Griechenland IWF-Fehler bringen Merkel in die Defensive

Das Eingeständnis des IWF, es habe massive Fehler bei der Griechenland-Rettung gegeben, ist ehrlich und bitter zugleich. In Deutschland formieren sich nun die Kritiker von Merkels Euro-Politik. Und fordern Konsequenzen.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Quelle: dpa

Berlin Die Troika aus EU, EZB und IWF gehört in Griechenland zu den schlimmsten Feindbildern: Deren Spardiktat würge seit Jahren die griechische Wirtschaft ab, lautet die Dauerklage. Jetzt räumt der Internationale Währungsfonds ein, dass tatsächlich Fehler gemacht wurden. Das Eingeständnis lässt sich in dieser ungewöhnlich selbstkritischen Offenheit durchaus als spektakulär bezeichnen, zumal der Währungsfonds damit einen Stein ins Rollen bringt, der eine breite Debatte über eine umfassende Neuausrichtung der Euro-Rettungspolitik anstoßen könnte. Erste Reaktionen in Berlin deuten in diese Richtung.

Für die Opposition im Bundestag sind die vom IWF eingestandenen Versäumnisse bei der Unterstützung Griechenlands ein gefundenes Fressen für den heraufziehenden Bundestagswahlkampf. Auch Euro-Gegnern dürfte das Thema weiteren Auftrieb geben. Auch wenn noch nicht abschließend klar ist, was letztlich aus der IWF-Analyse folgt.

Der Fonds betont zwar, dass das Griechenland-Hilfsprogramm dazu beigetragen habe, ein Ausscheiden Athens aus dem Währungsraum zu verhindern, doch seien auch Fehler begangen worden. Dies betreffe die Einschätzung der Schuldentragfähigkeit und die Prognosen über die wirtschaftliche Entwicklung, so der IWF. Athen habe seinerseits die Reformen nicht schnell genug umgesetzt. Das Dokument, das eine rückblickende Betrachtung des griechischen Hilfsprogramms enthält, wurde am späten Mittwochabend in Washington veröffentlicht.

In der Unions-Bundestagsfraktion reagierte man verschnupft auf das IWF-Eingeständnis und gab sich hinsichtlich möglicher Konsequenzen für die Euro-Rettungspolitik bedeckt. Was das für die vereinbarten Hilfen bedeute, könne man jetzt nicht sagen. „Wir haben, wenn auch möglicherweise aufbauend auf fehlerhaften Annahmen, mit Griechenland Vereinbarungen getroffen“, sagte der Vize-Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Michael Meister (CDU), Handelsblatt Online. „Diese gelten, da der Fehler nicht Griechenland angelastet werden kann.“ Der Rest werde sich in den kommenden Monaten ergeben, wenn verlässlichere Daten vorlägen, nicht zuletzt auch zur aktuellen Entwicklung in Griechenland.

Was Meister deutlich mehr Sorgen macht, ist die Möglichkeit, dass dem IWF auch bei der Bewertung anderer Rettungsaktionen Fehler unterlaufen sein könnten. „Die IWF-Chefin Christine Lagarde sollte ein eigenes großes Interesse daran haben, die Ursachen zügig aufzuklären und sicherstellen, dass künftig bessere Ergebnisse geliefert werden“, lautet denn auch die unmissverständliche Ansage des CDU-Politikers. „Auch muss sie sicherstellen, dass Ähnliches nicht bei anderen Hilfen aus den Rettungsschirmen vorgekommen ist.“

Für SPD und Grüne liegt hingegen schon jetzt auf der Hand, welche Schlüsse aus den neuesten IWF-Analysen zu Griechenland zu ziehen sind: „Eine Gesundung Griechenlands ohne schnelle, umfangreiche und wirksame Wachstumsimpulse steht in den Sternen“, sagte SPD-Fraktionsvize Joachim Poß Handelsblatt Online. „Die Medizin für Griechenland hat immer noch eine Schlagseite in Richtung Austerität.“

Jetzt müsse auch der Währungsfonds die richtigen Konsequenzen ziehen und „Druck ausüben auf die anderen Mitglieder der Troika, dass es endlich zu einer wachstumskompatiblen Politik in und für Griechenland kommt“, fordert Poß.


Grüne stellen Merkels Krisenpolitik infrage

Der Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick verfolgt einen breiteren Ansatz. Er ist der Ansicht, dass sich nun Deutschland und Europa den IWF zum Vorbild nehmen sollten. „Denn auch hier wäre eine solche kritische Aufarbeitung und Analyse begangener Fehler seit Ausbruch der Krise dringend nötig“, sagte Schick Handelsblatt Online. „Vor allem muss jetzt die Krisenpolitik in den anderen Programmländern einer umfassenden Fehleranalyse und ehrlichen Bestandsaufnahme unterworfen werden. Dem dürfen sich die Krisenmanager wie EU-Kommission und Bundesregierung nicht länger verweigern“, betonte der Grünen-Politiker.

