Angela Merkel, schreibt die New York Times in einem Leitartikel, sei nach dem Wahlsieg von Donald Trump die einzig verbliebene Regierungschefin in der freien Welt, die die Werte des Westens retten kann. Daran ist viel Wahres. Aber was sagt dieser Befund über die freie Welt, wenn es in ihr nur noch einen politischen Repräsentanten gibt, der die Werte des Westens hochhält?
Das Projekt des Westens steht auf der Kippe. Es geht um die Errungenschaften des Humanismus und der Aufklärung. Und noch mehr: In Kern geht es um die Weltordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg etabliert wurde. Sie steht zur Disposition. Es geht um das, was im Westen (und darüber hinaus) für Freiheit und Wohlstand gesorgt hat: parlamentarische Demokratie, Säkularismus, freier Handel, Reisefreiheit und Sozialstaatlichkeit. In den 70 Jahren, in denen die westliche Ordnung bestand, waren die politischen und die wirtschaftlichen Versprechungen miteinander verknüpft: weil wir in einer parlamentarischen Demokratie leben, geht es uns wirtschaftlich gut. Dieser Zusammenhang klang lange stimmig, er war hingegen aber nie zwingend.
Mit den Jahrzehnten lebten viele Staaten in der uns bekannten Weltordnung auf Pump. Und die Bevölkerungen taten es ihnen nach, allen voran die der Vereinigten Staaten und des Vereinigten Königreiches. In Westdeutschland hielten sich SPD- und CDU-Kanzler mit einem überbordenden Sozialstaat die Armen und Abgehängten vom Leib. Die viel bejubelte Hartz-IV-Reform traf daher die mittlerweile wiedervereinigte deutsche Bevölkerung mental unvorbereitet.
Verschuldung des Staates und der Haushalte auf der einen Seite, Sozialstaat und sichere Rente auf der anderen: im globalen Westen hatte man den Eindruck, im Paradies zu leben. Vieles davon aber war auf Pump, das haben uns die letzten zwei Jahrzehnte gelehrt. Das Zeitalter der Globalisierung hat offengelegt, dass die wirtschaftliche Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg nicht nachhaltig ins neue Jahrtausend würden führen können.
Mittlerweile ist eine andere Generation herangewachsen, die so genannten Millennials, die sich daran gewöhnen mussten und müssen, dass es ihnen nicht so gehen wird wie ihren Eltern. Viele erleben das als ungerecht. Nicht etwa, weil sie verwöhnt und weich wären, sondern weil ihre Eltern ihnen diese Überzeugung mitgegeben haben. In der wirtschaftlichen Stärke und Prosperität ist die Bestätigung des politischen Systems, in dem wir leben: deshalb wird es euch (noch) bessergehen als uns. Diese Elterngeneration, die sogenannten Baby-Boomer, kommen mit diesem Wandel noch weniger klar, als ihre Sprösslinge, für die vieles von dem hier beschrieben längst als Macht des faktischen ihr Leben bestimmt. Übrigens in Südeuropa, Spanien und Italien, aber auch in Frankreich, in einer viel schmerzlicheren Weise als bei uns in Deutschland.
Trumps wirtschaftspolitische Pläne
Trump will für mehr Wachstum in der US-Wirtschaft sorgen. „Bessere Jobs und höhere Löhne“, lautet eines seiner Kernziele. Der Immobilien-Unternehmer will die Staatsschuldenlast der USA von fast 19 Billionen Dollar abbauen. Er bezeichnet die Schuldenlast als unfair gegenüber der jungen Generation und verspricht: „Wir werden Euch nicht damit alleine lassen“. Defiziten im Staatshaushalt will er ein Ende bereiten.
Trump hat umfangreiche Steuersenkungen sowohl für die Konzerne als auch für Familien und Normalverdiener angekündigt. Er spricht von der größten „Steuer-Revolution“ seit der Reform von Präsident Ronald Reagan in den 1980er Jahren. Wer weniger als 25.000 Dollar im Jahr verdient, soll dank eines Freibetrages künftig gar keine Einkommensteuer mehr zahlen. Den Höchstsatz in der Einkommensteuer will er von momentan 39,6 Prozent auf 33 Prozent kappen. Ursprünglich hatte er eine Absenkung auf 25 Prozent in Aussicht gestellt. Die steuerliche Belastung für Unternehmen will Trump auf 15 Prozent von bislang 35 Prozent vermindern. Das soll US-Firmen im internationalen Wettbewerb stärken. Firmen, die profitable Aktivitäten aus dem Ausland nach Amerika zurückholen, sollen darauf eine Steuerermäßigung erhalten. Die Erbschaftsteuer will der Republikaner ganz abschaffen. Eltern sollen in größerem Umfang Kinderbetreuungs-Ausgaben steuerlich absetzen können.
Trump verspricht, der „größte Job-produzierende Präsident“ der USA zu werden, „den Gott jemals geschaffen hat“. Bereits als Unternehmer habe er Zehntausende neue Stellen geschaffen.
Um amerikanische Arbeitsplätze zu sichern, will Trump die Zölle auf im Ausland hergestellte Produkte anheben und die US-Wirtschaft insgesamt stärker gegen Konkurrenz aus dem Ausland schützen. China, aber auch Mexiko, Japan, Vietnam und Indien wirft Trump beispielsweise vor, die Amerikaner „auszubeuten“, indem sie ihre Währungen zum Schaden von US-Exporten abwerten und manipulieren.
