Germanwings-Absturz und die Folgen Empörung über „Jagd“ auf Trauernde in Haltern

Nach dem Flugzeugabsturz von Frankreich regt sich deutlicher Unmut über die Berichterstattung einiger Medien. Für Entsetzen sorgt vor allem, wie Journalisten mit Trauernden in der NRW-Gemeinde Haltern am See umgehen.

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Ein Schild mit der Aufschrift

Berlin Die kleine Stadt Haltern am See am Rande des Ruhrgebiets ist von dem Germanwings-Unglück in Südfrankreich besonders betroffen. Eine Gruppe von 16 Schülern und zwei Lehrerinnen des Halterner Joseph-König-Gymnasiums befand sich an Bord der abgestürzten Maschine. Das Medieninteresse ist deshalb besonders groß – vor allem am heutigen Freitag.

Bundespräsident Joachim Gauck ist in die westfälische Stadt gekommen, um an einem Gedenken für die Opfer des Flugzeug-Absturzes teilzunehmen. In Begleitung der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) ging Gauck direkt nach seiner Ankunft in die Sixtus-Kirche, wo dann ein ökumenischer Gottesdienst begann.

Die Öffentlichkeit ist von der Trauerfeier ausgeschlossen, Journalisten dürfen nicht in die Kirche. St. Sixtus ist seit Dienstag zentraler Ort des Trauerns für die Opfer der Flugkatastrophe. Journalisten sind in Haltern ohnehin nicht gern gesehen. Aus gutem Grund. Dass in der besonders von dem Germanwings-Absturz betroffenen Gemeinde Trauernde von einigen Berichterstattern bedrängt worden sein sollen, sorgt für Entsetzen in Berlin.

„Die derzeitige Berichterstattung über die Hintergründe des Flugzeugabsturzes von Germanwings macht mich manchmal fassungslos. Kinder werden mit Geld bestochen, Trauernde belagert, geheime Akten veröffentlicht – all dies, bevor die genauen Umstände tatsächlich verifiziert sind. Es gleicht einer Jagd“, sagte die medienpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Tabea Rößner, hat entsetzt darauf reagiert, dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).

Dies sei zwar keine neue Entwicklung, sagte Rößner weiter, allerdings scheine der stetig wachsende Nachrichtendruck auf die Medien Wirkung zu zeigen. „Immer mehr Medien überschreiten die Grenzen, um nicht ins „Hintertreffen“ zu geraten.“

Auf der Facebook-Seite „Wie love Haltern am See“, die von der örtlichen Werbeagentur Hakuna  Matat betrieben wird, wird von Störungen durch Kameraleute und Reporter berichtet. „Wer zum Gedenken eine Kerze abstellen oder einen Moment an der Treppe zum Gymnasium innehalten möchte, fühlt sich wie im Zoo oder auf einem Laufsteg.“ Von einer Front aus teilweise über 50 Kameras ist die Rede, die jeden Emotionsausbruch einfingen, um kurz darauf gesendet und von „distanzierten Stimmen“ kommentiert zu werden. „Als ob man nicht sehen würde, dass es den Menschen hier schlecht geht.“


„Kotzt mich an, wie mit dem Leid der Trauernden Quote gemacht wird“

Selbstverständlich, heißt es auf der Seite weiter, bestehe ein großes Interesse der Öffentlichkeit aufgrund der Dimension dieses Unglücks. In Momenten aber, in denen Journalisten „Kinder Geld dafür anbieten, Informationen preiszugeben oder vorgegebene Sätze in die Kameras zu sprechen oder sich eine Fotografenmeute auf einen Mann stürzt, der vor Kummer in der Fußgängerzone zusammenbricht, wird Haltern am See zusammenhalten und euch in eure Schranken verweisen“.

Bis zum Nachmittag (15.30 Uhr) wurde der Beitrag über 26.000 Mal geliked und über 26.000 Mal geteilt. Viele User sehen die Arbeit der Medien ebenfalls kritisch. Kindern Geld zu bieten, sei „unterste Schublade“, schreibt eine Marlene Uhl. „Reicht es nicht, ein menschenleeres Haltern und das Lichtermeer vor der Schule zu zeigen um der Welt die Trauer hier nahe zu bringen?“

Und eine Michaela Von Bell ergänzt: „Ich stehe voll hinter Euch. Ich war schockiert über die Sensationsgeilheit und Distanzlosigkeit der Medien. Schrecklich! Ich musste weinen weil ich dachte wie kann man dazu Kinder vor die Kamera ziehen?“ Seinem Ärger macht auch ein Norbert Hürland Luft: „Es kotzt mich an, wie hier mit dem Leid der trauernden Menschen Einschaltquote gemacht wird. Einfach nur noch pervers.“

Eine Miriam Claire Carrington berichtet, dass aus ihrem Ort vier der Opfer kämen. Während die Lokalzeitung kurz berichtet und eine Stellungnahme des Bürgermeisters abgedruckt habe, suchten die größeren Zeitungen und Medien nach Angehörigen und Bekannten und fragten Leute in der Innenstadt nach Informationen. „Dies finde ich einfach ekelhaft!!!“ Die Menschen hätten Freunde, oder Verwandte verloren und hätten „ein Recht aufs Trauern OHNE Blitzgewitter geldgeiler Reporter“.


„Journalismus schafft sich nicht ab, zieht aber massive Kritik auf sich“

Die Grünen-Politikerin Rößner erkläre, Ereignisse wie die Flugzeug-Katastrophe bedeuteten eine „Gratwanderung in der Berichterstattung“ für Journalisten. Auf der einen Seite stehe das Informationsbedürfnis, auf der anderen Seite die Privatsphäre der Opfer und ihrer Angehörigen sowie auch eines vermeintlichen Täters. „Gleichwohl ist von Journalisten zu erwarten, diesen Drahtseilakt zu beherrschen“, sagte Rößner. Hoffnungsfroh stimme sie aber, dass einige Medien bewusst entschieden hätten, gewisse Bilder und Informationen nicht zu veröffentlichen.

Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), Michael Konken, hält es für problematisch, wenn das Haus des Co-Piloten der abgestürzten Germanwings-Maschine im Fernsehen gezeigt und sein voller Name in verschiedenen Medien veröffentlicht werde. „Der Journalismus schafft sich dadurch nicht ab, zieht aber massive Kritik auf sich“, sagte Konken dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).

„Wenn Journalisten nichts wissen, weil es keine Fakten gibt, sollten sie das sagen“, betonte der DJV-Chef. Spekulieren könne jeder selbst, dafür würden keine Medien benötigt. „Leser, Zuschauer und Hörer erwarten von uns Journalisten zu Recht Neuigkeiten und Hintergründe, aber nicht Vermutungen und Tabubrüche“, betonte Konken. 

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