Große Kaliber Jetzt sollen auch Unsportliche zum Bund

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will die Einstellungskriterien für die Truppe herabsetzen. Der Personalmangel macht’s nötig.

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Verteidigungsministerin von der Leyen will Standards für körperliche Fitness bei Bundeswehr lockern. Quelle: dpa

Im ersten Weltkrieg prägte noch die „dicke Berta“ das Ansehen der deutschen Armee. Die Mammut-Geschütze sollten gegnerische Festungsanlagen knacken. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) setzt zwar nicht auf schweres Gerät, aber auf kompakte Bewerber. Auch körperlich größere Kaliber sollen künftig beim Bund Dienst tun können. Auf die „dicke Berta“ folgt der dicke Berthold.
Die Ressortchefin, im Berliner Polit-Jargon gern „Truppen-Ursel“ oder „Kanonen-Uschi“ geheißen, will die Einstiegsvoraussetzungen für den Eintritt in die Bundeswehr herabsetzen. „Es stellt sich die Frage, ob jeder einzelne Soldat und jede einzelne Soldatin, gleich welche Aufgabe sie im Riesenkonzern Bundeswehr ausfüllt, tatsächlich einen langen Marsch mit schwerem Gepäck bewältigen können muss", sagte von der Leyen der "Rheinischen Post". Für den Einstieg in den Kampfpanzer kommen diese Bewerber zwar nicht in Frage, und auch im U-Boot würde es eng. Aber ein Großteil des Dienstes in der Bundeswehr findet im Büro und auf der Stube statt. Und es stimmt natürlich auch, dass nicht jeder Schütze im Laufe seiner Karriere so schlank und drahtig bleibt wie am ersten Tag. Ob sich mit deutschen Generälen ein Krieg gewinnen lässt, wird hoffentlich nie getestet; aber eine Olympiade vermutlich nicht.
Bei der Berliner Polizei kann man die Unterschiede gut beobachten. An den ganz wichtigen Gebäuden wie dem Kanzleramt stehen Wachhabende, denen man ihre Abwehrbereitschaft und -fähigkeit ansieht, während vor weniger exponierten Schutzobjekten bisweilen korpulentere Herrschaften fortgeschrittenen Alters (im Volksmund „Plauzen-Paule“) patrouillieren, die vielleicht der Krankenkasse einen Schrecken einjagen, nicht aber einem Attentäter. Kein Vergleich also zu den Fitness-Kanonen einer EHU, einer Einsatzhundertschaft.
Nun also kommt’s dicke für die Armee. Von der Leyen will den Anspruch auf körperliche Gesundheit so anpassen, wie es für die künftige Beschäftigung ausreicht: "Da müssen wir eher danach gehen, was eigentlich eine moderne, hochtechnisierte Armee braucht." Oder um weiter im Klischee zu bleiben: Wer eine Drohne per Joystick ins Ziel steuert, der kann auch eine Statur wie der Internet-Hallodri Kim Schmitz haben.
Ein Hauch von Volkssturm
Zugegeben: Auch in der Vergangenheit, zu Wehrpflicht-Zeiten, hat die Politik immer mal wieder die Tauglichkeitskriterien geändert, je nachdem, ob das Angebot an Rekruten gerade knapp oder üppig war. Und richtig ist auch: Jeder kennt aus seinem Freundeskreis Fälle, in den top-gesunde junge Leute bis hin zu Leistungssportlern untauglich gemustert wurden, weil sie beispielsweise Plattfüße, nur einen Harnleiter hatten oder keine Milz mehr (obwohl wir alle seit Otto Waalkes Uralt-Sketch wissen, dass es die Milz für eine harte Auseinandersetzung nicht braucht).
Von der Leyen bemäntelt ihre Schwergewichts-Offensive als eine Art Anti-Diskriminierungsprogramm für Übergewichtige. Beim Unternehmen Truppe gehe es auch um soziale Kompetenz und technische Kenntnisse, überhaupt eher um den Innendienst im Büroalltag, der 90 Prozent der Arbeitsplätze besser beschreibe als der Kampfeinsatz in Afghanistan. "Für Menschen, die das bei der Bundeswehr einbringen wollen, dürfen wir nicht unnötige Hürden aufbauen."

Der eigentliche Hintergrund des antielitären Körperkults liegt aber nicht in einer Hilfestellung für zu breit Gekommene, sondern in der Abschaffung der Wehrpflicht. Früher lief zumindest noch für einige Monate eine gewisse Anzahl junger Männer zwangsverpflichtet durch die Kasernen, von denen man den einen oder anderen für die Laufbahn des Zeitsoldaten oder gar als Militär auf Lebenszeit gewinnen konnte. Dieses Nachwuchs-Reservoir hat die Politiker mit ihrem Übergang zur Berufsarmee trocken gelegt. Der Arbeitgeber Bundeswehr konkurriert plötzlich direkt mit Siemens, BMW, dem schwäbischen Mittelständler oder der thüringischen Hightech-Bude. Und da sich nicht genügend sportliche Bewerber beim Bund melden, müssen nun auch Kandidaten eingestellt werden, die früher schon in der Rekruten-Grundausbildung Schwierigkeiten gehabt hätten.

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