Gewerkschaften Die unheimliche Macht der IG Metall

Berthold Huber hat seine Organisation in einen straff organisierten Arbeitnehmer-Konzern verwandelt – mit prall gefüllten Streikkassen und einer enormen Machtfülle. Wie arbeitet die IG Metall? Und was bedeutet ihr wachsender Einfluss für die Wirtschaft? Ein Bericht aus dem Innenleben der weltgrößten Gewerkschaft.

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IG-Metall-Chef Berthold Huber Quelle: REUTERS

Der Terminplan für Berthold Huber steht. Am kommenden Dienstag wird der IG-Metall-Vorsitzende um elf Uhr vom Hamburger Spielbudenplatz mit einem Demonstrationszug zum Fischmarkt der Hansestadt wandern, dort gegen zwölf ein Podium erklimmen und routiniert gegen Leiharbeit, Sozialabbau und die Auswüchse des Kapitalismus wettern. Doch mit seinen Gedanken ist der 62-Jährige dann womöglich ganz woanders. Nur 24 Stunden nach der Kundgebung zum 1. Mai will die IG Metall mit Warnstreiks in Deutschlands wichtigster Industriebranche die härteste Tarifauseinandersetzung seit Jahren eröffnen – und selten zuvor sind die Spitzenfunktionäre mit derart breiter Brust in eine Lohnrunde gezogen wie 2012.

„Die Sozialpartnerschaft hat in der Krise gehalten. Jetzt geht es um eine Verteilungsauseinandersetzung“, sagt Huber, und er kann sich diese kämpferischen Töne durchaus leisten. Der gelernte Werkzeugmacher aus Ulm gilt mittlerweile als einflussreichster Gewerkschaftsmanager der deutschen Nachkriegsgeschichte. Nach Jahren des politischen und organisatorischen Niedergangs hat er seine Gewerkschaft nicht nur wieder zu einem starken Kampfverband gemacht, sondern zu einem zentralen Machtfaktor in der deutschen Wirtschaft – auch jenseits des tarifpolitischen Tagesgeschäfts. Der Arbeitnehmer-Konzern IG Metall gestaltet nicht nur die Lohn- und Arbeitsbedingungen von 3,6 Millionen Beschäftigten, sondern ist auch gefragter Ratgeber der Politik; er sitzt auf dicken Aktienpaketen, bezieht Profit aus einem umfangreichen Immobilienbesitz – und regiert über seine Aufsichts- und Betriebsräte mehr denn je in der Beletage der deutschen Industrie mit.

Die IG Metall in Zahlen

Keine andere Branche ist heute gewerkschaftlich so durchdrungen wie die Metall-und Elektroindustrie. Während in der Wirtschaft insgesamt nur rund 20 Prozent der Arbeitnehmer ein Gewerkschaftsbuch haben, sind es im wichtigsten Industriezweig des Landes nach internen Zahlen der IG Metall immerhin 31 Prozent. In den großen Automobilkonzernen und in der Stahlindustrie liegt der Organisationsgrad bei weit über 90 Prozent.

Aufpasser in Aufsichtsräten

Würde die IG Metall in ihrem Jahresbericht wie eine Bank verfahren und alle Unternehmen nennen, bei denen sie mehr oder weniger starken Einfluss hat, ergäbe sich eine lange Liste, von Siemens mit seinen in Deutschland 116.000 Beschäftigten über die großen Automobilkonzerne bis hin zu vielen Mittelständlern. In den Mitbestimmungsgremien der Unternehmen geht vielfach nichts gegen die Gewerkschaft. Von den über 70.000 Betriebsratsmitgliedern der Branche gehören über 70 Prozent der IG Metall an. Hinzu kommen knapp 80.000 gewerkschaftliche „Vertrauensleute“, also Arbeitnehmer, die ihre Gewerkschaft mit Informationen aus dem Betrieb versorgen.

