Gesundheit Schmerzen digital bekämpfen

Vor allem junge Menschen greifen immer häufiger zu Schmerzmitteln und gefährden damit ihre Gesundheit. Die größte deutsche Kasse, TK, hat jetzt untersuchen lassen, wie Schmerzen auch digital bekämpft werden können.

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Bei Menschen die in der Erwerbsphase stehen, sind Kopfschmerzen inzwischen die Volkskrankheit Nummer eins. Quelle: dpa

Berlin Die Zahlen sind erschreckend. Von den zehn meist verkauften Medikamenten in Deutschland, sind sieben Schmerzmittel. Sie heißen Paracetamol, Voltaren, Thomapyrin, Aspirin, ASS ratiopharm, Dolormin oder Ibu Ratiopharm. Wer sie nicht kennt, gehört zu den Glücklichen, die nie oder selten unter Kopf- oder Rückenschmerzen leiden. Das gilt aber nur für eine Minderheit in Deutschland. 28 Millionen Frauen und 21 Millionen Männern leiden regelmäßig unter Kopfschmerzen.

Bei Menschen die in der Erwerbsphase stehen, seien Kopfschmerzen inzwischen die Volkskrankheit Nummer eins, so Hartmut Göbel, Chefarzt der Schmerzklinik Kiel. Göbel gehört zu den Vorreitern bei dem Versuch, die ärztliche Therapie von Kopfschmerzen und Migräne unter Nutzung neuer digitalen Möglichkeiten deutlich zu verbessern. Zusammen mit seinem Team der Kieler Schmerzklinik, hat er eine Migräne iPhone-App entwickelt. Über 10 000 Schmerzpatienten haben sich die Anwendung bereits runtergeladen. Die Android-Version soll voraussichtlich Ende des Monats verfügbar sein. Herzstück der App ist ein Kopfschmerzkalender.  „Er wird Ihnen helfen, den Verlauf Ihrer Kopfschmerzerkrankung zu beobachten. Symptome, Behandlung und Auswirkungen der Migräne oder Spannungs-Kopfschmerzen können exakt und zeitgemäß dokumentiert werden. „Ihre Kopfschmerzen können so effektiver und gezielter behandelt werden“, verspricht Göbel auf der Internetseite seiner Klinik.

Dabei zeichnet die App nicht nur Verlaufsdaten der Erkrankung auf. Anders als bei herkömmlichen Schmerzkalendern, können die Verlaufsdaten jederzeit Online ausgewertet werden. So kann der Patient die Wirksamkeit einer neuen Behandlung sofort erkennen und nachverfolgen. Das hilft auch dem Arzt, die Behandlung maßgeschneidert vorzunehmen und kontinuierlich zu optimieren. Voraussetzung ist natürlich, dass der Patient mit der Verwendung der Daten einverstanden ist. Nur wenn er die Aufzeichnungen seiner Migräne-App per Mail weiterleitet, oder einen Ausdruck mit in die Praxis nimmt, erhält der Arzt Einblick in die Daten.

Die Techniker Krankenkasse (TK) wollte wissen, ob das Ganze mehr ist als eine Spielerei und hat 200 Nutzer nach ihren Erfahrungen mit der App befragt. Einmal vor Beginn der Nutzung, einmal drei Monate danach. Das Ergebnis: Zwei Drittel fanden es besonders gut, dass sie sich über die App auch mit anderen Erkrankten austauschen können. Bedeutsamer für den Therapieerfolg ist allerdings, dass 60 Prozent bestätigten, sie würden seit sie die App benutzten die Therapieregeln, die ihnen  der Arzt gegeben hat, besser einhalten. Fast 90 Prozent gaben an, dass die App dabei besser hilft, als der herkömmliche Kopfschmerzkalender auf Papier.

Nicht ganz  unwichtig ist aus Sicht der Krankenkasse dürfte auch sein, dass immerhin ein Viertel der Nutzer angaben, sie müssten sich nun nicht mehr so oft wegen Kopfschmerzen vom Arzt krankschreiben lassen. Das ist auch für den Arbeitgeber von Vorteil. Denn Schmerzpatienten verursachen deutlich höhere Kosten als Patienten ohne Schmerzen. Letztere belasten die Solidargemeinschaft der TK-Versicherten durchschnittlich mit 2200 Euro im Jahr. Bei Schmerzpatienten belaufen sich die Behandlungskosten auf durchschnittlich 3300 Euro im Jahr.

„Die Ergebnisse zeigen das enorme Potenzial, dass digitale Lösungen und auch die Vernetzung personenbezogener Daten für das Wohlergehen des einzelnen haben können“, sagt TK-Chef Jens Baas. Als nächstes Projekt kündigte er die Entwicklung einer elektronischen Gesundheitsakte an, in der Patienten künftig auf freiwilliger Basis alle für sie relevanten Gesundheitsdaten sammeln können. Gerade erst hat IBM den Zuschlag für die Entwicklung der Akte erhalten.

Mit der Patientenakte setzt die TK ein Projekt um, das eigentlich längst für alle 70 Millionen gesetzlich Krankenversicherten verfügbar sein sollte. Denn die Patientenakte war mal als wichtigste Anwendung der elektronischen Gesundheitskarte gedacht, an der seit 2005 gearbeitet wird. Sie sollte die Behandlung von Krankheiten optimieren. Zum Beispiel könnten Mehrfachdiagnosen vermieden werden, die immer noch an der Tagesordnung sind. Tatsächlich ist die Karte bis heute kaum mehr als eine Ausweiskarte mit Foto für die Versicherten. Baas hofft, dass seine elektronische Gesundheitsakte am Ende zum Modell für alle Krankenkassen wird.

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