Merkel rügt Argrarminister Schmidt
Einen Wettbewerb "Deutschlands unbekanntester Minister" hätte Christian Schmidt (CSU) bis vergangenen Sonntag sicher für sich entschieden. Im Berliner Regierungsviertel erkannte kaum jemand den 60-Jährigen auf der Straße, obwohl er seit vier Jahren Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft ist, seit Kurzem auch geschäftsführender Bundesverkehrsminister. Selbst Lebensmittelskandale wie zuletzt den um Fipronil in Eiern taten seiner Unbekanntheit keinen Abbruch.
Was ist Fipronil?
Fipronil kommt als Pflanzenschutzmittel oder in der Veterinärmedizin zum Schutz von Hunden vor Flöhen und Zecken zum Einsatz. Fipronil ist allerdings auch für Honigbienen in hohem Maße giftig.
2013 hat die Europäische Union beschlossen, den Einsatz des Mittels in der Landwirtschaft zu begrenzen. Um Bienenvölker besser zu schützen, darf es zum Beispiel nicht mehr zur Saatgutbehandlung von Mais verwendet werden.
Beim Menschen kann Fipronil Haut und Augen reizen sowie Übelkeit, Erbrechen und Kopfschmerzen verursachen.
Der Wirkstoff wurde in den 1980er Jahren in Frankreich entwickelt.
Doch seit diesem Montag ist Christian S. in aller Munde, steht er auf den Titelseiten der großen Zeitungen und strahlt er vom Fernseher ins Wohnzimmer. Er hatte an diesem Tag seinen Brüsseler Vertreter angewiesen, bei der EU für eine weitere Verwendung von Glyphosat zu stimmen. Dabei handelt es sich um ein Pflanzenschutzmittel – andere sprechen von Pestizid, je nach Sympathie -, dessen Einsatz in der Bevölkerung und vor allem in der Politik umstritten ist.
Die Risikobewertungen von Glyphosat weichen voneinander ab, Landwirte halten das Mittel für unabdingbar, Umweltschützer sehen darin eine große Gefahr.
Schneller schlau: Glyphosat
Glyphosat ist ein sogenanntes Total-Herbizid, es wirkt auf sämtliche grüne Pflanzen und hat damit ein so breites Spektrum wie kaum ein anderer herbizider, also unkrautvernichtender, Wirkstoff. Wo Glyphosat auf Pflanzen gesprüht wird, wächst sprichwörtlich kein Gras mehr – und auch kein Kraut, Strauch oder Moos.
Der wasserlösliche Wirkstoff wird über die Blätter aufgenommen und geht in alle Pflanzenteile, auch die Wurzel – was etwa für die Verwendung an Bahngleisen wichtig ist. Glyphosat blockiert ein Enzym, das Pflanzen zur Herstellung lebenswichtiger Aminosäuren brauchen – das aber auch in Pilzen und Mikroorganismen vorkommt.
Mit der nahezu vollständigen Vernichtung aller Kräuter und Gräser auf dem Acker sinke nicht nur die Zahl der Pflanzen stark, heißt es vom Umweltbundesamt (UBA). Dies entziehe allen an Ackerlebensräume gebundenen Arten wie Insekten und Feldvögeln großflächig die Lebensgrundlage. Ganze Nahrungsnetze könnten zusammenbrechen.
Entscheidend aber ist nun, dass sich der CSU-Landwirtschaftsminister Schmidt über ein Veto seiner Umweltkollegin von der SPD, Barbara Hendricks, hinwegsetzte und in Brüssel für Deutschland mit dem folgenreichen „ja“ stimmen ließ. Seither empört sich die SPD über alle Maßen und spricht von „Vertrauensbruch“ im Vorfeld möglicher Verhandlungen für eine Fortsetzung der Großen Koalition. Das hätte niemand diesem Minister zugetraut, diesem zurückhaltenden Herrn mit dem bescheiden-freundlichen Auftreten.
Gleichwohl darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser mittelfränkische Protestant auch ausgesprochen stur ist. Schmidt fuchst sich in die Akten hinein, die die Beamten für ihn erarbeiten, gern auch Spätabends bei einem EPA, das für Ein-Mann-Paket steht, woran sich all die noch erinnern, die einmal bei der Bundeswehr gedient haben. Schmidt ist zwar auch Ernährungsminister, doch für ihn ist Essen kaum mehr als notwendige Nahrungsaufnahme. Selbst einen alten Kanten Brot wegzuwerfen fällt ihm aus ethischen Gründen schwer, gestand er einmal.
Einfacher haben es die Beamten im Agrarressort deswegen aber nicht mit ihm. Er gilt auch dort als stur und manchmal schroff. Das spricht ebenfalls für die These, dass Schmidt mit seinem Ja für Glyphosat eher seiner inneren Überzeugung als irgendeinem politischen Kalkül gefolgt ist – vielleicht mit der Einschränkung, dass er nach vier Jahren zeigen will, dass er kein ministerielles Phantom ist, sondern tatsächlich existiert.
Und vielleicht möchte er sich so für eine zweite Amtszeit in Berlin bewerben, als Minister, der sich für die Interessen der Bauern einsetzt und dabei keine Rücksicht auf koalitionäre Befindlichkeiten nimmt.