Griechenland Das "Nein" ist ein Schock für Angela Merkel

Das Nein in Griechenland ist nicht nur ein Schock für die Eurozone, sondern auch für Kanzlerin Angela Merkel. Dass sie nun offen ihre Strategie für Europa erklären muss, kann Alexis Tsipras als Sieg verbuchen – allerdings zu einem immens hohen Preis.

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Angela Merkel Quelle: REUTERS

Man soll sich als Journalist ja bloß nicht zu ernst nehmen, aber wenn zwei Magazine genau den identischen Titel-Gedanken haben, kommt man doch ins Grübeln. Wir bei der WirtschaftsWoche zeigen in unserer aktuellen Ausgabe die Hände der Kanzlerin, wie sie die längst Kult gewordene Merkel-Raute formen, aus der Euro-Stücke kullern. Denn scheitert der Euro, so unsere Schlussfolgerung, droht auch Merkels Kanzlerschaft zu scheitern.

Und einen Tag später zeigte der "Spiegel" Merkel auf seiner Titelseite gar als Trümmerfrau, versehen mit der nun schon bekannten Unterzeile: Scheitert der Euro, scheitert Merkels Kanzlerschaft.

von Gregor Peter Schmitz, Cordula Tutt, Dieter Schnaas, Malte Fischer, Max Haerder, Silke Wettach

Warum könnte ausgerechnet der junge Marxist Alexis Tsipras jener Mann werden, der Dr. Angela Merkel entzaubert? Weil er in seiner Radikalität nicht nur die Brüsseler juristischen Regeln aufgekündigt hat, nach der die Währungsunion mehr schlecht als recht funktioniert. Sondern indem er auch die künftige Euro-Rettungspolitik aus den Berliner und Brüsseler Hinterzimmern in Europas Scheinwerferlicht gerückt hat.

Die Probleme Europas lösen sich nicht in Luft auf

Für Merkel, die diskrete Verhandlungen zu ihrem Markenzeichen erhoben hat, ist das ein Schock. Wer die Kanzlerin in kleineren Runden erlebt, der weiß, wie differenziert sie die Lage in Europa sieht. Dann deutet sie an, dass Griechenland einzigartig sei, ein ganz besonderer Fall von Staatsversagen, nicht vergleichbar mit den Problemen in Spanien, in Portugal, in Irland oder anderen Krisenstaaten.

Und sie lässt auch eine weitere Einsicht erkennen: Die entscheidenden Probleme in Europa lösen sich selbst mit einem möglichen Ende des Griechenland-Dramas nicht in Luft auf. 

Der Öffentlichkeit wollte Merkel solche Gedanken aber bislang kaum zumuten. Dort nennt sie ihre Rettungspolitik alternativlos. Oder verkündet, wie gerade auf dem Sommerfest des Parlamentskreises Mittelstand in Berlin, mit Blick auf die Referendumspläne in Athen und die möglichen Folgen markig: "Dann werden wir über gar nichts neu verhandeln." 

Merkel wird aber nun in den nächsten Tagen natürlich neu verhandeln müssen. Und sie wird auch endlich öffentlich beantworten müssen, wie es nicht nur mit den Griechen, sondern mit dem gesamten Euroraum weitergehen soll. 

Die EU steht nicht nur für Wohlstand

Der Griechen-Showdown hat nämlich schonungslos offengelegt, dass es den Regierungen dort an einer wirtschaftspolitischen Strategie fehlt. Während Länder im Süden Europas in staatlichen Eingriffen und Inflation seit jeher ein probates Mittel zur Lösung wirtschaftlicher Probleme sehen, setzen die Nordländer auf Wettbewerb und Stabilität.

"Die Griechen brauchen jetzt Hilfe"
Sigmar Gabriel Quelle: dpa
Angela MerkelBundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht nach der klaren Absage der Griechen an ein Reform- und Sparprogramm vorerst keine Basis für Verhandlungen über ein neues Rettungspaket für Athen. „Angesichts der gestrigen Entscheidung der griechischen Bürger gibt es zurzeit nicht die Voraussetzungen, um in Verhandlungen über ein neues Hilfsprogramm einzutreten“, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Das Ergebnis der Volksabstimmung sei eine Absage an den Grundsatz für europäische Hilfen, nach der Solidarität und Eigenanstrengungen untrennbar verbunden seien. Die Bundesregierung bekenne sich weiter zu diesem Grundsatz. Man bleibe aber natürlich gesprächsbereit: „Die Tür für Gespräche bleibt immer offen.“ Quelle: REUTERS
Estlands Regierungschef Taavi Rõivas Quelle: dpa
Europäer wollen Steuerschlupflöcher für Unternehmen schließen Quelle: AP
Der Präsident des Ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner SinnHans-Werner Sinn empfiehlt Griechenland zur Rückkehr zu einer eigenen Währung: "Die Drachme sollte sofort als virtuelle Währung eingeführt werden", erklärte er. Euro-Banknoten sollten bis auf Weiteres für Barzahlungen genutzt werden. Sinn erwartet von dieser Maßnahme einen baldigen "kräftigen Wirtschaftsaufschwung" für Griechenland, da die neue Drachme rasch abwerten würde. In der Zwischenzeit sollte Griechenland "großzügige" humanitäre Hilfen erhalten, forderte er am Montag. Zudem solle Athen die Möglichkeit erhalten, nach einer Gesundung gestärkt in den Euro zurückzukehren. Quelle: dpa
Nicolás MaduroVenezuelas Präsident hat das Ergebnis des griechischen Referendums begrüßt. „Das Volk Griechenlands hat gesprochen und die europäischen Behörden müssen das griechische Volk respektieren. Es ist ein großer Sieg über den Finanz-Terrorismus des IWF. Genug der kapitalistischen Ausbeutung.“ Griechenland habe mit dem von Ministerpräsident Alexis Tsipras einberufenen Referendum einen „historischen Schritt gemacht“. Aus Sicht Venezuelas habe sich der Kampf gelohnt, sagte Maduro am Sonntag bei einer Militärparade zum venezolanischen Unabhängigkeitstag. „Glückwünsche an das griechische Volk, das dem IWF und den Blutsaugern der Weltbank „Nein“ gesagt hat.“ Quelle: dpa
Katrin Göring-EckardtGöring-Eckardt will nach dem griechischen Referendum neue Verhandlungen und eine Stabilisierung Griechenlands. Zum Ausgang des Referendums sagte sie am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“: „Es ist nicht als Nein für Europa gemeint und nicht als Nein für den Euro. Das ist ein Auftrag für beide Seiten, jetzt wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren“. Zunächst müsse jetzt der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras einen Vorschlag machen, dann müsse es darum gehen, das Land zu stabilisieren. Sie könne sich beispielsweise eine Umschuldung vorstellen, „damit erst einmal ein paar Jahre Ruhe ist in Griechenland“. Ein Schuldenschnitt sei vonseiten der Gläubiger ohnehin nicht durchzusetzen. Quelle: dpa

