Grüne Der Mann, der die Grünen führen will

Robert Habeck will die Grünen als Spitzenkandidat führen. Er verspricht Politik im Nahkampf – und brutalstmöglichen Pragmatismus. Beim Wähler kommt das bisher an, in der Berliner Führungsriege der Partei eher nicht.

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Der schleswig-holsteinische Umwelt- und Landwirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis90/Die Grünen). Quelle: dpa

Robert Habeck will es reißen. Er kennt die Turnhalle in Harrislee an der dänischen Grenze, auf dem grünen Linoleum haben seine Söhne Handball gespielt. Die Habecks wohnen nebenan in Flensburg. Heute Abend aber ist das sein Spiel, und er wird es nicht gewinnen. Im grauen Hemd und in Jeans, mit Dreitagebart und beigefarbenen Boots steht er vor 400 Bürgern; ein Landesumweltminister in der Pose eines Cowboys. Der bald 47-jährige Grüne und Vizeministerpräsident von Schleswig-Holstein will erklären, warum auf der nahen Deponie Beton und Stahl von ausrangierten Kernkraftwerken landen könnten. Und dass der Schutt nicht stärker strahlt als normaler Müll.

"Das ist nicht mehr rational"

Hier steht ein Atomgegner, der tatsächlich fordert, die Anwohner sollten ihren Widerstand aufgeben gegen eine Technik, die die Deutschen mit religiösem Eifer unterstützt oder bekämpft haben. Habeck versucht es mit Vernunft. Der Frau, die mit geweiteten Augen von ihrer Angst vor Krebs spricht, entgegnet er: „Das ist nicht mehr rational. Ich wohne auch in der Nähe.“ Manche hier sind aufgebracht, doch sie rechnen ihm an, dass er vor ihnen steht. Nach drei Stunden dankt er den Leuten, dass sie friedlich blieben. Immerhin.

Habeck will beweisen, dass seine Idee von Politik als Nahkampf funktioniert: Turnhalle statt Talkshow. Ob bei Windrädern und Energietrassen, gegenüber Bauern oder Investoren wie Schlachthofbaron Clemens Tönnies – Habeck versucht mit persönlichem Einsatz, unversöhnliche Positionen aufzuweichen. Das führt nicht immer zu „grünen“ Ergebnissen, immerhin aber zu pragmatischen Lösungen. Die ficht er dann durch. Das hat ihm bei Freund und Feind den Ruf beschert, verlässlich zu sein. Ein Pragmatiker, kein Bürgerschreck. So lässt er unpopuläre Strommasten bauen, bremst aber beim Bau von Windmühlen, wenn der Knatsch mit Anwohnern überhand nimmt.

Das alles wäre nicht weiter bemerkenswert, wenn dieser Minister aus dem bedingt bedeutenden Schleswig-Holstein nicht ein, zumindest für ihn, höheres Ziel anstreben würde: Habeck will nicht nur bei Bürgern, sondern zugleich in seiner Partei punkten. Er möchte zur Bundestagswahl 2017 Spitzenkandidat der Sonnenblumenpartei werden. Bundesparteichef Cem Özdemir, ein Realo, und Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter, ein Linker, wollen das ebenso. Neben der wohl gesetzten Co-Kandidatin Katrin Göring-Eckardt sollen die Grünen per Urwahl einen Mann bestimmen. So ist ein Wettkampf entbrannt, in dem es nicht nur um den Machtanspruch dreier Männer, sondern um die Ausrichtung der Grünen geht: als ideologisch saubere Ökopartei oder pragmatische Regierungstruppe.

Mit Erfahrung und Pragmatismus

Habeck stürmt in diesen Kampf, wie das so seine Art ist, mit einem ordentlichen Päckchen Selbstbewusstsein. „Ich habe Erfahrungen in der Regierung gesammelt – ganz gute“, kehrt der promovierte Philosoph heraus. Und lässt mitschwingen: Özdemir und Hofreiter haben das nicht. Potenzielle Koalitionspartner bei CDU und SPD in Berlin loben, er sei verbindlicher als Özdemir und lösungsorientierter als Hofreiter. Beide gelten als schwach.

Wirtschaftsleute und Politiker, die Habeck kennen, sagen, er sei nie als Ordoliberaler aufgefallen, als einer, der Staat und Wirtschaft strikt trennt. Eher sei er ein Öko-Keynesianer, der auch die Nachfrage ankurbeln wolle. Am Ende fällt allen aber „pragmatisch“ als Eigenschaft ein. Im endlosen Steuerstreit der Grünen winkt er bei der Vermögensteuer ab. Die vertreibe Unternehmer eher und sei nicht durchzukriegen. Mehr Chancen sieht er für eine höhere Erbschaftsteuer und dafür, von höchsten Einkommen mehr abzuzwacken.

