Glückliche Patienten Deutsche Ärzte sind besser als ihr Ruf

Laut sind die Klagen über das deutsche Gesundheitswesen. Dabei sind neun von zehn Patienten mit ihren Ärzten sehr zufrieden. Selbst über lange Wartezeiten klagt nur eine Minderheit. Handlungsbedarf gibt es aber dennoch.

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13 Prozent der Deutschen sind mit der Terminvergabe ihrer Ärzte zufrieden. Quelle: dpa

Berlin Jedes Jahr befragt die Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) die Versicherten. Die diesjährige repräsentative Umfrage ergibt: Deutschlands Ärzte sind besser als ihr Ruf. Neun von zehn Patienten geben an, sie hätten ein gutes oder sehr gutes Vertrauensverhältnis zu ihrem Arzt; gleichzeitig loben sie die Fachkompetenz und Freundlichkeit der Mediziner. Nur einer von zehn Patienten beschwert sich über zu lange Wartezeiten – deren Kritik ist freilich teils sehr scharf.

Die  165.000 niedergelassenen Ärzte spielen im Leben der über 80 Millionen gesetzlich und privat Krankenversicherten offenbar eine weit größere Rolle, als in den öffentlichen Gesundheitsdebatten sichtbar wird. Nur 15 Prozent kamen nach der aktuellen Versichertenbefragung der KBV im Jahr 2015 ohne die Hilfe eines Arztes aus. Jeder zweite  musste sogar drei bis zehn Mal einen Arzt aufsuchen. Fast jeder Fünfte ist mit über 10 Arztkontakten im Jahr sogar so etwas wie ein Dauergast im deutschen Gesundheitssystem.

Die Ergebnisse der Umfrage stimmten den obersten Chef der Kassenärzte Andreas Gassen sehr zufrieden. „Gerne zeichnen Teile der Politik das Bild, dass die ambulante Versorgung im Argen liege und das alles schlecht sei“, erklärte er am Dienstag. „Gegen diesen Populismus setzen wir Fakten. Die repräsentative Umfrage zeigt seit nunmehr zehn Jahren sehr hohe Zufriedenheitswerte.“

Selbst das Warten auf einen Arzttermin stellt für die meisten Versicherte kein großes Problem dar. Dabei hatte die Politik die Mediziner  dazu verdonnert, ein besseres Terminmanagement mit eigens eingerichteten Servicestellen  aufzubauen. Wenn Versicherte binnen vier Wochen keinen  Facharzttermin erhalten, dürfen sie sich seit neuestem im Krankenhaus untersuchen lassen. 

47 Prozent der befragten gesetzlich Versicherten gaben in der Umfrage an, sie hätten auf ihren Arzttermin nicht warten müssen. Sie wurden entweder sofort angenommen (31 Prozent), kamen ohne Voranmeldung (14 Prozent) oder besuchten eine Praxis, die keine Termine vergibt (zwei Prozent).

Privatpatienten sind noch zufriedener beim Thema Wartezeit: Von ihnen erhielten 38 Prozent sofort einen Arzttermin. Während 13 Prozent der gesetzlich Versicherten länger als drei Wochen auf einen Termin warten mussten, waren es bei den Privatpatienten nur sieben Prozent.

Privatversicherte erhielten damit schneller einen Termin als gesetzlich Versicherte – aber der Unterschied ist nicht so eklatant, wie immer behauptet wird. Außerdem fanden 80 Prozent aller Befragten die Wartezeit insgesamt nicht zu lang. KBV-Chef Gassen hält das für ein Ergebnis, das sich im internationalen Vergleich sehen lassen kann.

Die auf Druck der Politik eingerichteten Servicestellen, die die Terminvergabe beschleunigen sollen, schnitten dagegen in der Umfrage mäßig ab. Zwar finden 78 Prozent der Befragten es gut, dass es sie gibt. Doch 55 Prozent meinen, dass die Wartezeiten dadurch nicht deutlich kürzer geworden seien.


Erst zum Hausarzt, dann zum Facharzt

Auch wenn die Ärzte in der KBV-Umfrage insgesamt gut abschneiden, gibt es dennoch Grund zum Handeln. Einer zweiten Studie zufolge ist der Leidensdruck bei einem Teil der Versicherten, die lange auf einen Arzttermin warten, sehr hoch. Eine gezielt ausgewählte Gruppe von 25 Patienten war dafür befragt worden.

Die Befragten berichteten, dass sie trotz permanenter Schmerzen monatelang auf einen Termin beim Orthopäden oder anderen Fachärzten warten mussten. Sie monierten auch den zähen Behandlungsverlauf, wie Sebastian Schmidt-Kaehler von der Patientenprojekte GmbH berichtet. „Man wird von Arzt zu Arzt geschickt und wartet monatelang auf eine Diagnose und während dieser Zeit leidet man“ zitiert er einen Patienten.

Ein anderer Patient berichtete: „Da hat man endlich einen Facharzttermin und dann sagt der, ich soll erstmal zum MRT gehen. Das MRT kriegen Sie dann in drei Monaten, wenn Sie Pech haben. Und dann warten Sie wieder auf einen Termin beim Orthopäden.“

Die Berichte aus der zweiten Studie legen nahe, dass Wartezeiten vor allem dann Probleme bereiten, wenn der Patient eine komplexe Krankheit hat und mehrere Ärzte nacheinander konsultieren muss, um Klarheit zu erhalten.

Hier gebe es wohl Dinge, „die zu verbessern sind“, räumte KBV-Chef Gassen ein. „Die Wartezeiten auf so manche Facharzttermine sind möglicherweise zu kritisieren.“ Doch solle man dabei nicht übersehen, dass das oft auch damit zu tun habe, dass der Patient zu einen ganz bestimmten  Facharzt wolle. Und dass der nicht immer gleich bereit stehen könne, liege doch auf der Hand.

Das habe auch etwas damit zu tun, dass es in vielen Regionen inzwischen zu wenig Ärzte gebe, so Gassen. Hier arbeite die Ärzteschaft derzeit mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss – dem obersten Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten, Psychotherapeuten, Krankenhäusern und Krankenkassen – an einer Weiterentwicklung der Bedarfsplanung. Die beste Bedarfsplanung werde aber  das Problem nicht lösen, dass inzwischen viel Geld nötig sei, um weiter in strukturschwachen Regionen Arztpraxen „vorzuhalten“.

Erst zum Hausarzt, dann zum Facharzt – mit dieser Methode hofft die KBV, die Wartezeiten für Facharzttermine zu verkürzen. Sinnvoll findet diese Idee nur jeder zweite Befragte. Vor allem Patienten mit einem höheren Bildungsabschluss wollen die Wahl haben. Allerdings wären 65 Prozent bereit, immer zuerst zum Hausarzt zu gehen, wenn dafür ihr Krankenkassenbeitrag deutlich gesenkt würde.

Für die stellvertretende KBV-Vorsitzende Regina Feldmann ist das ein klares Indiz dafür, dass die Ärzteschaft mit ihrer Forderung auf dem richtigen Weg sei, einen Vertrauensarzt zum Lotsen für Hilfe suchende Patienten zu machen. In der Regel sollte es der Hausarzt sein.  Die freie Arztwahl, betonte Feldmann, wolle man aber deshalb nicht abschaffen.

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