In die Aufsichtsräte deutscher Unternehmen entsendet die Gewerkschaft rund 1700 Aufpasser. Gewerkschaftsboss Huber hat gleich vier Kontrollmandate: Er ist stellvertretender Aufsichtsratschef bei Siemens, Audi und VW und einfaches Mitglied bei Porsche. Das macht ihn zu einem der Chefkontrolleure der deutschen Wirtschaft. Die vier Konzerne bringen es auf eine Marktkapitalisierung von 158 Milliarden Euro, das entspricht fast einem Viertel des Wertes aller Dax-30-Unternehmen. Zum Vergleich: Manfred Schneider, der König der Aufsichtsratschefs (Bayer, Linde, RWE) beaufsichtigt nur Konzerne mit einer Marktkapitalisierung von 85,8 Milliarden Euro. Hubers Vize Detlef Wetzel sitzt in den Kontrollgremien von SMS und ThyssenKrupp Steel. Finanzvorstand Bertin Eichler hat Sitz und Stimme im Aufsichtsrat von BMW und bei ThyssenKrupp.

Längst sehen sich die Gewerkschaftsbosse weniger als Klassenkämpfer denn als Co-Manager. Und sie wollen mehr: Huber hat mehrfach das Doppelstimmrecht des Aufsichtsratschefs infrage gestellt. Seit Längerem kursieren in der IG Metall zudem Gedankenspiele, die zunehmende Kapitalbeteiligung von Arbeitnehmern an Unternehmen strategisch zu nutzen. Die Idee lautet, Mitarbeiteranteile branchenübergreifend zu bündeln und mit einer einheitlichen Beteiligungsgesellschaft auf Hauptversammlungen aufzutreten.

Schon als Chef des IG-Metall-Bezirks Baden-Württemberg (1998–2003) fiel Huber mit für Gewerkschaftsverhältnisse unbotmäßigen Gedanken auf, etwa zur Flexibilisierung von Tarifverträgen. Im Gegensatz zu anderen Gewerkschaftsfürsten hatte er über Jahre einen guten Draht zu Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann. In seinem Büro im 15. Stock der Frankfurter IG-Metall-Zentrale musste die Milliardärin Maria-Elisabeth Schaeffler um Hilfe für ihren angeschlagenen Konzern nachfragen. In Russland wurde Huber von Wladimir Putin empfangen. Jüngst kam Bundesbank-Präsident Jens Weidmann zum Antrittsbesuch.

Radikale Strategiereform

Deutsche Bundesbank Präsident Jens Weidmann und Berthold Huber Quelle: REUTERS

Was die Arbeitgeber aktuell aber am meisten beunruhigen dürfte: Die Streikkasse der IG Metall ist so prall gefüllt wie nie zuvor. Wenig beachtet von der Öffentlichkeit, hat die IG Metall seit Jahren 15 Prozent ihrer Beitragseinnahmen für Arbeitskämpfe angespart. Allein im vergangenen Jahr waren das 69 Millionen Euro. Zwischen 2007 und 2011 gab die IG Metall nur etwa fünf Millionen Euro für Streikgelder aus – und stopfte mehr als 330 Millionen in die Rücklagen. „Am Geld wird 2012 ein Arbeitskampf mit Sicherheit nicht scheitern“, frohlockt Finanzvorstand Bertin Eichler.

Und an mangelndem Rückhalt in den Betrieben wohl auch nicht. Die Gewerkschaft hat unter Huber die Trendwende bei den Mitgliederzahlen geschafft. Während die beiden anderen großen DGB-Gewerkschaften Verdi und IG BCE 2011 weiter schrumpften, konnten die Metaller erstmals seit der deutschen Einheit zulegen. Die Beitragseinnahmen kletterten um 17 Millionen auf knapp 459 Millionen Euro – den höchsten Wert aller Zeiten.

