Grünen-Bundesparteitag Auf der Suche nach dem Steuer-Frieden

Mehr Steuern für Superreiche - bei diesem Aspekt herrscht bei den Grünen Konsens. Aber wie genau? Den Dauerstreit über die Vermögensteuer würde die Partei gerne auf ihrem Bundesparteitag in Münster begraben. Die Chancen stehen eher mäßig.

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Die Bundesvorsitzenden der Partei Bündnis 90/Die Grünen, Simone Peter und Cem Özdemir. Quelle: dpa

Wenn die Grünen sich aussuchen dürften, was über sie geschrieben und gesagt wird, dann wäre es ungefähr dies: Sie sind die einzige Partei, die konsequent für eine offene und gerechte Gesellschaft eintritt, auch in der Flüchtlingskrise. Sie werden von Union und SPD als Koalitionspartner und Präsidenten-Mitbestimmer umworben, bleiben dabei aber völlig selbstständig. Sie haben mit dem Konzept der „ökologischen Modernisierung“ als einzige erkannt, wie Deutschland das Klima und die Wirtschaft gleichzeitig retten kann.

Aber so läuft es nicht. Und so sind grüne Themen derzeit vor allem das Gezänk um die Vermögensteuer, die Aufregung über Interviews des Realo-Schwaben und Merkel-Fans Winfried Kretschmann und die Frage, ob sie lieber mit der Union regieren würden oder mit SPD und Linken.

Das erste dieser drei Probleme würden viele in der Partei gern auf dem Bundesparteitag abräumen, zu dem vom Freitag bis Sonntag rund 850 Delegierte in Münster zusammen kommen. Groß ist die Sorge, dass sich die Steuerdebatte bis zum eigentlichen Wahlkampf-Parteitag im nächsten Juni hinzieht und die Wähler im Herbst 2017 immer noch vor allem an Steuern denken, wenn sie das Sonnenblumen-Logo der Partei sehen. Die sogenannte Gerechtigkeitsdebatte am Samstag, in der es um Vermögensteuer, Erbschaftsteuer und Ehegattensplitting geht, ist deshalb wohl die wichtigste in diesen drei Tagen.

Die berühmten Flügel der Grünen, Linke und Realos, mögen in manchen Fragen an Bedeutung verlieren - wenn es um die Besteuerung der Großverdiener geht, sind die Gräben tief. Zwei Jahre lang hat eine gemischt besetzte Arbeitsgruppe versucht, den Steuerstreit zu klären. Am Ende stand der Parteivorstand aber ohne Kompromiss da: Der Leitantrag enthält zwei Varianten, nämlich die Wiedereinführung der Vermögensteuer und die Reform der Erbschaftsteuer.

Dazu trudelten in den vergangenen Wochen in rascher Folge Änderungsanträge ein. Etwa ein Kompromiss der Fraktionsspitzen, der die Vermögensteuer einschließt. Man werde ohne das V-Wort nicht auskommen, seufzen inzwischen Realos an der Parteispitze. Als strategisch nicht gerade weise schätzt man in der Partei ein, dass die Vorsitzende Simone Peter sich den Fraktionskompromiss umgehend und wortreich zu eigen machte. Das dürfte es Realos erschweren, gesichtswahrend zuzustimmen. Allen voran Co-Parteichef Cem Özdemir.

Einige haben das aber sowieso nicht vor. Etwa Baden-Württembergs Finanzministerin Edith Sitzmann, die zu den besonders strikten Vermögensteuer-Gegnern um Ministerpräsident Kretschmann gehört. „Wir Grüne sind uns bei sehr vielen Themen einig, aber bei der Vermögensteuer ist ein Kompromiss schwer vorstellbar“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur - und genau so sehen es viele im anderen Lager auch. Der Verdacht liegt nahe, dass beide Lager unabhängig von der Parteitagsentscheidung bei ihrer Position bleiben.

Worum geht es noch? Um Religion und den Umgang mit Islamverbänden. Um sauberen Verkehr, Klimaschutz und Kohleausstieg. Um den noch ganz frischen Trump-Schock, die Türkei und Europa. Die Grünen wollen sich per Leitantrag als die echte Pro-Europa-Partei in Deutschland aufstellen, ein Herzensprojekt Özdemirs.

Der wird am Samstagabend gemeinsam mit den Fraktionschefs Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt sowie Landesminister Robert Habeck aus Schleswig-Holstein das wohl wichtigste Schaulaufen der „Spitzenkandidaten-Kandidaten“ absolvieren - denn ihre Frontleute für die Bundestagswahl bestimmen die Grünen erneut per Mitgliederentscheid. Von den vier Anwärtern stehen nur die drei Männer in Konkurrenz zueinander. Sie touren schon seit drei Wochen durch die Republik, um sich der Basis vorzustellen, und geben sich dabei mal mehr, mal weniger streitbar.

Diese Urwahl erspart den Grünen nicht nur Streitereien um Spitzenkandidaten à la SPD, sie lockt auch Mitglieder an. „Wir haben die 60.000 weit gerissen“, sagt der Politische Bundesgeschäftsführer Michael Kellner. „Das zeigt, dass die Urwahl nach innen und außen mobilisiert.“

Und dann ist da noch ein sehr bekannter und sehr umstrittener Gastredner. Daimler-Chef Dieter Zetsche steht in der Messehalle am Sonntag auf der Bühne. Jedenfalls, wenn die Delegierten ihm nicht gleich am Freitag das Rederecht absprechen, denn es gibt zwei Anträge mit diesem Ziel.

Özdemir verteidigt die Einladung des Konzernchefs, der für viele Grüne das genaue Gegenteil ihrer Werte verkörpert: Es sei doch toll, wenn die Autoindustrie ausgerechnet zur Ökopartei komme, um über die Zukunft zu reden. Nach seiner Rede diskutiert Zetsche aber nicht mit der Basis, sondern mit der Europaabgeordneten Barbara Lochbihler und WWF-Expertin Regine Günther. Sicher ist sicher.

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