Merkel hat gedacht, sie könne sich dagegen rückversichern, etwa indem sie den Internationalen Währungsfonds (IWF) ins (Rettungs-)Boot holte oder Rettungsgelder nur gegen Strafzinsen gewährte. Sie erwog sogar, schwere Verstöße gegen Haushaltsregeln mit Verstößen gegen Menschenrechte zu vergleichen und Sünderländern das Stimmrecht zu entziehen. Und sie strafte die Griechen mit Strenge, als das Ausmaß der griechischen Schummeleien bekannt wurde.

Aber sie hat sich zugleich davor gedrückt, eine Welt zu erklären, in der die Europäische Union plötzlich nicht mehr, wie all die Jahrzehnte zuvor, so gut wie automatisch für "mehr Wohlstand" steht, sondern im Zweifel für mehr Sparen, für Verlust.

Merkel ist lange nicht nach Griechenland gefahren, um dort für ihre Politik zu werben. Sie hat zwar Verständnis für die Nöte der griechischen Bevölkerung geäußert, aber es wirkte stets, als beobachte die gelernte Physikerin eine Versuchsanordnung.

Grexit ist keine Gefahr für Angela Merkel

Merkel, die Vernunfteuropäerin, schleppt Charts mit sich herum, auf denen die Lohnstückkosten aller EU-Mitgliedstaaten vermerkt sind. Sie kann von einem „wettbewerbsfähigen“ Europa schwärmen.

Aber die Griechen haben ihre Charts ebenso wenig beeindruckt wie dieser magische Begriff „Wettbewerbsfähigkeit“. Verabschieden sie sich nun wirklich aus der Währungsunion, ob freiwillig oder im Unfallmodus, wird Merkel den Bundesbürgern erklären müssen, dass sie bis zu 53,3 Milliarden Euro abzuschreiben haben.

Innenpolitisch droht ihr dafür eher weniger Ungemach, schließlich beginnt die Abschreibung erst im Jahr 2020, sie streckt sich bis 2057. Außerdem kann die SPD einen Grexit schwerlich für eine Attacke auf die Kanzlerin nutzen. Ober-Sozialdemokrat Sigmar Gabriel ließ Merkel  Kanzlerin am vergangenen Montag gar in seiner Fraktion ihre Euro-Politik erklären, „als gäbe es plötzlich keine Parteien mehr“, wie die "Bild"-Zeitung ehrfürchtig vermeldete.

Merkel hat Angst um ihr Vermächtnis

Aber Merkel muss eben nicht mehr nur die nächste Wahl fürchten, sondern auch ihr politisches Vermächtnis in Europa und der Welt – ihr droht das Schicksal, als jene Kanzlerin in die Geschichtsbücher einzugehen, unter der Europas Einigungsprojekt zumindest zeitweise zerbrach.

Vorgänger haben Europas Krisen als Geburtshelfer für neue Integrationsschritte genutzt, zur Debatte stehen auch jetzt altbekannte Vorschläge wie ein gemeinsamer Finanzminister in der Eurozone, Insolvenzverfahren für Staaten, auch mehr politische Integration.

Doch wo ist der politische Wille dafür, nach all den Krisengipfeln? Daheim müsste Merkel schon zittern, ein drittes Hilfspaket für Griechenland in ihrer Unionsfraktion genehmigt zu bekommen. Der Rest der EU laboriert an einem politischen Ermüdungsbruch. Und sie selbst ist zu Europas politischer Zukunft immer im vagen geblieben.

Wenn Europa aber nicht weiß, wo es hin will, waren die Krisenjahre nicht nur für Griechenland verschwendet, sondern für den gesamten Kontinent. Dies muss sich dann auch Merkel vorhalten lassen, die selten einen Zweifel daran lässt, dass Visionen für sie höchstens ein Fall für den Arzt sind.

Dass sie nach dem griechischen Nein wohl nicht mehr vage bleiben kann, ist durchaus ein Sieg für die Griechen und Alexis Tsipras - wenn auch ein denkbar teuer erkaufter.

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