Als Außenstehender sieht man Dinge klarer, die den Insassen im Bauch eines Schiffes aus einer Vielzahl von Gründen verborgen bleiben. Das gilt auch für politische Parteien. Im deutschen Parteiensystem ist jede der Traditionsparteien von innen her befangen und gleichzeitig von außen unter enormem Veränderungsdruck. Die FDP war die erste Partei, die den Rauswurf aus dem Deutschen Bundestag zu einer inhaltlichen und personellen Neuauflage nutzen mussten. Weitere Parteien werden auf dem Erneuerungspfad folgen: die Grünen sind dabei, die alte Trittin-Garde, die den ideologischen Ritt aus der Vergangenheit nicht mehr fortführen sollen, sollte die Öko-Partei auf absehbare Zeit eine Chance bekommen, wieder mitzuregieren.
Die CDU wird am Tag nach dem Ende der Ära Merkel in ein tiefes Loch stürzen: wer sind wir, wofür stehen die Konservativen, was ist unsere Vision?
Und die Sozialdemokraten: Auf dem Weg zu einer soliden 18-Prozent-Partei ist sie am Vorabend der Koalitionsverhandlungen in einem Dilemma. Erklärt sie sich nicht bereit, in eine dritte GroKo einzutreten, wird man ihr vorhalten, keine Verantwortung übernehmen zu wollen. Bleibt sie der Aussage ihres Vorsitzenden Martin Schulz vom Wahlabend treu, dann darf sie nicht in die neue Regierung mit Angela Merkel eintreten. Eine dann fällig werdende Neuwahl aber macht den Genossen Angst. Sie würden voraussichtlich noch einmal schlechter abschneiden als bei der Bundestagswahl im September 2017. Wenn es zu einer GroKo kommt, dürfte zudem Schulz, aus purer Glaubwürdigkeit, der neuen Regierung nicht angehören.
Was ist das Problem der Sozialdemokratie? Lassen Sie mich eine Skizze versuchen: Im Jahr 2011 habe ich mit dem SPD-Linken Björn Böhning ein Buch über den digitalen Wandel geschrieben. Ich wollte herausfinden, ob Sozialdemokraten und Konservative (damals war ich noch Mitglied der CDU) das Internet und alle Disruptionen, die damit einhergehen, ähnlich bewerten oder ob alte ideologischen und politische Gräben in neuer Zeit fortbestehen würden.
Das Ergebnis war aufschlussreich. Björn und ich hatten bei allen Themen eine Schnittmenge, außer beim Thema Arbeitsmarkt. Da musste man meinen, wenn man Björns Ausführungen folgte, dass wir in Deutschland noch im 19. Jahrhundert stehen und die Sozialdemokraten die an Hochöfen schuftende Arbeiterschaft vor Ausbeutung schützen müssen. Für mich war mit unserer Arbeit an dem Buch klar, wo das Problem dieser Traditionspartei liegt.
Sie haben ihr Kernthema, ihre Hauptkompetenz nicht in die Gegenwart übersetzt. Was ist faire Arbeit, gerechter Lohn, soziale Gerechtigkeit und die Vision einer neuen (Arbeits-)Welt im digitalen Zeitalter. Lange war das Thema Internet in der Bundestagsfraktion, wie in den anderen Fraktionen auch, eines, das stiefmütterlich behandelt wurde. Die meisten Internet-Politiker der verschiedenen Fraktionen kamen zusammen in dem Wissen, in ihren Fraktionen belächelte Paradiesvögel zu sein. In der Partei der Arbeiterschaft wurde erst jetzt mit Lars Klingbeil einer der Internet-Politiker der ersten Stunde in ein sichtbares Amt gehoben. Der neue Generalsekretär wird hier Akzente zu setzen versuchen. Es wird sich zeigen, ob er hierfür, nunmehr, Unterstützung in seiner Partei bekommt.
Die SPD hat sich in der Großen Koalition verbraucht, sie ist von der Union aufgerieben worden. Nicht (nur), weil Angela Merkel so schwach war, sondern vor allem, weil sie beim Thema Arbeitsmarkt in alten, ganz alten Strukturen und Rezepten denkt. Bei den jungen, aber auch den älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verfangen diese nicht mehr, weil sich die veränderte Arbeitsmarktsituation von heute darin nicht abbildet.