Das angestrebte transatlantische Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU (TTIP) lehnt Trump ab. Für ihn schadet ein freierer Zugang der Europäer zum US-Markt – vor allem zum staatlichen Beschaffungsmarkt – den amerikanischen Firmen. Das geltende Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta will er neu verhandeln, die TPP-Handelsvereinbarung mit asiatischen Staaten aufkündigen. Trump setzt generell anstatt auf multilaterale Handelsabkommen, etwa im Rahmen der Welthandelsorganisation, auf bilaterale Vereinbarungen mit einzelnen Staaten und Wirtschaftsräumen.
Die Handelsbeziehungen zu China, der nach den USA zweitgrößten Wirtschaftsmacht weltweit, will Trump grundlegend überarbeiten. Er wirft der Volksrepublik vor, ihre Währung künstlich zu drücken, um im Handel Vorteile zu erlangen. Er will das Land daher in Verhandlungen zwingen, damit Schluss zu machen. Auch „illegale“ Exportsubventionen soll die Volksrepublik nicht mehr zahlen dürfen. Verstöße gegen internationale Standards in China sollen der Vergangenheit angehören. Mit all diesen Maßnahmen hofft er, Millionen von Arbeitsplätzen in der US-Industrie zurückzugewinnen.
In der Energie- und Klimapolitik hat Trump eine Kehrtwende angekündigt. Er will die USA von den ehrgeizigen Klimaschutzvereinbarungen von Paris abkoppeln, die Umwelt- und Emissionsvorschriften lockern und eine Rückbesinnung auf fossile Energieträger einläuten: „Wir werden die Kohle retten.“ Die umstrittene Fracking-Energiegewinnung sieht Trump positiv.
Trump verspricht der Wirtschaft eine umfassende Vereinfachung bei den staatlichen Vorschriften. Er werde ein Moratorium für jede weitere Regulierung durch die Behörden verhängen, kündigte er an. Trump will Milliarden in die Hand nehmen, um Straßen, Brücken, Flughäfen und Häfen zu bauen und zu modernisieren. Finanzieren will er das unter anderem dadurch, dass die US-Verbündeten einen größeren Teil an den Kosten für Sicherheit und Verteidigung in der Welt übernehmen sollen.
Deswegen rufen viele von diesen Babyboomern heute "Merkel muss weg" oder "Sperrt die Clinton ein". Die Verantwortung für das Auseinanderfallen von politischen und wirtschaftlichen Vorstellungen und Versprechungen der liberalen Demokratie wird von ihnen allein bei der Politik - und deren Vasall, den Medien ("Lügenpresse"), abgeladen. Es wundert mit diesem Befund nicht, dass das Vereinigte Königreich genauso wie die Vereinigten Staaten, in denen Haushaltsverschuldung der Nation und der Privaten so hoch sind, als erste von dieser Welle überrollt werden und zu semi-totalitären Gebilden zu werden drohen.
Sollte Le Pen Erfolg haben, dann Gnade uns Gott
Überrascht sind viele Analysten und Beobachter davon nur deshalb, weil sie die gegenwärtige Krise nicht als Generationenkonflikt begreifen. In Deutschland trägt der Ausbruch dieses Kampfes den Namen Stuttgart21. Damals analysierte die ZEIT sehr scharf, dass die Jungen für den neuen Bahnhof, und die Alten (die ja auch demonstrieren waren) dagegen seien. Der Generationenkonflikt wurde trotzdem nie zu einem Groß-Thema der Politik, nicht in Deutschland, nicht in England und nicht in den USA. Es ist richtig, das Wahlergebnis in den USA mit ungleichen Einkommen oder mit Rassenspannungen zu erklären. Aber diese Analyse ist nicht vollumfänglich. Denn hätten nur die Millennials in den USA oder UK gewählt, gäbe es keinen Brexit und Hillary Clinton wäre nun mit 95 Prozent Präsidentin der Vereinigten Staaten.
Bei allen Verdiensten, rationaler Verständigkeit und Nahbarkeit: das Thema Millennials versus Babyboomer hat Bundeskanzlerin Merkel nicht auf dem Schirm. Sie bildet ja mit etlichen Angehörigen dieser in die Jahre gekommenen Generation seit elf Jahren Regierungen. Das Thema muss aber dringend für den nächsten Bundestagswahlkampf auf die Agenda. Und am besten ruft Angela Merkel gleich die demokratischen Kandidaten in Frankreich an, um mit ihnen diese Erkenntnis zu teilen.
Sollte in unserem Nachbarland Marine Le Pen Regierungschefin werden, dann Gnade uns Gott. Der nächste Bundestagswahlkampf muss sich zentral um die Frage der Generationengerechtigkeit drehen, - vielleicht fangen wir auch klein an mit einer Generationenwahrnehmung. Außerdem müssen wir über die Zukunft des Regierens und Wirtschaftens aus dem Blickwinkel der Millennials sprechen. Nur so können Politisches, Wirtschaftliches und Sozialstaatliches im Rahmen einer liberalen Demokratie wieder zusammenfinden.
Die Beliebtheit von Bernie Sanders im US-Wahlkampf belegt dies und macht Mut: viele Beobachter wunderten sich, wieso dieser komische alte Kauz so beliebt bei den Jungen war. Die Antwort ist klar. Er hat verstanden, so zu denken und zu argumentieren wie sie. Als Angela Merkel dem Blogger LeFloid im Interview gegenübersaß, war das hingegen die Begegnung zweier Welten. Friedlich schon, man hat sich bewundert, vielleicht. Aber ansonsten: desinteressiert.
Angela Merkel ist das letzte Geschütz der liberalen Demokratie im Westen. Deshalb muss sie auch wieder antreten, sonst fliegt hier alles auseinander. Aber ihre Agenda muss anders werden und ihr Personal auch. Sonst übernehmen auch in Deutschland die radikalen Vernichter und Zerstörer.