Zwei Entscheidungen sollen unter dieser Regierung dazu noch fallen, beide haben es in sich: Wer zahlt fürs Reinemachen am Ende der Atomära, und wo bleibt der strahlende Müll? Beide Kommissionen, die dafür eingesetzt wurden, arbeiten deutlich langsamer als geplant.
In der Atomkommission, die das Finanzielle regeln soll, gibt Exbundesumweltminister Jürgen Trittin den Schrecken der Energiekonzerne. Die 19 Experten hätten Ende Februar bereits Ergebnisse vorlegen sollen. Doch sie verhakelten sich mit den Kernkraftkonzernen, wer wie viel für den Abbruch der Meiler, fürs Zwischenlager und ein Atomgrab zahlen soll. Immerhin geht es um mindestens rund 50 Milliarden Euro, bedrohlich für Erzeuger und potenziell teuer für Steuerzahler. Also droht Trittin nun: „Die schwierigste Situation für die Unternehmen entsteht, wenn es nicht zu einem Entsorgungskonsens kommt.“ Im Klartext: Bleibt unsicher, wie viele Milliarden die großen vier abzwacken müssen, ist kaum ein Investor bereit, den Weg in die neue Energiewelt zu ebnen. Mindestens bis April wird diese Kommission tagen. Die vier Kernkraftbetreiber haben mehr als 38 Milliarden Euro an Rückstellungen gebildet. Ob die ausreichen, ist unsicher. Außerdem ist das Geld gebunden in Kraftwerken und Netzen.
Über ein Endlager soll eine zweite Kommission befinden. Auch sie müht sich um Regeln für die Suche nach einem Standort. Mit Bürgerbeteiligung wird wohl erst um 2050 herum ein unterirdisches Lager bereit sein. Das erhöht die Kosten des Ausstiegs. Trittin glaubt am längeren Hebel zu sitzen: „Eine Einigung um jeden Preis wird es nicht geben.“ Nach bisheriger Lage müssten die Konzerne allein zahlen. Fraglich ist nur, wie lange es sie noch gibt.
Erbschaftsteuer
Für Ralph Brinkhaus war es ein schwerer Schlag. Drei Monate hatte der Finanzexperte der Unionsfraktion im Bundestag mit seinen Kollegen von SPD und CSU zum Reform-Dauerbrenner Erbschaftsteuer verhandelt. Mitte Februar schienen sie endlich einen Kompromiss gefunden zu haben.
Die Atomklagen der Energiekonzerne
E.On, RWE und Vattenfall haben gegen den 2011 beschlossenen beschleunigten Atomausstieg vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt. Das Gericht will noch 2015 entscheiden. Den Konzernen geht es nicht darum, den bis Ende 2022 geplanten Ausstieg rückgängig zu machen. Sie fordern jedoch Schadenersatz, da die Bundesregierung wenige Monate vor der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima die Laufzeiten der Meiler noch verlängert hatte. Sollte das Verfassungsgericht den Unternehmen Recht geben, müssten diese den Schadenersatz in weiteren Verfahren erstreiten. Eon fordert über acht Milliarden Euro. RWE hat keine Zahlen genannt, die Analysten der Deutschen Bank gehen von sechs Milliarden Euro aus. Vattenfall will 4,7 Milliarden Euro und klagt zudem vor einem Schiedsgericht in den USA.
E.On, RWE und EnBW klagen gegen Bund und Länder wegen des nach der Atomkatastrophe von Fukushima verhängten dreimonatigen Betriebsverbots für die sieben ältesten der damals 17 deutschen AKWs plus dem damals geschlossenen AKW Krümmel. Das Moratorium lief von März bis Juni 2011 und mündete schließlich im August im endgültigen Ausstiegsbeschluss. Ursprünglich hatte lediglich RWE geklagt. Nachdem der Energieriese vor Gericht Recht bekam, zogen Eon und EnBW nach. Eon klagt auf Schadenersatz in Höhe von 380 Millionen Euro. RWE fordert 235 Millionen Euro, EnBW einen „niedrigen dreistelligen Millionenbetrag“.
E.On, RWE und EnBW klagen auf eine Befreiung und Rückzahlung der 2011 eingeführten Brennelementesteuer. Diese wird noch bis 2016 erhoben. Eon hat nach eigenen Angaben 2,3 Milliarden Euro an den Bund gezahlt, RWE 1,23 Milliarden Euro und EnBW 1,1 Milliarden Euro. Die Verfahren sind vor dem Bundesverfassungsgericht und der Europäischen Gerichtshof (EuGH) anhängig. Der Generalanwalt des EuGH hält die Steuer jedoch mit europäischem Recht vereinbar. Seine Einschätzung ist für das Gericht aber nicht bindend.
E.On hat im Oktober 2014 wegen der im Atomgesetz vorgesehenen standortnahen Zwischenlagerung wieder aufbereiteter Atomabfälle, die aus dem Ausland zurückgeholt werden, geklagt. Die Klage richtet sich gegen die Länder Niedersachsen und Bayern sowie den Bund. Vattenfall hat im selben Zusammenhang gegen Schleswig-Holstein und den Bund geklagt. Auch RWE hat Klage eingereicht. Es geht um Mehrkosten für die Betreiber, nachdem es keine Transporte dieser Abfälle mehr in das Lager nach Gorleben geben soll. Die Konzerne halten Gorleben jedoch weiter für den richtigen Standort.
Doch Tage später wischte CSU-Parteichef Horst Seehofer die vom Tisch. Einige Unternehmensfamilien würden nicht ausreichend verschont, kritisierte Seehofer und verlangte nach einem Spitzengespräch der drei Parteivorsitzenden. Das Gespräch mag der Bayer zwar bekommen, doch die Chancen auf weiter gehende Zugeständnisse sind gering. „Die SPD wird sich nach den Wahlen am Sonntag keinen Millimeter mehr bewegen“, heißt es in der Unionsfraktion. Damit schwinden die Chancen einer Reform innerhalb der vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Frist bis zum 30. Juni 2016. Dann könnten die von Karlsruhe monierten Verschonungsregeln gänzlich außer Kraft geraten. Für Mittelständler wäre das der größte anzunehmende Unfall.
Jede Menge anzupacken
Vier politische Baustellen, vier Beispiele, dass in Deutschland jede Menge anzupacken ist, ganz gleich, ob sich nach den Landtagswahlen in der Union die Kanzlerinnenfrage stellt, SPD-Chef Gabriel vor dem Rücktritt steht oder die AfD die Parteienlandschaft umgepflügt hat. Sprechen Regierungsmitglieder wie CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn über den Aufstieg der Populisten und die Erosion der Volksparteien, betonen sie, Taten könnten überzeugen, nicht viele Worte. Die große Koalition hat das in der Hand, noch rund 16 Monate lang.