Görlachs Gedanken

Martin Schulz ist kein Barack Obama – und kann doch von ihm lernen

In Umfragen liefern sich Martin Schulz und Angela Merkel bereits ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Und der Merkel-Herausforderer vergleicht sich mit Barack Obama, der als Außenseiter Präsident wurde. Was taugt der Vergleich?

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Der designierte SPD-Kanzlerkandidat und Parteichef Martin Schulz. Quelle: dpa

Martin Schulz ein Barack Obama? Der künftige Vorsitzende und Kanzlerkandidat der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hat sich bei „Anne Will“ mit dem gerade aus dem Amt geschiedenen 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika verglichen. Darauf angesprochen, dass er keine Regierungserfahrung habe, erwiderte er, dass es so auch Barack Obama bei Amtsantritt so ergangen sei.

Ein Lacher des Studiopublikums war Martin Schulz sicher, doch hält der Vergleich stand? Der Doktor des Rechts, Abschluss in Harvard, und der nicht studierte Mann vom Lande? Die Diskussion um Schulz' Bildung, die Frage, ob einer, der kein Studium abgeschlossen hat, Kanzler sein kann, tobte schon, da war noch lange nicht klar, ob Martin Schulz antreten würde. Für den Vergleich zwischen Obama und Schulz sind Aus- und Schulbildung nur in der Weise interessant, als das ehemalige Professoren und Kommilitonen nicht müde werden zu betonen, dass Obama, der als erster Farbiger die Harvard Law Review leitete, seine Art zu argumentieren, aufzutreten und Uneinigkeiten zu schlichten und zu moderieren, im Studium erlernt und erprobt habe.

Eines vorweg: für die Demokratie ist es gut, dass die SPD mit einem Kandidaten aufwarten kann, der nicht acht der vergangenen zwölf Jahre damit verbracht hat, die Regierungsbank mit der Union und Bundeskanzlerin Angela Merkel zu drücken. Es war nicht gut für das Land, dass die beiden Parteien, die eigentlich Antipoden sind, so lange miteinander regiert haben. Im aktuellen Bundestag musste zuerst an den Regularien gearbeitet werden, um der kleinen Opposition überhaupt die Möglichkeit einzuräumen, innerhalb der wohl gefügten Rede-Rituale im Bundestag ausreichend zu Wort zu kommen. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder musste damals daran erinnert werden, dass die Nicht-Regierungsparteien in einer Demokratie eine Rolle spielen sollen und müssen.

Alexander Görlach ist Affiliate der Harvard University. Quelle: Lars Mensel / The European

„Sankt Martin“, wie der Spiegel den neuen Heilsbringer der SPD auf seinem Cover genannt hat, ist also das frische Gesicht, der Kontrast, zum Merkel-Politikstil. Doch die Sozialdemokraten, die während der ersten großen Koalition unter Merkel die Union mit einem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz vor sich hertrieben haben immer noch keine Kandidatin oder einen Kandidaten mit einer Zuwanderungsgeschichte, die der eines Barack Obama ähnlich wäre. Man muss nicht die Argumentation aufgreifen, so genannte „alte, weiße Männer“ für alle Unbilden der Gegenwart verantwortlich zu machen. Politiker wie Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück, Sigmar Gabriel und eben Martin Schulz sind allesamt eigenständige und verdiente Persönlichkeiten – keine Frage, aber:

Keiner der vier hat je einen vergleichbaren Moment in der Partei erzeugt und in der DNA konserviert wie Barack Obama mit seiner ersten großen Rede im Jahr 2004 auf der Democratic National Convention. Damals schon empfahl er sich für Insider als presidential. Herr Steinbrück und Herr Steinmeier haben schon einmal gegen Frau Merkel verloren. Sigmar Gabriel träumt davon in der nächsten GroKo im Auswärtigen Amt zu überwintern, um dann womöglich 2021 Angela Merkel abzulösen.

