Große Koalition Wer von den Plänen profitiert - und wer verliert

Die Einigung auf die Eckpunkte einer möglichen Großen Koalition stehen fest. Wo kaum zu finanzierende Milliardenlasten drohen, warum die Bürger bei der Steuer verlieren, wie es um Bildung und Digitalisierung steht.

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Union und SPD sind sich einig: Sie wollen es noch einmal versuchen – und in einer nicht mehr ganz so großen Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode regieren. Dazu haben sie auf 28 Seiten die Ergebnisse ihrer Sondierungsgespräche festgehalten.

Ob es tatsächlich zu einer Regierung kommt, ist offen. Kommende Woche muss ein Sonderparteitag der Sozialdemokraten zunächst der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zustimmen. Wenn diese abgeschlossen sind, müssen noch die Mitglieder der Partei ihr Okay geben. Gerade die zweite Hürde könnte zu hoch sein, weil die Union überraschend viele Forderungen durchgesetzt hat.

Aber auf was haben sich Union und SPD überhaupt geeinigt? Was planen sie für die nächsten Jahre? Und was bedeutet es für Unternehmen und Bürger?

Die WiWo-Experten geben eine erste Einschätzung zu den wichtigsten Themen.

Finanzen

Zu den größten Enttäuschungen gehört der Steuerteil im 28-Seiten-Dokument. Von einer deutlichen Steuerentlastung ist keine Rede. Keine Rede ist von einer Abmilderung der kalten Progression, obwohl sowohl Union als auch SPD dies im Wahlkampf unisono forderten. Genauso fehlt eine Anhebung des zu versteuernden Einkommens von gut 53.000 Euro auf 60.000 Euro, ab der der Spitzensteuersatz greifen soll. „Da laufen die Bürger weitere vier Jahre in eine automatische Höherbesteuerung“, kritisiert der Hannoveraner Steuerprofessor Stefan Homburg, „mit der Folge, dass immer mehr auch den Spitzensteuersatz zahlen müssen.“ Zumindest der Bund der Steuerzahler hofft hier, dass sich bei den späteren Koalitionsverhandlungen noch etwas tut. 

Geschmäckle hat für den Steuerzahlerbund auch die halbherzige Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Dieser soll in den kommenden vier Jahren in einem ersten Schritt für 90 Prozent der Betroffenen abgeschafft werden. Wer über der Freigrenze – möglicherweise 60.000 Euro zu versteuerndes Einkommen – liegt, muss weiterhin den Soli voll zahlen, weil es sich um eine Freigrenze und nicht einen Freibetrag handelt. Höherverdiener gucken damit in die Röhre.

Derweil wollen CDU, CSU und SPD ein anderes, umstrittenes Wahlversprechen umsetzen: die Abschaffung der Abgeltungsteuer, allerdings nur für Zinsen und nicht für Dividenden. Statt dessen soll wieder für Zinserträge der individuelle Einkommensteuersatz greifen abzüglich Werbungskosten, was am Ende wieder zu einer Verkomplizierung des Steuerrechts führt.

In der Einigung steckt viel Union, wenig SPD

Rente

Die Passagen zur Rentenpolitik sind ein einziger Triumph für SPD und CSU - leider ein äußerst kostspieliger. Die CSU bekommt eine weitere Aufstockung der Mütterrente, Kostenpunkt: vier Milliarden Euro jährlich. Unsummen, von denen auch ältere Frauen profitieren, denen es bereits gut geht.

Die Sozialdemokraten wiederum bekommen eine Grundrente oberhalb des Hartz-Niveaus für Kleinverdiener, die ihre Lebensleistung honorieren soll. Auch dabei soll die Erziehung von Kindern berücksichtigt werden.

Darüber hinaus wird das Rentenniveau bei 48 Prozent bis 2025 stabilisiert. Das dürfte auf mittlere Sicht - angesichts der älter werdenden Gesellschaft - noch zu kaum finanzierbaren Milliardenlasten führen.

Die große Koalition droht daher, die rentenpolitischen Fehler von 2013 bis 2017 noch einmal zu wiederholen: Sie geht Projekte an, die sündhaft teuer sind, aber keine Probleme lösen.

„Besser als befürchtet ist noch nicht gut genug“
„Wir haben gezeigt, dass Politik Sondierungen kann.“CSU-Chef Horst Seehofer zeigt sich mit den Ergebnissen der Gespräche „hochzufrieden“. Quelle: AP
„Nur wenn es Europa gut geht, wird es auf Dauer auch Deutschland gut gehen.“Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel zur beschlossenen Stärkung Europas. Im Ergebnispapier steht Europa an erster Stelle. Quelle: Reuters
„Wir haben hervorragende Ergebnisse erzielt.“ SPD-Chef Martin Schulz in seinem Statement zum Ende der Sondierungsgespräche. Quelle: dpa
„Große Koalition wird zu Forderungen nach dem Rücktritt von Merkel führen“Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt hat vor einer Neuauflage der GroKo gewarnt. Bringe Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eine solche zustande, „so wird diese der AfD Erfolge bei den kommenden Landtagswahlen bescheren und alsbald zu Forderungen nach dem Rücktritt der Parteivorsitzenden Merkel führen“, sagte Patzelt dem Handelsblatt. Quelle: dpa
„Ein zukunftsorientierter und konstruktiver Text zur Zukunft Europas.“EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker begrüßt das Ergebnis der Sondierungsgespräche. Quelle: AP
Der Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke im Bundestag, Dietmar Bartsch. Quelle: dpa
„Das sind schlechte Nachrichten für die kommenden Generationen.“Konstantin Kuhle, Vorsitzender der Jungen Liberalen (Julis) und Bundestagsabgeordneter der FDP-Fraktion hat CDU/CSU und SPD für ihre Positionen zur Rente und Mütterrente im finalen Sondierungspapier scharf kritisiert. „Das sind schlechte Nachrichten für die kommenden Generationen, dass die Ausgaben für die Rente erhöht werden sollen, ohne dass eine Finanzierung vereinbart wurde“, sagte er dem Handelsblatt. Quelle: dpa Picture-Alliance

Gesundheit und Pflege

Trotz aller Debatten über die Bürgerversicherung fällt dieser Teil sehr knapp aus. Union und SPD haben sich auf die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung geeinigt. Das entlastet die Arbeitnehmer und ist ein Teilerfolg für die SPD. Die von der SPD geforderten Strukturreformen insbesondere für die Privaten Krankenversicherungen tauchen mit keinem Wort mehr in dem Sondierungspapier auf. Konkrete Aussagen zu wichtigen Zukunftsthemen wie elektronischer Gesundheitskarte, Telemedizin oder Ärzteknappheit am Land sucht man vergeblich. In der Pflege wollen SPD und Union für mehr Personal sorgen und legen sich auf 8.000 zusätzliche Fachkraftstellen fest, die mit einem „Sofortprogramm“ geschaffen werden sollen. Prognosen gehen jedoch von bis zu 300.000 fehlenden Pflegekräften bis 2030 aus.

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