Nachdem das Jahresergebnis nach Rückstellungen in den Vorjahren stets negativ war, gab es 2011 einen Überschuss von über zehn Millionen Euro. 2012 rechnet Finanzvorstand Eichler „mit einem weiteren Anstieg der Einnahmen auf rund 464 Millionen Euro“. Und das sei eine konservative Planung. Erste Zahlen aus den Bezirken zeigen, dass der positive Mitgliedertrend anhält; allein in Baden-Württemberg traten im ersten Quartal 6000 Kollegen ein. Das Schönste: Von jeder Lohnerhöhung, die sie den Arbeitgebern abtrotzt, profitiert die Gewerkschaft selbst. Denn ein Prozent des Bruttoeinkommens fließt als Mitgliedsbeitrag in ihre Kasse.

Mitgliederzahl der IG Metall Quelle: DGB

Der Aufschwung ist das Ergebnis einer radikalen Strategie- und Organisationsreform, die Huber seiner Truppe verordnet hat. Unter Vorgänger Jürgen Peters, dem Huber vier Jahre als Vize dienen musste, hatten sich Fundamentalisten und Pragmatiker in der Gewerkschaft bekriegt und die Gewerkschaft ins politische Abseits manövriert. Peters sah in der IG Metall eine radikale linke Gegenmacht, die eine Führungsrolle in jedwedem sozial- und gesellschaftspolitischen Diskurs des Landes einnehmen sollte. Am Ende der Ära Peters im Jahr 2007 hatte die Gewerkschaft 400.000 Mitglieder weniger als zu Zeiten der Wiedervereinigung.

Zurück zum Kerngeschäft

Heute spottet IG-Metall-Vize Detlef Wetzel: „Die Welt wird nicht verändert, indem wir als IG Metall in der Lage sind, einen guten Aufsatz zu schreiben.“ Nun lautet die von ihm und Huber vorgegebene Linie: Konzentration aufs Kerngeschäft. Alle Aktivitäten, einschließlich der Tarifrunden, dienen dem einen zentralen Ziel: neue Mitglieder zu gewinnen und damit zusätzliche Macht in den Betrieben. Nicht von ungefähr will die IG Metall in der laufenden Tarifrunde nicht nur 6,5 Prozent mehr Geld, sondern auch eine Übernahmepflicht für Auszubildende und Mitbestimmungsrechte beim Einsatz von Zeitarbeitern durchsetzen. „Das sind drei gleichwertige Forderungen – und im Zweifel werden wir einen Konflikt um alle drei Themen führen“, sagt Huber. Vor allem: Es sind beste Werbeargumente bei den Belegschaften.

Niemand sollte sich von Hubers bisweilen fahrigen Auftritten und seiner betont schläfrigen Sprechweise täuschen lassen: Der Mann denkt messerscharf und weiß genau, was er will. Auch im Umgang mit den eigenen Leuten folgt die Gewerkschaft inzwischen kühlem unternehmerischem Kalkül. In der Frankfurter Zentrale hat Huber (Jahresgehalt: rund 240.000 Euro) zuletzt rund 100 Stellen abgebaut, das sind rund 15 Prozent der dortigen Belegschaft. Das eingesparte Geld, fast 20 Millionen Euro pro Jahr, steckt er nun in einen Fonds, aus dem die Verwaltungsstellen vor Ort Projekte zur Mitgliedergewinnung finanzieren können. Lohnverhandlungen für die eigene Belegschaft, bundesweit rund 2300 Leute, führt die IG-Metall-Spitze mit dem Betriebsrat – wofür man jedes Unternehmen, das Ähnliches versucht, vors Arbeitsgericht zerren würde.

Wie die Basis tickt

Bitten lokale Betriebsräte bei Streitigkeiten mit der Firmenleitung um Unterstützung, hilft die IG Metall weiterhin gerne – aber nur noch, wenn vorher genügend Beschäftigte einen Mitgliedsantrag unterschrieben haben. „Gut organisierte Belegschaften haben gute Tarifverträge – und schlecht organisierte schlechte“, beschreibt Wetzel lapidar die Entwicklung.

