Gesundheitswesen Kopfprämien auch zwischen Arztpraxen

Im Wettbewerb um Patienten sind Kopfprämien gang und gäbe – auch zwischen Arztpraxen. Staatsanwälte ermitteln gegen die Korruption im Gesundheitswesen, der Schaden soll eine Milliarde Euro betragen.

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MTR-Untersuchung: Ist das Gerät erst mal da, wird durchleuchtet, was das Zeug hält Quelle: Max Lautenschläger für WirtschaftsWoche

"Hm, da sollten wir zur Sicherheit ein MRT machen lassen“, sagt die Orthopädin. "Ich gebe Ihnen eine Überweisung und sage meiner Sprechstundenhilfe, sie soll einen Termin in der Praxis gegenüber vereinbaren." Die ältere Dame freut sich, dass ihre Ärztin sich um sie kümmert. Die Orthopädin freut sich auch: Für jeden Patienten, den sie zur Magnetresonanztherapie überweist, zahlt der Nachbar eine Prämie.

Alltag in Deutschland. Patienten werden von Ärzten an Kollegen weiter überwiesen. Was sie nicht ahnen: Manchen Medizinern geht es dabei auch ums Geld. Das Wohl der Kranken und die Notwendigkeit der Untersuchung geben nicht allein den Ausschlag.

Staatsanwalt Alexander Badle aus Frankfurt kann ein Lied von solchen Fällen singen. "Die Ärzte sind anfällig dafür." Kopfprämien werden von der Klinik an den einweisenden Doktor gezahlt, vom Orthopäden oder Internisten an den Röntgenarzt. Kick-Back-Geschäfte kommen zwischen Dentisten und Zahnlaboren, Orthopäden und Sanitätshäusern vor, Bestechungsgeschenke wandern von der Arzneimittelfirma auf den Praxistresen.

Radiologen besonders unter Druck

Und es wird den Ärzten leicht gemacht, denn unser Gesundheitssystem hat alles zu bieten, was den Schmu erleichtert: ein gigantisches Budget von fast 245 Milliarden Euro. Jede Menge Intransparenz. Darüber hinaus gibt es keinen, dem Betrug und Verschwendung wehtun. Denn am Schluss wird der Schaden auf die Versicherten umgelegt. Gleichzeitig fühlen sich immer mehr Ärzte in Deutschland unterbezahlt.

Trotzdem ist Badle immer wieder entsetzt, "dass bei vielen Ärzten jegliches Unrechtsbewusstsein fehlt". Er gehört zur "Ermittlungsgruppe Betrug und Korruption im Gesundheitswesen". Der Schaden in diesem Bereich liegt bundesweit schätzungsweise bei einer Milliarde Euro.

Vor allem bei Radiologen sei der Druck hoch, viele Patienten zu durchleuchten, berichtet Badle. Ein MRT-Apparat ist ab 750.000 Euro zu haben. „Nur ein paar große Praxen leisten sich diese Anschaffungen. Die gehen dann aggressiv an die niedergelassenen Ärzte ran“, weiß der Staatsanwalt zu berichten. Manchmal soll der überweisende Mediziner beim Radiologen die Leistung zu einem Festpreis einkaufen und sie dann in der eigenen Praxis mit der Kasse abrechnen. Oder der Radiologe zahlt dem überweisenden Arzt einen Betrag – oft mehrere Hundert Euro – für die Überweisung.

Prämien heißen Zuweisungspauschale

Auch bei Überweisungen von konservativen niedergelassenen Ärzten, also solchen, deren Job vor allem im Zuhören und Untersuchen besteht, an ihre operierenden Kollegen seien Prämien "gang und gäbe", erzählt ein Augenarzt, der 18 Jahre lang eine Praxis im Rheinland betrieben hat. „Das heißt natürlich nicht Prämie, sondern Zuweisungspauschale oder Nachbeobachtungspauschale, so dass man es notfalls medizinisch begründen könnte.“ Üblich seien Sätze um die 50 Euro. 60 Überweisungen pro Quartal ergeben dann schon 12.000 Euro im Jahr. Viele Niedergelassene, deren Einkommen sich aus einer Menge von geringen Pauschalen addiert, finden diese Art des Hinzuverdienstes nur gerecht. Während ein Hausarzt für den Komplett-Check eines 35-jährigen Mannes bei der gesetzlichen Kasse 35,90 Euro abrechnen darf, erhält ein Augenarzt für eine zehnminütige Graue-Star-Operation um die 1000 Euro. Der Unmut über diese ungleiche Verteilung der Gelder im System ist bei den Medizinern groß.

Immer mehr Doktoren wollen deshalb selbst operieren – und verlagern damit den Konkurrenzkampf zu den Krankenhäusern. Die buhlen meist ohnehin schon um jeden Patienten, seit die Kassen Geld pro Fall, also beispielsweise pro Blinddarm-OP, und nicht mehr pro Tag überweisen. Privatkliniken bauen sich deshalb Medizinische Versorgungszentren neben ihr Haus, von wo aus ambulante Patienten direkt eingewiesen werden. Krankenhäuser ohne solchen Staubsauger versuchen nicht selten, Praxisärzte mit Verträgen an sich zu binden. Sie garantieren ihnen bestimmte Leistungen, die sie vor und nach der stationären Operation erbringen dürfen, etwa Blutabnahme oder EKG. Oder sie senden ihnen einen Fragebogen zu und zahlen eine Aufwandsentschädigung von 50 oder 100 Euro.

Schwierige rechtliche Beurteilung

Strafrechtlich gesehen ist das kein Delikt, und politisch ist die stärkere Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern sogar ausdrücklich erwünscht. "Mit Bestechung haben die Forderungen der Ärzte nichts zu tun", verteidigt Frank Ulrich Montgomery, Vizepräsident der Bundesärztekammer, seine Zunft. Und Andreas Köhler, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, spricht von "ganz wenigen Einzelfällen", in denen Ärzte Geld für die Einweisung von Patienten erhielten.

Berufsrechtlich, sagt Badle, sei klar: Die Einweisung gegen Geld ist verboten. Strafrechtlich dagegen geraten seine Fälle oft in eine Grauzone. Bei den klassischen Kick-Back-Geschäften kann meist ein Betrug nachgewiesen werden: wenn der Käufer dem Verkäufer – heimlich – einen Teil des Kaufpreises zurückerstattet und dies zulasten der Krankenkasse geht. In anderen Fällen ist die Rechtslage jedoch weniger klar: Kauft die Orthopädin die Leistung des Radiologen ein und stellt sie selbst der Kasse in Rechnung, entsteht dem Versicherer dadurch keinen Schaden. "Deshalb schauen die Kassen da gerne weg", sagt Badle. "Aber ich verfolge die Fälle. Denn die Kassen werden indirekt geschädigt, weil der Radiologe den neuen Patienten durchleuchten wird, was das Zeug hält." Gelingt es ihm, Betrug oder Untreue nachzuweisen, drohen Geldstrafen oder Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren.

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