzender der Kooperative DOXS

Die Genossenschafter organisieren das Bad ehrenamtlich. 300 Mitstreiter haben eine Einlage für das Hallenbad gezeichnet. Badeprofis wie der Schwimmmeister wurden zu bescheideneren Bedingungen neu angestellt. „Das ist unser Bad, das gehört uns“, sagt Heinz-Werner Radeck stolz. Er ist Aufsichtsrat und war Bürgermeister. Inzwischen hat das Bad länger offen und bietet mehr Service. Ein Blockheizkraftwerk und eine Solaranlage drücken die Betriebskosten. „Es hat funktioniert, aber zu Beginn mussten wir auf der Straße um Vertrauen und den guten Willen der Leute werben.“

Genossenschaften gelten als Unternehmensform, die am seltensten in die Insolvenz rutscht. Doch das hat einen Preis: Die Führungsleute springen zu Beginn oft ehrenamtlich oder zu bescheidenen Bedingungen ein. Allerdings herrscht im Vergleich zu vielen AGs und GmbHs Vielfalt in der Unternehmensführung. Auffällig viele Frauen mischen an der Spitze der Moralkapitalisten mit.

Oft macht sich bei jungen Genossenschaften bemerkbar, dass sie wenig Kapital haben und nicht so viele Kanäle zur Geldbeschaffung wie andere Firmen. „Eine Genossenschaft muss wirtschaftlich erfolgreich sein mit dem Kapital der Mitglieder, weil sie sich am Finanzmarkt kein Eigenkapital beschaffen kann“, so Theurl. Ein 100 Jahre alter Bauverein bietet niedrige Mieten, weil er aus dem Vermögen investiert.

Am Anfang war Protest

Idealismus und ein Hang zum unbezahlten Engagement finden sich bei den neuen Genossen bundesweit. Das gilt auch für die Ärzte, die sich als DOXS in Kassel zusammengeschlossen haben. Stefan Pollmächer ist Allgemeinarzt und ärztlicher Psychotherapeut, „nebenbei“ führt er als Vorstand die DOXS. 2007 fanden sich die Mediziner in Nordhessen zusammen, weil sie die Gesundheitsreform der damaligen Bundesministerin Ulla Schmidt (SPD) ablehnten. Aus dem Protest wurde eine Genossenschaft mit 300 Mitgliedern. Von ihren Standesvertretern fühlten sich die Praktiker nicht mehr unterstützt.

Jetzt organisieren sie rotierende Praxen auf dem Land. Wenn kein Arzt vor Ort ist, helfen andere aus. Die Kasselaner tauschen per Software Befunde aus und holen so schnell die Meinung eines Kollegen ein. Die DOXS sind auch Einkaufsgenossenschaft, Anbieter von Fortbildungen und Versicherungsagentur. Das bringt Geld und Vorteile für die Mediziner. „So bekommen sie unschlagbar günstige Preise – für alles vom Klopapier über den Flachbildschirm bis zum Ultraschallgerät“, sagt Pollmächer. „Einmal haben wir sogar einen Anlasser für ein Golf Cabrio besorgt.“ Er spricht dennoch von einem „steinigen Weg“. Noch geht es nicht ohne Beiträge. Neben 500 Euro Einlage zahlen Mitglieder monatlich 65 Euro.

Auf Wachstumskurs ist auch der Berliner Möckernkiez. Noch sind die Bagger nicht angerückt, schon schielen die Kreuzberger auf ein weiteres Grundstück. Unweit ihrer Brache steht eine ehemalige Dragonerkaserne zum Verkauf. Die Kiez-Kapitalisten bieten mit, sie würden gerne weitere Wohnungen schaffen. Ihre Warteliste ist lang. Aino Simon trägt noch eine dritte Geschäftsidee mit sich herum, diesmal gegen Parkplatznot. Sie will eine Mobilitätsbörse schaffen und Großstädtern E-Autos und E-Räder bereitstellen – damit die Tiefgarage reicht und der ältere Herr eine Parklücke findet.

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