Als etwa vor einigen Monaten ein Metallbetrieb in Lüdenscheid wegen wirtschaftlicher Probleme tarifliche Leistungen kürzen wollte und Betriebsräte bei IG-Metall-Lokalchef Bernd Schildknecht vorsprachen, zog der nur die Augenbrauen hoch; ganze 20 der 120 Mitarbeiter waren in dem Unternehmen organisiert. Acht Wochen später hatte sich die Zahl vervierfacht. Zwar mussten die Mitarbeiter trotzdem für eine Übergangszeit Lohneinbußen und längere Arbeitszeiten hinnehmen. Metaller Schildknecht handelte aber im Gegenzug eine Beschäftigungsgarantie für alle aus.

Wer wissen will, wie die neue IG Metall an der Basis tickt, sollte in die Düsseldorfer Roßstraße fahren und mit Oliver Burkhard reden. Der 40-Jährige, ein jugendlicher Typ mit Dreitagebart, sitzt im achten Stock der nordrhein-westfälischen IG-Metall-Zentrale und blättert in einem Aktenordner. Als Chef der IG Metall NRW, des mitgliederstärksten Bezirks seiner Gewerkschaft, ist der Huber-Vertraute einer der einflussreichsten IG-Metall-Funktionäre des Landes. Aber er ist so ziemlich das Gegenteil dessen, was sich Lieschen Müller unter einem Metallgewerkschafter vorstellt. Klassenkampf? Völker, hört die Signale? Bei Burkhard, der Betriebswirtschaft studiert hat und früher beim Statistischen Bundesamt arbeitete, hört sich das anders an. Er redet lieber von „VS-Ratings“, „ABC-Analysen“ und „Organizingprojekten“; in seinen Ordnern hat er seitenlange Qualitätsanalysen und Leistungschecks abgeheftet.

Strenge Leistungskontrolle

Bertin Eichler Quelle: Bert Bostelmann für WirtschaftsWoche

Vor wenigen Jahren noch haben in der IG Metall viele Lokal- und Provinzfürsten gemacht, was sie wollten. Heute arbeiten die bundesweit rund 160 Verwaltungsstellen als eine Art Profit Center. Sie müssen sich einem Benchmarking-Verfahren unterziehen und für jedes Jahr einen detaillierten Geschäftsplan vorlegen, den nicht nur die regionale Bezirksleitung, sondern auch die Zentrale in Frankfurt begutachtet. „Wir haben unsere Strukturen spürbar professionalisiert“, sagt Burkhard.

Auch die 39 Dependancen in NRW haben Zielvorgaben bekommen. Für die Zahl der Neumitglieder und Austritte sowie die Finanzlage gibt es von Burkhard nun eine grüne, gelbe oder rote Ampel. Wer am Ende des Jahres zu viel Rot auf dem Zeugnis hat, bekommt ein Problem und einen Termin beim Bezirksleiter, bei dem die brüderliche Solidarität gern mal zurücksteht. Viele dieser Termine gibt es allerdings nicht mehr; die meisten Niederlassungen arbeiten mittlerweile im grünen Bereich.

Jahresergebnis IG-Metall-Hauptkasse Quelle: IG Metall

Wirtschaftskonzern IG Metall

Finanzielle Sorgen? Während andere Gewerkschaften wie die IG Bau knapp bei Kasse sind, schwimmt die IG Metall in Geld. Insider taxieren das Vermögen auf mindestens zwei Milliarden Euro, umfangreicher Immobilienbesitz kommt noch oben drauf. Die genauen Zahlen sind so geheim wie die Rezeptur von Coca-Cola. In der IG-Metall-Dependance Wolfsburg etwa bunkern die Metaller so viele Millionen, dass „die Kollegen dort theoretisch keinen Cent an Mitgliedsbeiträgen mehr bräuchten“, berichtet ein hoher Funktionär. Selbst die Verwaltungsstelle im strukturschwachen Duisburg soll zwei bis drei Millionen Euro auf der hohen Kante haben, Provinz-Niederlassungen wie Lüdenscheid bringen es auf fast 3,5 Millionen Euro.

