Großen Koalition "Eine vertane Chance für Deutschlands Zukunft"

Nach der schwarz-roten Einigung auf den Koalitionsvertrag feiern sich Union und SPD, doch es gibt auch kritische Stimmen. Besonders die Wirtschaft und Ökonomen sind enttäuscht. Die Reaktionen im Überblick.

„Der Koalitionsvertrag ist eine vertane Chance für Deutschlands Zukunft“, sagte BDI-Präsident Ulrich Grillo. Er sprach von einem „Signal für Stillstand statt Aufbruch“. Quelle: dpa
Der Vorsitzende des Sachverständigenrates der Bundesregierung, Christoph Schmidt, hält die schwarz-roten Ausgabenpläne für nicht ausreichend finanziert. „Bis zum Jahr 2017 lassen sich die vorgesehenen Mehrausgaben vielleicht finanzieren, ohne Steuererhöhung und ohne neue Schulden ab dem Jahr 2015, darüber hinaus jedoch nicht“, sagte Schmidt der „Welt“. Die Pläne für eine abschlagsfreie Rente ab 63 Jahren, Mütterrente sowie die solidarische Lebensleistungsrente führten zu dauerhaften Mehrausgaben. „Sie müssen zwangsläufig über höhere Beiträge, zusätzliche Steuer-Zuschüsse oder eine Absenkung des allgemeinen Rentenniveaus finanziert werden. Insofern ist die Demografie-Festigkeit des Rentensystems tatsächlich akut bedroht“, sagte der Chef der sogenannten Wirtschaftsweisen, der das Rheinisch- Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) leitet. Quelle: dpa
Auch der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Clemens Fuest, bemängelte die Pläne von Union und SPD. "Größtes Problem ist die Kombination aus verschärfter Arbeitsmarktregulierung, Senkung des Renteneintrittsalters und Einführung neuer Rentenleistungen. Das treibt die Sozialversicherungsbeiträge in die Höhe und senkt die Beschäftigung, obwohl wir eigentlich mehr Beschäftigung brauchen." Quelle: dpa
Der neue Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer und sein Kollege Eric Schweitzer vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) klagten, der geplante flächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro werde negative Spuren am Arbeitsmarkt hinterlassen. Zudem wurden Befürchtungen laut, es könnte trotz gegenteiliger Bekundungen doch zu Steuererhöhungen kommen. Quelle: dpa
„Ob die große Koalition die nächsten vier Jahre ohne Steuererhöhungen auskommen wird, muss angesichts der geplanten milliardenschweren Mehrausgaben leider mit einem Fragezeichen versehen werden“, sagte der Geschäftsführer des Verbandes der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) Hannes Hesse. Die Maschinenbauer vermissten Impulse für private Investitionen.Foto: VDMA/Tristan Roesler Quelle: dapd
Auch die Familienunternehmer kritisierten die Vereinbarungen. „In der Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik schlägt die große Koalition eine Rolle rückwärts, macht die Reformerfolge der vergangenen Jahre zu großen Teilen wieder zunichte“, erklärte Verbands-Präsident Lutz Goebel . Quelle: dpa
Die etablierten Unternehmen der Internetbranche sind von den Vereinbarungen zwischen SPD und Union nicht begeistert. Der Bundesverband IT-Mittelstand sprach von einer verpassten Chance. „Der Koalitionsvertrag ist für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft nicht der große Wurf“, erklärte auch der Bitkom-Präsident Dieter Kempf. Einige positive Vorschläge hätten es nicht in den Koalitionsvertrag geschafft. Junge Internetunternehmen freuen sich allerdings, dass Gründungen stärker gefördert werden sollen. Quelle: dpa
Brun-Hagen Hennerkes angela merkel Quelle: dpa
