Görlachs Gedanken

Warum Christen für die „Ehe für alle“ kämpfen sollten

Die „Ehe“ ist ein Privileg, das nur Mann und Frau zusteht. Vor allem Christen wollen daran nicht rütteln. Dabei müssten gerade sie – und gerade in einer liberalen Demokratie wie Deutschland.

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Ehe-für-alle? Quelle: dpa

Zu den Pfingsttagen erfragte CDU-Generalsekretär Peter Tauber auf Facebook die Meinung seines Netzwerkes zur „Ehe für alle“. Er wolle sich ein Stimmungsbild machen, von daher würde ihm ein einfaches Ja oder Nein als Antwort auf seine Frage genügen. Das als Umfrage geplante Posting entfachte eine lebhafte Diskussion über das Thema, an dem sich auch prominente Evangelikale und Hardcore-Katholikinnen beteiligten. Sie verweisen allesamt darauf, dass es die „Ehe“ nur für Mann und Frau gäbe. Sie führen die Bibel an und möchten geltend machen, dass das Grundgesetz eben diese biblische Lehre spiegele. Die Diskussion kommt in einer Woche, in der im baden-württembergischen Landtag ein Antrag der SPD-Fraktion zur „Ehe für alle“ unter anderem mit eben diesem religiösen, biblischen Argument abgeschmettert wurde.

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In Stuttgart haben alle Parteien, mit Ausnahme der Sozialdemokraten, gegen die „Ehe für alle“ votiert. Die Debatte war, obschon das Thema eines ist, das auf Bundesebene angesiedelt ist, erhellend. Im Deutschland des Jahres 2017 wird in weltlichen Parlamenten unter Zuhilfenahme Jahrtausendealter religiöser Quellen das soziale Miteinander gestaltet. Das lehrt vor allem, dass die Bundesrepublik, anders als sie es gerne vor sich herträgt, sich nicht unterscheidet von als religiös apostrophierten Nationen wie die Vereinigten Staaten von Amerika oder die Türkische Republik, auf die gerne herabgeschaut wird. Viele evangelikale US-Amerikaner lehnen die Vorstellung einer Entwicklung des Lebens, der Evolution, ab, weil sie im Widerspruch zum Schöpfungsmythos der Bibel stehe. In der Türkei gibt es laut Machthaber Erdogan keine Homosexualität, weil diese unislamisch sei.

In Deutschland praktizieren immer weniger Menschen den christlichen Glauben, gleichzeitig wird unter Verweis auf religiöse Quellen eine Identität gepflegt, die für die Teilnehmer in Peter Taubers Facebook-Diskussion essentiell ist, um sich als sie selber zu fühlen. Heiraten diese Menschen, weil sie ihren Ehepartner lieben oder weil alle Menschen heiraten (sollen)? Ist die eigene Ehe zu einer solchen Hölle geworden, dass man sie nur unter Verweise auf eine imaginierte höhere Macht durchzustehen bereit ist? In der neuen Propagierung des biblischen Leitbilds steckt genauso viel „die gegen uns“ wie es in jedem extremen Diskurs steckt, der nur davon lebt, eine bestimmte Gruppe auszugrenzen und zu dämonisieren. Es ist alles andere als eine Randnotiz, dass es dabei nicht um die Lehre der Heiligen Schrift geht, denn diese wird ja häufig genug ausgeblendet, zum Beispiel, wenn es um die dort geforderte Steinigung als Strafe für Ehebruch geht.

Alexander-Görlach Quelle: David Elmes, Harvard University

Einige argumentieren auf Peter Taubers Facebook-Seite semantisch mit dem Hinweis, dass der Begriff „Ehe“ eben schon besetzt sei für die Verbindung von Mann und Frau. Was als sprachlich zwingend verkauft wird, ist es aber beileibe nicht. Hier wird das Eigene als Privileg betrachtet, das es gegen „die anderen“ zu verteidigen gilt. Dabei sind die Anderen, Homosexuelle in diesem Fall, häufig genug, der Verfolgung, Folter und Ermordung ausgesetzt – ein Blick nach Russland genügt. Es ist Sinn und Auftrag des Grundgesetzes, die gleiche Würde aller Menschen zu schützen und zu verteidigen. Eine liberale Demokratie, in der Minderheiten diskriminiert werden, gibt es nicht. Es gibt immer nur das ganze Paket – Freiheit für alle oder für keinen.

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