Was macht eine Gewerkschaft mit so viel Geld? Als steuerbefreiter Verein darf die IG Metall keine profitorientierten Geschäfte betreiben. Doch hat sie sich wie ein Wirtschaftskonzern aufgestellt, mit einer Vielzahl von Gesellschaften, Untergesellschaften und Beteiligungen.

  • Ein großer Teil der Kapitalanlage läuft über die gewerkschaftseigene Vermögensverwaltungsgesellschaft Feho in Frankfurt. Damit das Gewerkschaftskapital ordentliche Erträge abwirft – die interne Zielrendite liegt bei mittelfristig vier bis fünf Prozent – hat die Feho professionelle Fondsmanager am Markt eingekauft. Einer kam von der Helaba, ein anderer von Cominvest, für das Risikomanagement ist eine ehemalige SEB-Bankerin zuständig. Ein siebenköpfiges Team steuert nun den Kauf und Verkauf von Pfandbriefen, Staats- und Unternehmensanleihen.

    Besonders pikant: Während gewerkschaftlicher Aktienbesitz vor wenigen Jahren noch tabu war, kauft sich die IG Metall inzwischen auch in die Wirtschaft ein. Bis zu 20 Prozent des Anlagevermögens, so die interne Vorgabe, dürfen die roten Fondsmanager in Aktien investieren. Auch wenn es derzeit nur rund drei Prozent sind (was auf einen hohen zweistelligen Millionenbetrag hinausläuft), sehen dies Experten kritisch. „Wer gleichzeitig als Arbeitnehmer-Lobbyist und Anteilseigner auftritt, kann leicht in Interessenkonflikte geraten“, warnt Wolfgang Franz, Chef der „Fünf Wirtschaftsweisen“. Um ein Geschmäckle zu vermeiden, lässt die IG Metall ihre Aktiengeschäfte über Geschäftsbanken abwickeln; einige davon haben für den Großkunden IG Metall eigene Fonds aufgelegt.

  • Ebenso einflussreich wie die Feho ist der IG-Metall-Ableger Igemet, der über eine weitere Tochterfirma den Immobilienbesitz verwaltet. Die Gewerkschaft besitzt aktuell 107 Immobilien an 86 Standorten, zum Teil in bester Citylage. Dies sind vor allem selbst genutzte Bürohäuser und Bildungszentren, aber auch knapp 350 Wohnungen, davon allein 180 in einer Anlage nahe der Berliner Charité. Lange Zeit besaß die IG Metall sogar Waldflächen und Campingplätze; solche „nicht betriebsnotwendigen“ Besitztümer hat die Gewerkschaft jedoch nach und nach verkauft.

    Das Juwel im Immobilienportfolio ist die Zentrale im Frankfurter Gutleutviertel, das 2003 fertiggestellte Mainforum. Der in kühlem Rotbraun gehaltene Wohn- und Geschäftskomplex steht mit einem Wert von 150 Millionen Euro in den Büchern. Angesichts eines Vermietungsstandes von 97 Prozent gebe es bei der Bewertung aber eine „ordentliche stille Reserve“, heißt es intern. Untermieter der IG Metall auf den rund 30.000 Quadratmeter Bürofläche ist unter anderem die Fluglinie Iberia.

    Um das Immobilienvermögen weiter zu mehren, will die IG Metall nun an mehreren Standorten sogenannte Gewerkschaftshäuser bauen oder kaufen, in denen sich andere Gewerkschaften und der DGB einmieten können. 2012 sind Projekte in Essen, Münster, Freiburg, Landshut und Heidenheim geplant.