Die Transparenz-Organisation abgeordnetenwatch.de sieht die Transparenz-Bemühungen der Großen Koalition insgesamt kritisch, begrüßt aber die Ankündigung von CDU, CSU und SPD, die Strafbarkeit bei Abgeordnetenbestechung gesetzlich zu regeln. "Nach Jahren der Blockade werden die Politiker endlich in eigener Sache aktiv, das war überfällig", so abgeordnetenwatch.de-Geschäftsführer Gregor Hackmack. Auch die Pläne von Union und SPD, eine Karenzzeit für ehemalige Regierungsmitglieder vor einem Wechsel in die Wirtschaft einzuführen, begrüßt Hackmack. "Der skandalöse 'Fall von Klaeden', bei dem ein Staatssekretär von einem Tag auf den anderen zum Cheflobbyisten eines großen Autokonzerns wird, hat den dringenden Handlungsbedarf deutlich gemacht." Insgesamt hält abgeordnetenwatch.de die Transparenz-Anstrengungen von CDU, CSU und SPD aber für nicht zufriedenstellend. "Die wenigen positiven Ansätze können nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Große Koalition in sehr vielen Punkten die Hände in den Schoß legt", kritisiert Hackmack. Quelle: imago / Müller-Stauffenberg
Der zwischen Union und SPD ausgehandelte Koalitionsvertrag lässt die Verteilung der Ministerien und den Zuschnitt der Ressorts offen. Das bestätigte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier am Mittwochmorgen nach Ende der gut 17-stündigen Verhandlungen in Berlin. Die Festlegungen sollten erst nach dem für Mitte Dezember geplanten SPD-Mitgliedervotum erfolgen. In der SPD gibt es Befürchtungen, eine vorzeitige Nominierung könnte bei der Mitgliederbefragung den Eindruck erwecken, es gehe vorrangig um Posten für bestimmte Politiker. Quelle: dpa
SPD-Chef Sigmar Gabriel hat sich sicher gezeigt, dass die SPD-Mitglieder dem Regierungsbündnis zustimmen werden. „Die Mitglieder der SPD werden stolz auf das sein, was wir für die Menschen in Deutschland in diesem Koalitionsvertrag erreicht haben“. Er sprach von einem „Koalitionsvertrag für die "kleinen Leute"“ und einer „Koalition für große Aufgaben“. Zum Verhandlungsablauf sagte er: „Das war 'ne faire Veranstaltung, für die ich mich ausdrücklich bedanken will.“ Quelle: AP
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte über den Verlauf der Koalitionsverhandlungen: "Es ist sehr interessant, wie man einen gleichen Sachverhalt so unterschiedlich betrachten kann. Das ist ja das Spannende am Leben.“ Zum Vertrag selbst sagte sie: „Der Geist dieses Vertrages heißt, dass wir eine große Koalition sind, um auch große Aufgaben für Deutschland zu meistern.“ Im Mittelpunkt stünden solide Finanzen, die Sicherung des Wohlstands und soziale Sicherheit. Die CDU werde zentrale Wahlkampfversprechen umsetzen. Dazu gehöre, dass es keine Steuererhöhungen gebe. Quelle: REUTERS
Michael Grosse-Brömer, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, teilte am frühen Morgen per Kurznachrichtendienst Twitter mit: „Knoten durch! Einigung erreicht.“ Quelle: dpa
CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt sagte, der Koalitionsvertrag „spiegelt das Wahlergebnis wieder“. Man habe hart, aber fair mit den Sozialdemokraten verhandelt. Er selbst gilt als möglicher künftiger Verkehrsminister. Quelle: dpa
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hat sich nach 17-stündigen Schlussverhandlungen über eine große Koalition von Union und Sozialdemokraten zufrieden mit dem Ergebnis gezeigt. Man könne diesen Vertrag den SPD-Mitgliedern zur Abstimmung vorlegen, sagte sie am Mittwochmorgen in Berlin. Zwar hätte sich die SPD mehr Investitionen in die Infrastruktur erhofft, erklärte sie. Dafür sei aber - ohne eine Steuer für Spitzenverdiener - nicht ausreichend Geld vorhanden. „Nun müssen wir das hinkriegen mit den Mitteln, die wir haben. Wir sehen uns aber einem soliden Haushalt verpflichtet.“ Quelle: dpa