Martin Schulz hat in seiner Eigenschaft als Präsident des Europäischen Parlament im vergangenen Jahr einen großen und wichtigen Moment gehabt, als er einem rechtsradikalen Redner der griechischen Morgenröte-Partei des Saales verwies. In einem Wahlkampf, in dem sich alle demokratischen Kräfte gegen die rechte, ausländer- und islamfeindlichen Demagogen der AfD stemmen müssen, ist das ein Pfund, mit dem Martin Schulz wuchern kann und muss. Wer auch immer diesen rechten Scharlatanen Stimmen abnimmt, der sei gepriesen.

Martin Schulz ist aber ganz sicher der Kandidat der Parteiführung

Ob das gelingen wird, hier muss man fair sein, ist nicht vorhersehbar. Ein Bericht in der FAZ muss erschrecken. Journalisten des Frankfurter Qualitätsblattes begleiteten im westdeutschen Haßloch den zuständigen SPD- und den CDU-Politiker. der Grund: in dem "deutschen Durchschnittsort" hatten bei der letzten Landtagswahl 18.8 Prozent AfD gewählt. In dem Ort ist die Arbeitslosigkeit niedriger als im Schnitt, ein wohlhabenderer Streifen Erde in Deutschland. Die in dem Artikel befragten Bürgerinnen und Bürger können so recht nicht sagen, was ihnen nicht passt.

Vielleicht ist das genau der Moment, an dem Angela Merkel nicht mehr passt, und ein Gefühlsmensch, wie Martin Schulz gerne über sich spricht, übernehmen wird. Die Kanzlerin, die für ihr Abwägen (wie Obama) bekannt und (genauso wie er, Stichwort Syrienpolitik) dafür kritisiert wird, versteht nicht, was irrationale Wähler antreibt. Vielleicht spricht Martin Schulz etwas in ihnen an, was sie schon lange nicht mehr in der deutschen Politik erlebt haben. Das dürfte auch manche Umfragen erklären, die Schulz und die SPD bereits von Merkel und ihrer Union sehen. Es geht um Projektionen in Martin Schulz, eine Hoffnung, die er noch erfüllen muss.

Obama ist, genauso wie Merkel, nicht der Kandidat des Establishments gewesen. Martin Schulz ist aber ganz sicher der Kandidat der Parteiführung. Die Rochade Schloss Bellevue (Steinmeier), Auswärtiges Amt (Gabriel) ist der Inbegriff des Hinterzimmerausmachens – einer Art Politik zu betreiben, der es überall in der westlichen Welt an den Kragen geht. Hier hat Martin Schulz weniger mit Barack Obama gemein als er denken mag - und auch mit Amtsinhaberin Merkel, die sich gegen die Männerriege der Union durchsetzen musste und muss, und das für eine Rekordzeit aus- und durchgehalten hat.

Die Personalie Schulz zu setzen, tut der SPD in Umfragen gut. Es ist wichtig, dass die Menschen, die im September in Deutschland an die Wahlurne gehen, zwischen zwei Persönlichkeiten wählen können. Bis dahin muss Martin Schulz mehr vorlegen als sich und seinen Namen: was sind die Projekte der SPD unter seiner Kanzlerschaft? Wie wird er sich zu Amerika und gegenüber Russland positionieren? Wie die Europäische Union retten und wie sich gegen Präsident Erdogan wehren.

„Yes, we can“ war Barack Obamas Antwort auf die Frage, ob change, Veränderung, möglich sei. Der kulturelle Unterschied zwischen den USA, die wir kannten, und dem Deutschland der Gegenwart könnte gegensätzlicher nicht sein: die Deutschen suchen keinen Kanzler, der mit ihnen irgendwelche Veränderungen veranstaltet. Das Land ist, wie viele im Westen, die USA inklusive, auf Retro-Kurs. Obama hat die schwerste Wirtschaftskrise seit der großen Depression erfolgreich gemanagt und eine allgemeine Gesundheitsversicherung eingeführt. Wenn aus dem Kandidaten Schulz ein Bundeskanzler Schulz werden sollte, braucht er eine große Agenda – wie einst Barack Obama. Das ist wichtiger als irgendwelche Vergleiche. Schulz muss jetzt inhaltlich ein Gegenangebot zu Angela Merkel liefern.

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