    Zudem steckt die Gewerkschaft derzeit Millionensummen in ihre sieben Bildungsstätten, um Marktanteile im boomenden Weiterbildungsmarkt auszubauen. Auf ihrer Homepage feiert sich die Gewerkschaft bereits als „größte nicht-staatliche Bildungseinrichtung“ Deutschlands. „Wir wollen unsere Bildungsstätten auf Drei- bis Vier-Sterne-Niveau heben“, sagt Finanzchef Eichler. Allein 33 Millionen Euro sind in den Neubau des zentralen Bildungszentrums in Sprockhövel am Rande des Ruhrgebiets geflossen, ein opulenter Bau inmitten der Natur, mit Sonnenterrassen und schickem Wellnessbereich. Eichler: „Wir müssen es schaffen, die eigenen Funktionäre wieder verstärkt in unsere Schulungshäuser zu holen.“

    Der Hintergrund ist weniger ideologischer als ökonomischer Natur: Die Schulung von Betriebsräten und Funktionären ist ein hart umkämpfter Markt, auf dem sich immer mehr private Anbieter tummeln, etwa auf Arbeitsrecht spezialisierte Anwaltskanzleien. Und da Betriebsräte-Seminare in der Regel der Arbeitgeber zahlt, haben diese Veranstaltungen regen Zulauf.

Ziele 2012

Spartengewerkschaften mit viel Macht
GdFWelche Auswirkungen die Aktivitäten einer eher kleineren Gewerkschaft haben können, zeigt sich im Februar am Frankfurter Flughafen während des Streiks der Vorfeldbeschäftigten des von der Fraport AG betriebenen Flughafens in einem Abfertigungsterminal. 200 Vorfeldmitarbeiter legten dort ihre Arbeit nieder - das führte dazu, dass über 100 Flüge ausfallen mussten. Unternehmen, die gar nicht bestreikt wurden, wie etwa die Deutsche Lufthansa, haben dadurch bereits einen hohen zweistelligen Millionenbetrag verloren. Die Gewerkschaft GdF, die auf ihrer Homepage mit dem Spruch "Wir lassen Euch nicht in der Luft hängen" wirbt, wurde im Jahr 2004 gegründet. Quelle: dapd
Gewerkschaft der ServicekräfteIm Dezember 2010 bildete sich die GdS, die Gewerkschaft der Servicekräfte im Bereich von Serviceunternehmen unter Beteiligung der öffentlichen Hand, speziell an Krankenhäusern. Nach etwas über einem Jahr des Bestehens blickt die Gewerkschaft auf Ihrer Homepage auf erfolgreiche Verlängerungen von Arbeitsverträgen, Klärungen in Lohnangelegenheiten und die Rücknahme von Kündigungen zurück. Für das laufende Jahr hat sie sich eine Ausweitung ihrer Tätigkeit und Kontakte vorgenommen. Quelle: Screenshot
NAG Quelle: Screenshot
DFeuG Quelle: dpa/dpaweb
TGL Quelle: dpa
Verband Private SicherheitInnerhalb der Polizeigewerkschaft DPolG hat sich der Verband Private Sicherheit gegründet. Er will Mitarbeiter von Sicherheitsdiensten vertreten, beispielsweise an Flughäfen. Quelle: Handelsblatt Quelle: AP
  • Gemeinsam mit den Metallarbeitgebern betreibt die IG Metall das Versorgungswerk MetallRente, zuständig für die Metall- und Elektroindustrie, die Stahlindustrie sowie die Branchen Textil, Holz und Kunststoff. Das Versorgungswerk hat seit 2001 über 420.000 Verträge abgeschlossen und kann laut Geschäftsführer Heribert Karch 2011 „auf das beste Ergebnis seit Gründung verweisen“.
  • Zu guter Letzt gibt es auch noch eine Servicegesellschaft, die die Mitglieder mit Rabatten bei Laune hält und Unterstützungsleistungen abwickelt. Metallern winken unter anderem ein Gratismitgliedsjahr beim Pannenhilfsdienst ACE, verbilligte Musical-Tickets und 35 Prozent Rabatt im Legoland. Eifrige Mitgliederwerber können Fernseher, Laptops und DVD-Player abgreifen. Hinzu kommen Kooperationen mit Unternehmen, etwa dem Privatversicherer Ergo Direkt und dem Stromanbieter Entega, denen die IG Metall über Sonderkonditionen Kunden zuschanzt.