Der schleswig-holsteinische Landesvorsitzenden Ralf Stegner (SPD) stimmte ihr zu. Er werde den Mitgliedern seiner Partei ein Ja zum Koalitionsvertrag mit der Union empfehlen. „Ich glaube, wir haben eine ganze Menge erreicht“, sagte er am Mittwochmorgen. Man sei nah an den beim Parteikonvent aufgestellten zehn Kernforderungen gelandet. Quelle: dpa
SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber sagte am frühen Morgen: „Mit dem Gesamtergebnis kann man auf jeden Fall leben.“ Quelle: dpa Picture-Alliance
Johanna Wanka Quelle: AP
Es werde keine Steuererhöhungen geben, sagte die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner am Mittwochmorgen nach der Einigung auf einen Koalitionsvertrag. Quelle: dpa
Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sagte: „Das Gesamtpaket ist so sozialdemokratisch, dass wir unseren Mitgliedern die Zustimmung empfehlen müssen.“ „Das ist ein guter Vertrag. Die sozialdemokratische Handschrift ist überall sichtbar“, ergänzte Lauterbach am Mittwoch im ZDF-„Morgenmagazin“. Er äußerte sich zuversichtlich, dass die SPD-Mitglieder in der geplanten Befragung zustimmen werden. „Das wird ein sehr hartes Stück Arbeit werden. Es gibt viele Vorbehalte, auch zu Recht.“ Der Basis müsse aber klar gemacht werden: „Wenn wir die Punkte nicht mittragen, dann fallen alle diese Verbesserungen weg.“ Quelle: dpa
„Es ist vollbracht“, sagte der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU). Quelle: dpa
Der stellvertretende Linksfraktionschef Dietmar Bartsch hat den Koalitionsvertrag als enttäuschend bezeichnet. „Ich habe gehofft, dass die Große Koalition auch große Probleme angeht, aber das ist eine komplette Fehlanzeige“, sagte er im ZDF-„Morgenmagazin“. Der Vertrag widme sich nicht den zentralen Fragen der Gerechtigkeit in Deutschland. Bartsch kritisierte auch die Einigung auf einen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn, den die Linke seit langem fordert. Die vereinbarten Ausnahmen seien nicht in Ordnung, sagte er. Quelle: ZB
"Wir haben einen guten Koalitionsvertrag", sagte die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD). Quelle: dpa
Der Bundesvorsitzende der Linken, Bernd Riexinger, am Mittwochmorgen im Internet-Kurznachrichtendienst Twitter: „Keine Reichensteuern, 8,50 Euro Mindestlohn ohne Schlupfloch erst 2017 (!). Gerechtigkeitswende geht anders. Sehe Handschrift der SPD nicht.“ Quelle: dpa
Der CDU-Politiker Peter Altmaier sprach von einem "wunderbaren Ergebnis". Quelle: dpa
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte im ZDF-„Morgenmagazin“, manches sei „sicher ganz gut gelungen“. Dazu zählte er den Einstieg in einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, die Frauenquote in den Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen und die Abschaffung der Optionspflicht bei der doppelten Staatsbürgerschaft. Die Vorhaben von Union und SPD bei der Rente kritisierte Hofreiter dagegen scharf: „Da wird letztendlich die Zukunft verfrühstückt.“ Die Grünen hätten das Vertragswerk so „selbstverständlich nicht“ unterschrieben, sagte er. Quelle: dpa
Unionsfraktionsvize Michael Fuchs hat eingeräumt, dass die Zustimmung zu vielen Punkten im Koalitionsvertrag für die CDU schwierig gewesen sei. „Koalitionsverträge sind Kompromisse und sind nicht Wunschkonzerte“, sagte er am Mittwochmorgen im Deutschlandradio. „Die Punkte müssen wir mitmachen, damit wir eine vernünftige, stabile Regierung bilden können.“ Die Vereinbarung zum gesetzlichen Mindestlohn sei „eine schwierige Entscheidung, die uns nicht gefällt“. Positiv sei dagegen, dass keine Mehrbelastungen auf die Bürger zukämen. „Die Steuern werden nicht erhöht und die Sozialversicherungen auch nicht“, sagte Fuchs. Quelle: dapd
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