Groko-Debatte Groko-Kurs wird zum Bumerang für SPD-Spitze

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„Viel weiße Salbe, viele Versprechungen, viel Flickschusterei“


Für die SPD reklamiert Stegner „eine große Offensive“ bei Bildung und Pflege sowie eine bessere Unterstützung von Familien erreicht zu haben. „Vor allem schaffen wir eine echte Politikwende in der Europapolitik – weg von Austerität, hin zu sinnvollen Investitionen und europäischen Mindestlöhnen“, betonte der SPD-Vize. Gleichwohl räumt Stegner aber auch ein, nicht alles bekommen zu haben, „was wir wollten“. Das letzte Wort ist für ihn daher auch noch nicht gesprochen. „Schmerzlich fehlt die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung und auch die Erhöhung des Spitzensteuersatzes – ich sehe das als Ansporn, in konkreten Verhandlungen noch mehr rauszuholen“, sagte er.

Nichts erreicht haben Schulz & Co. bei dem für die SPD hoch symbolischen Thema der Einführung einer Bürgerversicherung. Für Juso-Chef Kevin Kühnert ein Unding. „Denkt auch daran, was es nicht in das Sondierungspapier geschafft hat: die Bürgerversicherung“, rief der erklärte Gegner einer neuen Großen Koalition am Samstag den Delegierten auf dem SPD-Landesparteitag in Sachsen-Anhalt zu. Die Parität bei den Krankenversicherungsbeiträgen habe nichts damit zu tun. „Auch bei den Spitzensteuersätzen ist nichts passiert“, kritisierte Kühnert. Das Thema sei vielmehr „auf die billigste Art und Weise diskreditiert worden“.

Kritisch sieht Kühnert auch die Ergebnisse zum Asylthema. Im Abschlusspapier stehe, dass das Grundrecht auf Asyl nicht angetastet werde, gleichzeitig werde jedoch eine „Begrenzung“ festgelegt, sagte er. In dem Papier heißt es dazu, dass Zuwanderungszahlen die Spanne von jährlich 180.000 bis 220.000 nicht übersteigen würden. Dessen ungeachtet hat die SPD-Führung ein eigenes Papier verbreitet. Darin reklamiert sie für sich, 60 inhaltliche Punkte, aus einem SPD-Parteitagsbeschluss vom Dezember in den Sondierungen durchgesetzt zu haben.

Die bayerischen Jusos beeindruckt das wenig. Sie zerrissen das Sondierungsergebnis regelrecht und sprachen von einer „Bankrotterklärung“. Alle inhaltlichen Schwerpunkte der SPD habe die Union vom Tisch gefegt. Statt eine sozialdemokratische Handschrift zu tragen zeichne sich das Ergebnis durch rechtspopulistische Forderungen aus, hieß es einer Erklärung der Landesvorsitzenden Stefanie Krammer. Das Team um Martin Schulz hätte gut daran getan, die Gespräche zu verlassen. Das „desaströse Verhandlungsergebnis“ als Erfolg zu verkaufen, stelle einen Selbstbetrug dar.

Ähnlich argumentierte der SPD-Bundestagsabgeordnete Bülow: „Viel weiße Salbe, viele Versprechungen, viel Flickschusterei.“ Die Sondierungsergebnisse seien „kein Aufbruch, nicht mal ein Stillstand“. Die Vergangenheit habe zudem gezeigt, dass die Union die „progressiven Vorhaben“ verhindere. Juso-Chef Kühnert nannte etwa SPD-Forderungen wie das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit, dass nun kommen soll und deshalb von den SPD-Sondierern als Verhandlungserfolg verkauft wird. Das seien aber „Altschulden der Union gegenüber der SPD aus dem letzten Koalitionsvertrag, die immer noch nicht eingelöst wurden“, betonte Kühnert. Und Bülow warnt denn auch vor ähnlichen Unions-Manövern in einer neuen GroKo. „Damit droht die SPD als Juniorpartner weiter unter die Räder zu kommen.“

von Marc Etzold, Max Haerder, Christian Ramthun, Christian Schlesiger, Thomas Schmelzer

Bülow setzt nun darauf, die SPD-Basis den GroKo-Kurs von Schulz & Co. zu mobilisieren. „Eine Koalition mit einer CSU, die sich als Freund des Antidemokraten Orban outet, die versucht, der AfD nachzueifern, kann für eine Sozialdemokratie nicht in Frage kommen“, sagte er. Daher werde er alles dafür tun, diese Koalition noch zu verhindern.

Führende Sozialdemokraten gehen indes davon aus, dass das Sonderungspapier helfen wird, in der eigenen Partei den Widerstand gegen eine neue Große Koalition zu überwinden. „Das ist eine sehr gute Grundlage, um auch Verhandlungen zu einer Koalition zu führen“, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer. „Es ist nach wie vor so, dass die Große Koalition nicht meine Lieblingskonstellation ist, aber ich habe auch schon betont, dass manchmal auch Zweckgemeinschaften ganz gute Arbeit leisten können. Das nehmen wir uns vor, dass wir sehr viel in Koalitionsverhandlungen erreichen können.“

Ihr Amtskollege aus Niedersachsen, Stephan Weil, zeigte sich zuversichtlich, dass der Parteitag für Koalitionsverhandlungen stimmt. „Derzeit haben diejenigen viel Echo, die die Ergebnisse hart kritisieren“, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Aber die Qualität der Vereinbarung erschließt sich, je mehr man sich damit beschäftigt.“ Zugleich sprach er sich dafür aus, das Sondierungsergebnis nachzubessern: „Im Einzelnen gibt es natürlich im Detail noch viel Diskussionsbedarf.“

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