Attacke aufs Handwerk

Trotz alledem steht die IG Metall strukturell noch immer nicht so stark da, wie es ihre Funktionäre gerne hätten. Die Gewerkschaft ist überaltert und nur jeder zehnte Beitragszahler jünger als 27 Jahre – womit man in der IG Metall offiziell noch zur „Jugend“ zählt. Jedes fünfte Mitglied ist ein Rentner, der Frauenanteil liegt seit Jahren bei trostlosen 18 Prozent. Und noch immer gibt es Branchen, in denen die IG Metall nur schwer einen Fuß in die Tür kriegt. Dazu zählen etwa die Wind- und Solarindustrie oder die Zeitarbeit. Auch im Handwerk liegt der Organisationsgrad nur bei rund zehn Prozent.

2012 sollen aber auch diese Bastionen genommen werden. Derzeit sammeln IG-Metall-Funktionäre bundesweit Firmendaten aus größeren Handwerksbetrieben ohne Betriebsrat, um dort die Wahl von Mitarbeitervertretungen zu initiieren. Betriebsräte sind traditionell das wichtigste Einfallstor für Gewerkschaften in ein Unternehmen. Auch der aggressive Dauerbeschuss der Zeitarbeitsbranche durch die IG Metall zeigt erste Wirkung: Von den rund 300.000 Zeitarbeitern der Metallindustrie haben mittlerweile gut 36 000 einen Mitgliedsantrag unterschrieben – rund 68 Prozent mehr als im Vorjahr.

Akademiker ins Boot holen

Erklärtes Ziel der IG Metall für 2012 ist es außerdem, an Studenten und Akademiker heranzukommen, die sich vom Kampfgeschrei einer Gewerkschaft eher abgeschreckt fühlen. „Für hoch qualifizierte Angestellte, etwa Ingenieure, waren wir früher weniger attraktiv. Das lag sicher auch an der Art und Weise, wie wir sie angesprochen haben“, gesteht Metaller Burkhard. Allein für eine stärkere Präsenz an den Hochschulen gibt die Gewerkschaft nun in den kommenden vier Jahren 4,3 Millionen Euro aus.

Seit Anfang des Jahres laufen Vorbereitungen, um in 17 Universitäten eigene IG-Metall-Büros aufzubauen, unter anderem in Hamburg, Hannover, Berlin, Darmstadt, Karlsruhe und Nürnberg. Die Dependancen sollen die IG Metall als eine Art ADAC für die Arbeitswelt verkaufen und diverse Beratungsdienste anbieten.

Kein Machtgleichgewicht

Für Wirtschaft und Politik wirft die Renaissance der IG Metall allerdings einige unbequeme Fragen auf. Drohen den Unternehmen nun auf Dauer massive Verteilungskonflikte? Kann es gut sein, wenn eine Gewerkschaft mit ihren diversen Regulierungswünschen auf offene Ohren an höchster Stelle stößt, während Positionspapiere der Wirtschaftsverbände in ministerialen Schubladen verstauben? Fakt ist, dass der Einfluss der IG Metall auf die Regierungspolitik mittlerweile höher ist als noch zu rot-grünen Regierungszeiten. „Wenn man ,IG Metall‘ ruft, gehen in Berlin alle Türen auf“, sagt ein ehemaliger Lobbyist der Gewerkschaft.