Er will auch mal bei Aldi einkaufen und Verbrauchern überlassen, ob sie deutsches Antibiotikahuhn oder amerikanisches Chlorhähnchen brauchen. Er schätzt, dass er als Minister immer den Dienstwagen mit Fahrer parat hat, doch ab und an fährt er Bahn. Ein Bundesminister urteilt: „Unter den drei Bewerbern bei den Grünen ist Habeck sicher der, der den besten Draht zur Wirtschaft bekommen könnte.“

Ohne Bürgerbeteiligung ist kein Staat zu machen

Als Außenseiter im Grünen-Wettstreit hat der Flensburger nur mit hohem Einsatz Chancen. In Harrislee zeigt sich der Spieler Habeck auf zweifache Weise: Der Mann, der erst mit Mitte 30 eher zufällig in der Politik landete und dann zügig zum Fraktionschef in Kiel aufstieg, zeigt sich unerschütterlich. Die Turnhalle ist seine Bühne. Da steht er mit der Hand in der Hüfte: „Ich dränge mich hier rein wegen meiner Leidenschaft für Rauferei.“ Dabei versucht er auch einen spielerischen Ansatz von Politik. Den besten Weg erkenne man oft erst, wenn man was probiere und frage. Wer Ideen zur Abwicklung der Atomära habe, solle sie vorbringen. Beim Kraftwerksschutt sei aber klar: „Irgendwann wird er auf einer Deponie landen.“

Ohne Bürgerbeteiligung ist kein Staat mehr zu machen, das hat er als Grüner verinnerlicht. Angst will er nehmen, doch bei manchen sät er an dem Abend erst Misstrauen. Warum steht er hier, wenn alles harmlos ist? In den Orten mit Deponie haben sich sofort Bürgerinitiativen gegründet. Nüchtern fasst er am Ende zusammen: „Uns holt jetzt ein, dass wir Grünen immer gesagt haben: Misstraut dem Staat!“

Patriotismus heißt, Deutschland noch besser zu machen

Seit vier Jahren ist er selbst der Staat, ist Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume. Das Regieren gefällt ihm ausnehmend gut, passend dazu schrieb er ein Buch über Patriotismus. Das Wort, das eher Konservative im Munde führen, übersetzt er so: Deutschland ist lebenswert, also helft alle mit, dass es noch etwas besser wird.

Der Bundesregierung wirft er im nächsten Atemzug vor, sie sei nicht „patriotisch“ genug. Um große Worte ist er nicht verlegen, auch nicht in der Industriepolitik – darum geht’s für ihn bei Windkraft und Stromtrassen. „Gabriel, Merkel und Seehofer hätten für die Energiewende in die Turnhalle gehen sollen“, meint er. „Nur wenn man sich der Kritik stellt, kann man die Dinge drehen.“

Der Mann von der Förde regiert in einer rot-grünen Koalition, in Kiel ist noch die dänische Minderheit beteiligt. Weil im Bund Schwarz-Grün wahrscheinlicher wäre, hält er alles offen, er nennt es „grüne Eigenständigkeit“. „Sonst können wir einpacken.“ Die CDU Angela Merkels sei kein Problem, die CSU Horst Seehofers schon. Bayrische Hürden wirken für ihn aber überwindbarer als Blockaden der Linkspartei. Die wolle keine Kompromisse, sei im Bund nicht regierungsfähig, ist er sicher. Hofreiter ist Fan von Rot-Rot-Grün, Özdemir eher von Schwarz-Grün.

Der einzige aussichtsreiche Ökolistenplatz im Norden

Mit hohem Einsatz spielt Habeck nun um die Macht 2017. Er möchte nicht in die Landespolitik zurück, falls es mit dem Spitzenplatz nichts wird. Er will dann Neues wagen, hat er ja mehrmals getan. Etwa als er 2001 mit seiner Frau Andrea Paluch ins Dorf Großenwiehe bei Flensburg zog, beide waren frisch promoviert und schlugen sich als Schriftsteller durch. Vier Söhne zogen sie groß.

Ein Bundespolitiker, der ihn länger kennt, staunt: „Er hat beschaulich, ja bürgerlich gelebt, sich um seine Kinder gekümmert und die Familie ernährt. Er hat literarisch gut geschrieben, aber weder nobelpreisträchtig noch in der Bestsellerliga.“ Dann habe er die Politik entdeckt – „und dass er ein Charisma hat, das viele in seinen Bann zieht“, sagt der CDUler etwas neidisch.

Wird Habeck Spitzenkandidat, besetzt er den einzig aussichtsreichen Ökolistenplatz für Männer im Norden. Da startet bisher Konstantin von Notz, Anwalt und anerkannter Innenpolitiker. Mit Habeck hat er den desolaten Landesverband erneuert, sie feiern Silvester, telefonieren oft. Jetzt hat die Freundschaft und vielleicht auch Notz’ Karriere einen Knacks.

