Im Kampf gegen die starke Luftverschmutzung in Stuttgart gelten von 2018 an Fahrverbote für viele Dieselautos. Fahrzeuge ohne die strengste Abgasnorm Euro 6 dürfen dann bei Feinstaubalarm auf besonders belasteten Straßen nicht mehr fahren. Darauf hat sich die grün-schwarze Landesregierung am Dienstag geeinigt. Der Schritt hat die Diskussion über die Einführung einer blauen Plakette für schadstoffarme Autos neu entfacht.
Das Verbot geht aus einem Maßnahmenkatalog zur Verbesserung der Luftqualität in der Landeshauptstadt hervor, die in einem Talkessel liegt. Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann verteidigte die bisher schärfste Maßnahme gegen den Feinstaub, der die Atemwege angreift. „Hier wird nichts verboten. Hier wird gesteuert und gelenkt“, sagte er.
Demnach soll das Verbot an Tagen angeordnet werden, an dem die Stadt Feinstaubalarm auslöst. Allein in diesem Jahr waren das bisher schon mehr als 30 Tage. Die Behörden in Stuttgart hatten zuletzt mit einer Reihe von freiwilligen Aktionen - wie preisreduzierten Fahrkarten in öffentlichen Verkehrsmitteln - versucht, Fahrer zum Verzicht auf ihr Auto zu bewegen. Allerdings brachten die Maßnahmen nicht den gewünschten Erfolg.
Der EU-Grenzwert liegt bei 50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft. Wird dieser Wert an mehr als 35 Tagen im Jahr überschritten, müssen die Behörden unter Androhung von Strafen durch die EU handeln. Im Gesamtjahr 2016 waren es in Stuttgart 63 Überschreitungstage gewesen. Neben dem Feinstaub ist auch die Belastung durch Stickstoffdioxid (NO2) ein Problem.
Die EU-Kommission richtete deshalb gerade ein letztes Mahnschreiben an Deutschland, weil in insgesamt 28 Regionen - darunter Berlin, München, Hamburg und Köln - Grenzwerte für die Luftverschmutzung durch NO2 wiederholt überschritten wurden. Reagieren Deutschland und vier andere ermahnte EU-Staaten nicht binnen zwei Monaten, kann die Kommission Klage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union erheben.
Welche Schadstoffe im Abgas stecken
Stickoxide (allgemein NOx) gelangen aus Verbrennungsprozessen zunächst meist in Form von Stickstoffmonoxid (NO) in die Atmosphäre. Dort reagieren sie mit dem Luftsauerstoff auch zum giftigeren Stickstoffdioxid (NO2). Die Verbindungen kommen in der Natur selbst nur in Kleinstmengen vor, sie stammen vor allem aus Autos und Kraftwerken. Die Stoffe können Schleimhäute angreifen, zu Atemproblemen oder Augenreizungen führen sowie Herz und Kreislauf beeinträchtigen. Pflanzen werden dreifach geschädigt: NOx sind giftig für Blätter und sie überdüngen und versauern die Böden. Außerdem tragen Stickoxide zur Bildung von Feinstaub und bodennahem Ozon bei.
Kohlendioxid (CO2) ist in nicht zu großen Mengen unschädlich für den Menschen, aber zugleich das bedeutendste Klimagas und zu 76 Prozent für die menschengemachte Erderwärmung verantwortlich. Der Straßenverkehr verursacht laut Umweltbundesamt rund 17 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen in Deutschland – hier spielt CO2 die größte Rolle. Es gibt immer sparsamere Motoren, zugleich aber immer größere Autos und mehr Lkw-Transporte. Außerdem mehren sich Hinweise darauf, dass Autobauer nicht nur bei NOx-, sondern auch bei CO2-Angaben jahrelang getrickst haben könnten.
Bei der Treibstoff-Verbrennung in vielen Schiffsmotoren fällt auch giftiges Schwefeldioxid (SO2) an. In Autos und Lkws entsteht dieser Schadstoff aber nicht, was am Kraftstoff selbst liegt: Schiffsdiesel ist deutlich weniger raffiniert als etwa Pkw-Diesel oder Heizöl und enthält somit noch chemische Verbindungen, die bei der Verbrennung in Schadstoffe umgewandelt werden.