Nächste Kampagne schon in Planung

Gleichzeitig spricht vieles dafür, dass die IG Metall künftig nicht nur über die herkömmliche Mitbestimmung, sondern auch via Tarifpolitik ihren Einfluss auf die Geschäftspolitik der Unternehmen erhöhen will. Es passt ins Bild, dass sich die Gewerkschaft in der aktuellen Tarifrunde in die Personalpolitik einmischt, eine Übernahmepflicht für Azubis und ein Vetorecht von Betriebsräten gegen den Einsatz von Zeitarbeitern fordert. Und die nächste Kampagne ist schon in Planung: Die Gewerkschaft will den Einsatz von Werkverträgen in den Unternehmen eindämmen. „Die Frage der Fertigungstiefe in der Industrie wird das nächste Megathema für die IG Metall. Darauf können sich die Arbeitgeber schon mal einstellen“, kündigt Vize-Chef Wetzel an.

Trotz alledem geben sich die Arbeitgeber noch überraschend zahm. Die steigenden Mitgliederzahlen der IG Metall bewertet selbst Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser als „positiv“. Um die Gewerkschafter im eigenen Haus milde zu stimmen, etwa bei Umstrukturierungsmaßnahmen, gewähren manche Unternehmen IG-Metall-Mitgliedern mittlerweile sogar zusätzliche Geld- und Sachleistungen, die nicht organisierten Arbeitnehmern vorenthalten bleiben. Über 200 solcher Bonustarifverträge gibt es bereits. Bei einem Bochumer Stahlbetrieb etwa erhielten Gewerkschaftsmitglieder eine Jahressonderzahlung in Höhe eines Monatslohns, bei einem Maschinenbauer in Gummersbach gab es 5000 Euro zum Ausgleich für eine Arbeitszeitverlängerung.

Keine Unternehmerfresser

Sicher: Die Gewerkschaft agierte während der Wirtschaftskrise pragmatisch, akzeptierte eine Nullrunde sowie einen langlaufenden Tarifvertrag. Huber, sein Vize Wetzel und die wichtigsten Bezirksfürsten Oliver Burkhard (NRW), Jörg Hofmann (Baden-Württemberg) und Armin Schild (Hessen) sind alle keine Unternehmerfresser; der Flächentarif wurde zudem in den vergangenen Jahren spürbar flexibilisiert. „Die Macht und der politische Einfluss der IG Metall sind gestiegen. Allerdings geht die Gewerkschaft damit bislang verantwortungsbewusst um“, lobt der Wirtschaftsweise Wolfgang Franz. Die Tarifabschlüsse der vergangenen Jahre seien „alles in allem ökonomisch vertretbar“ gewesen.

Doch wird das so bleiben? Angesichts der fortschreitenden internationalen Vernetzung und Just-in-time-Produktion kann die IG Metall mit geringem Aufwand maximalen wirtschaftlichen Schaden anrichten. „Das Kampfgleichgewicht bei Tarifverhandlungen hat sich zugunsten der Gewerkschaften verschoben. Kaum ein global agierendes Unternehmen kann sich heute noch einen Streik leisten“, sagt Franz.

In der aktuellen Metall-Tarifrunde dürfte bereits – mindestens – eine Vier vor dem Komma stehen, erst recht, nachdem die Kollegen von Verdi im öffentlichen Dienst 6,3 Prozent (auf zwei Jahre) herausgeholt haben. Auch der Lohntrend in den kommenden Jahren zeigt steil nach oben. „Wir erleben derzeit einen fundamentalen Wechsel in der deutschen Lohnpolitik. Die Ära der Zurückhaltung ist definitiv vorbei“, warnt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Die Tarifentgelte in Deutschland dürften nun „über Jahre hinweg stärker steigen als im Durchschnitt der Euro-Zone“.

Vielleicht profitieren davon ja auch irgendwann die Mitarbeiter der IG Metall: Die Lohnzuwächse, die ihnen ihr Vorstand genehmigt, waren zuletzt eher kärglich. Die letzte Erhöhung – 2,0 Prozent – gab es im August 2010.

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