Habeck hat mehr Ideen als er umsetzen kann

Habecks Härte fällt nicht sofort auf, weil er Menschen zunächst mit Ideen einnimmt. Von denen hat er mehr, als sich umsetzen lassen. Die Windmühlen produzieren bei rauem Wetter zu viel Strom? Warum nicht den Überschuss an innovative Unternehmen verschenken? Die könnten ausprobieren, was damit anzufangen ist. Wenn Habeck so was – immer in freier Rede – vorträgt, klingt es zunächst naiv. Doch bei einem Energiekongress in Berlin liefert er sofort Zahlen, warum es funktionieren könnte. „Vieles müsste man einfach mal ausprobieren“, wirbt er. „Politiker behaupten immer, sie wissen, wie es geht, dabei merken die Leute sehr gut, wenn wir uns verschanzen.“

Doch immer wieder zieht er sein Ding durch. Den Bau dreier großer Stromleitungen hat er durchgefochten. Jürgen Trittin, linker Übergrüner und nicht Habecks engster Freund: „Er hat mehr Stromtrassen in Schleswig-Holstein genehmigt, als Horst Seehofer in Bayern verhindert hat.“ Trittin meint: „Das ist eine große Leistung, wenn man sich in harten Konflikten nicht wegduckt, sondern dafür sorgt, dass etwas zustande kommt.“ Ursula Heinen-Esser, Chefin der Bund-Länder-Kommission zur Suche eines Atomendlagers, lobt Mitglied Habeck: „Er geht nicht mit dem Kopf durch die Wand, wenn nebenan eine Tür ist. Er hat Brücken gebaut und war zäh, damit wir überhaupt ein Ergebnis erreichen.“

Auf Konfrontationskurs mit Landwirten

Die Früchte und Fehler seiner Arbeit kann Habeck auch jeden Morgen auf der Fahrt von Flensburg nach Kiel beschauen. Entlang der A 7 reihen sich die Strommasten. Nahe Schleswig steht ein Kühlhaus, dessen Betreiber über die Energiekosten klagt. Habeck meint, der Mann müsse zunehmend nach Börsenpreis einkaufen: Wenn Strom billig sei, müssten die Schweinehälften eben drei Stunden lang auf –70 Grad kühlen, damit sie die nächsten Stunden noch bei unter –50 Grad hingen. „Das ist ganz marktwirtschaftlich“, findet er.

Auf dem Weg ins Ministerium begegnet Habeck auch handfestem Widerstand. Gegen die Landwirte setzte er ein Naturschutzgesetz durch. Sie werfen ihm vor, er benachteilige kleine Tiermäster mit immer neuen Auflagen. Vor einiger Zeit grüßten ihn riesige Transparente auf Heuballen an der A 7: „Guten Morgen, Robert!“ oder „Robert vernichtet Höfe!“. Damals ging Habeck auf Bauerntage und pampte vom Podium zurück, wenn das Publikum ihm Unkenntnis vorhielt.

Landesbauern-Chef Werner Schwarz urteilt: „Er ist ein harter Hund. Einige meiner Kollegen sagen, dass er gefährlich für uns ist.“ Oberbauer Schwarz hat sich arrangiert. „Der Minister kann sich in Rage reden, aber er hat immer Argumente.“ Er beherrsche klare Ansagen. „Damit können wir Bauern umgehen.“

Massenschlachtung schmerzloser machen

Besonders heikel ist seine Beziehung zu Clemens Tönnies. Der Minister holte Deutschlands größten Schlachthofbetreiber ins Land, Tönnies übernahm zwei Betriebe und will ausbauen. Der Grüne lobt, das Vieh müsse nicht mehr stundenlang im Transporter leiden. Für 1,5 Millionen Schweine gebe es sonst nicht genug Schlachtplätze. Im Umfeld Tönnies’ heißt es: „So ein Großbetrieb ist ja das Feindbild eines jeden Grünen, aber hier hat das Amt über den Grünen bestimmt.“ Habeck sagt: „Massenschlachtung ist schwer zu ertragen, aber alles, was sie schmerzloser und hygienischer macht, ist gut.“ Bei Tönnies sagen sie, Habeck wisse, dass er Verbündete brauche. Tönnies selbst ließ den Grünen danach von seiner Stiftung einladen, eine Rede über Tierwohl zu halten.

Habeck sucht seine Auftritte großzügig aus, er will ja bekannter werden. Im September erscheint sein Buch „Wer wagt, beginnt“ – eine politische Autobiografie. Durch wohldosiert Privates erhofft er sich Medienrummel für den heißen Grünen-Wettstreit ab Herbst.

Unvergessen ist bei Begleitern ein Termin, als er mit dem damaligen Bundesumweltminister Peter Altmaier einmal eine Seehundstation in Friedrichskoog besuchte. Habeck strahlte jeden Seehund an und fütterte die Tiere mit Fisch. Bis die Kameras aus waren.

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