Winzige Feinstaub-Partikel entstehen entweder direkt in Automotoren, Kraftwerken und Industrieanlagen oder indirekt durch Stickoxide und andere Gase. Die Teilchen gelangen in die Lunge und dringen in den Blutkreislauf ein. Sie können Entzündungen der Atemwege hervorrufen, außerdem Thrombosen und Herzstörungen. Der Feinstaub-Ausstoß ist in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre deutlich gesunken. Städte haben Umweltzonen eingerichtet, um ihre Feinstaubwerte zu senken.
Feinstaub entsteht aber nicht nur in den Motoren. Auch der Abrieb von Reifen und Bremsen löst sich in feinsten Partikeln. Genauso entstehen im Schienenverkehr bei jedem Anfahren und Bremsen feiner Metallabrieb an den Schienen. All das landet ebenfalls als Feinstaub in der Luft.
Katalysatoren haben die Aufgabe, gefährliche Gase zu anderen Stoffen abzubauen. In Autos wandelt der Drei-Wege-Kat giftiges Kohlenmonoxid (CO) mit Hilfe von Sauerstoff zu CO2, längere Kohlenwasserstoffe zu CO2 und Wasser sowie NO und CO zu Stickstoff und CO2 um. Der sogenannte Oxidations-Kat bei Dieselwagen ermöglicht jedoch nur die ersten beiden Reaktionen, so dass Dieselabgase noch mehr Stickoxide enthalten als Benzinerabgase. Eingespritzter Harnstoff („AdBlue“) kann das Problem entschärfen: Im Abgasstrom bildet sich so zunächst Ammoniak, der anschließend in Stickstoff und Wasser überführt wird.
Regierungschef Kretschmann erneuerte seine Forderung zur Einführung der blauen Plakette auf Bundesebene als „das wirksamste Instrument der Luftreinhaltung“. Das habe ein Gutachten gezeigt. Auch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sprach sich für eine solche Plakette zur Kennzeichnung schadstoffarmer Dieselfahrzeuge aus. „Das für Stuttgart gewählte Instrument ist im Vollzug vergleichsweise aufwendig, daher wären auch uns andere Lösungen lieber“, sagte der Sprecher.
Für die blaue Plakette gibt es allerdings bislang keine Mehrheit im Bundesrat. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) lehnt es ab, mit einer neuen Plakette Dieselfahrzeuge aus den mit Stickoxiden und Feinstaub belasteten Innenstädten auszusperren. Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität sollten „nicht die Mobilität einschränken oder die Bürger und die innerstädtische Wirtschaft belasten“, teilte sein Ministerium mit.
Greenpeace-Verkehrsexperte Tobias Austrup kritisierte: „Dobrindt blockiert eine saubere Lösung der Luftprobleme vieler Städte und zwingt sie so zu unpraktischen und juristisch wackeligen Notmaßnahmen.“ Der Stuttgarter Beschluss werde sich nur schwer umsetzen lassen. „Dobrindt darf der blauen Plakette nicht länger Steine in den Weg legen“, forderte Austrup. Auch der Deutsche Städtetag machte sich für die Plakette stark.
Berlin und Nordrhein-Westfalen schließen Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge nicht aus. Längerfristig führe kein Weg daran vorbei, besonders dreckige Dieselfahrzeuge aus der Innenstadt herauszuhalten, sagte Berlins Umwelt- und Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos). „Die blaue Plakette ist dafür der beste und unkomplizierteste Weg.“
NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) erklärte, es müsse geprüft werden, wie Stickoxid-Werte dauerhaft gesenkt werden können. Nach Möglichkeit würde er lieber auf Fahrverbote verzichten, um Autofahrer nicht „für die illegalen Machenschaften der Automobilhersteller“ bezahlen zu lassen, sagte er in Anspielung auf manipulierte Abgaswerte.