Schick wies in diesem Zusammenhang auf die miserablen Konjunkturdaten in den Krisenstaaten hin. „Rekordarbeitslosigkeit und Dauerrezession in den Programmländern zeigen, dass bis heute falsche Analysen und falsche wirtschaftspolitische Strategien angewendet werden, die Europa zu zerreißen drohen“, warnte der Grünen-Politiker. „Die Bundesregierung darf die überfällige Fehleranalyse nicht auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschleppen.“

Mit Blick auf Griechenland hatte der IWF geurteilt, dass wegen der erheblichen Ansteckungsgefahren, die von dem Land auf andere Euroländer ausgegangen seien, die Unterstützung Athens letztlich erforderlich gewesen sei. Auch wenn Zweifel an der Schuldentragfähigkeit bestanden hätten und die Prognosen über die wirtschaftliche Entwicklung zu optimistisch gewesen seien. Die massiven Einsparungen, die Griechenland als Gegenleistung für die Finanzhilfen zu erbringen hatte, seien unvermeidbar gewesen. Ähnlich bewertet der IWF die verlangten Wirtschaftsreformen. Die Möglichkeiten zur Umsetzung seien aber überschätzt worden, hieß es.

Griechenland wird seit dem Frühjahr 2010 durch Finanzhilfen seiner Euro-Partner und des IWF über Wasser gehalten. Die Wirtschaft des Lands ist seither massiv geschrumpft. Derzeit deuten einige Indikatoren auf einen weniger steilen Sinkflug hin. Wann Athen wieder auf eigenen Füßen stehen kann, ist nicht absehbar.

Der Grünen-Experte Schick lobt: „Die Selbstkritik des IWF verdient große Anerkennung und beweist ein hohes Maß an Professionalität.“ Nur so könne so aus den Fehlern für die Zukunft gelernt werden.

In der Union ist man dagegen verärgert. Dass dem IWF gravierende Fehler in seiner Bewertung im Zusammenhang mit den Hilfen für Griechenland unterlaufen sind, sei „sehr enttäuschend“, sagte Fraktionsvize Meister. „So was stärkt nicht unbedingt das Vertrauen in die IWF-Arbeit.“ Es zeigt sich aber, dass es klug gewesen war, darauf zu drängen, dass von Anfang an auch der IWF einen eigenen Anteil an den Garantiezusagen leiste. „Denn er hat dadurch wirksame Anreize, solche Fehler aufzudecken und zu vermeiden.“


Weiterer Schuldenschnitt wird wahrscheinlicher

Trotz allem sieht Meister zur Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), Europäischer Kommission und IWF keine ernsthafte Alternative. „Der IWF ist derjenige weltweit, der die meisten und besten Erfahrungen auf dem Gebiet mit Staaten mit Zahlungsschwierigkeiten hat“, sagte der CDU-Politiker. „Auf ihn zu verzichten, würde der Euro-Stabilisierungspolitik einen Bärendienst erweisen.“

Mit Blick auf Griechenland deutete der IWF in seiner Analyse an, wohin die Reise gehen dürfte. Da die öffentlichen Schulden Griechenlands nach wie vor ein Risiko für die Erholung des Landes darstellten, könnte ein weiterer Schuldenerlass erforderlich werden. Indirekt deutet der Fonds an, dass die Eurostaaten dem Land bis 2022 Schuldenerleichterungen in Höhe von mindestens sieben Prozent der Wirtschaftsleistung gewähren müssten. Nur so könne Griechenland seine Schuldenlast dauerhaft tragen.

Eine Erleichterung von vier Prozent des BIP bis 2020 hatten die Finanzminister der Euro-Staaten im Dezember schon zugesichert. Bis 2022 würden dann weitere Erleichterungen von mindestens drei Prozent des Bruttoinlandproduktes fällig, heißt es in dem Bericht der IWF-Ökonomen. Die Schätzung beruht auf der aktuellen Schuldentragfähigkeitsanalyse des Währungsfonds und kann sich je nach Entwicklung des Anpassungsprogramms noch ändern.

Die Zusage der Eurostaaten, Griechenland notfalls weitere Erleichterungen zu gewähren, war für den IWF im vergangenen Jahr eine notwendige Bedingung dafür, dass er sich an der Neuauflage des Reformprogramms überhaupt noch weiter beteiligte. Erst vergangene Woche hatte IWF-Chefin Lagarde die Europäer an diese Zusage erinnert.

Mit Agenturen

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