Grünen-Chef Cem Özdemir "Geldverdienen ist nix Schlimmes"

Der Parteichef der Grünen, Cem Özdemir, will seine Partei wirtschaftsfreundlicher aufstellen. Im Interview spricht Özdemir über große Konzerne wie BMW als Ökovorbilder und die Freiheit zu kiffen.

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Cem Özdemir Die Grünen Bündnis 90 Quelle: dpa

WirtschaftsWoche: Herr Özdemir, auf Twitter zeigen Sie einen aktuellen WiWo-Titel, der Ludwig Erhard mit Joint abbildet und zur Freigabe von Cannabis aufruft. Ist das die Freiheit, wie Grüne sie meinen?

Özdemir: Rational spricht alles dafür, Cannabis für Erwachsene vernünftig zu regulieren. Das Verbot bindet nur Polizisten und Staatsanwälte, die wir dringend für anderes brauchen.

Und wenn Sie bei Ihren Kindern Hasch finden?

Dann reagiere ich wie jeder Vater und denke: Müssen die mir alles nachmachen, was ich in dem Alter getan habe? Wenn sie noch unter 18 sind, sage ich, Finger weg! Das gilt aber genauso für Alkohol und Zigaretten.

Wir kennen die Grünen eher als Verbotspartei.

Wir wollen nicht vorschreiben, wie jemand leben soll. Warum wirft niemand Union oder SPD vor, Verbotsparteien zu sein? Die schreiben vor, dass jemand seinen Abend nicht bei einem Joint verbringen darf.

Der Oberrealo

Diese Parteien wollten keinen Veggie Day.

Darum ging es nie. Richtig ist: Wir wollen Landwirtschaft und Lebensmittel gesünder machen. Unsere Aufgabe ist sicher nicht, den Leuten Kochrezepte vorzuschreiben.

Jetzt klingen Sie wie ein Liberaler. Wollen Sie tatsächlich um frühere FDP-Wähler werben?

Wer ein echter Öko ist, wird sich immer mal mit der Wirtschaft kloppen. Doch wir haben uns längst angenähert.

Was macht Sie da so sicher?

Der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie hat mir gesagt, er sei uns Umweltschützern für die Nerverei dankbar. So werde Deutschland innovativer. Als die Glühbirne abgeschafft wurde, jammerten alle. Das Licht ist auch dank deutscher LED-Lampen nicht ausgegangen.

Doch beim anstehenden Wirtschaftskongress Ihrer Partei fehlen noch größere Firmen.

Wir werden dort mit größeren und kleineren Unternehmen über Digitalisierung, fairen Wettbewerb, ökologische und soziale Herausforderungen diskutieren. Manche Konzerne schaffen Vielversprechendes. Nehmen wir BMW: Die sind mit den Elektroautos der i-Reihe ein hohes unternehmerisches Risiko eingegangen. Ich weiß, dass der Konzern Geld dafür mit dicken Autos verdient. BMW zeigt aber ökologische Innovationskraft. Wir werden mit CO2-Grenzwerten für Leitplanken sorgen.

"Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch"
Begleitet von rund 200 Sympathisanten zogen die Grünen vor 30 Jahren in den Bundestag ein. Unter ihnen waren die Abgeordneten Gert Bastian, Petra Kelly, Otto Schily und Marieluise Beck-Oberdorf (von links nach rechts). Der Bundestag war völlig unvorbereitet auf diese neue Art der Politik. Quelle: dpa
Zwei Tage nach dem 5,6-Prozent-Erfolg der Grünen bei der Wahl am 6. März 1983 kamen die 27 Abgeordneten erstmals zu einer Sitzung zusammen. Der Konferenzsaal des Abgeordnetenhauses am Bonner Tulpenfeld war viel zu eng. Auch Basisvertreter und Nachrücker waren dabei, nach zwei Jahren sollten die frisch gewählten Abgeordneten wieder aus dem Parlament hinausrotieren. Quelle: dpa
Trotz Ermahnungen der politisch Etablierten zu ordnungsgemäßer Kleidung dominierten Strickpullis und Zauselhaare. Nur eine weibliche Abgeordnete erschien mit Anzug und Krawatte. Einige brachten Strickzeug mit in den Bundestag, andere erschienen mit Blumentöpfen zur ersten Sitzung. Quelle: dpa
Auch Blumen gießen gehörte in den Anfangsjahren dazu – hier streng beobachtet von Otto Schily (rechts) und der amüsierten SPD-Politikerin Ingrid Matthäus-Maier. Über den fehlenden Platz für die Neuparlamentarier verhandelten die Grünen-Fraktionsvorständler Petra Kelly und Otto Schily sowie Fraktionsgeschäftsführer Joschka Fischer mit Bundestagspräsident Richard Stücklen. Die alteingesessenen Parteien zeigten sich skeptisch gegenüber den Neulingen. Helmut Kohl hielt die Grünen nur für eine zwischenzeitliche Episode. „Zwei Jahre gebe ich denen, dann gehen sie Mann für Mann zur SPD über“, sagte er. Quelle: dpa
Doch die Grünen blieben. Schon früh setzten die Grünen themenpolitische Akzente, mit der sie die ganze Republik umkrempelten. Sie sprachen sich nicht nur früh gegen Atomkraft und für den Umweltschutz aus, sondern forderten damals schon gleiche Rechte für Homosexuelle, eine multikulturelle Gesellschaft und die Abschaffung der Wehrpflicht ein – alles Themen, die bis heute auf der Agenda stehen. Waltraud Schoppe (Mitte) sorgte mit ihrer ersten Rede gar für Entsetzen. „Wir fordern Sie alle auf, den alltäglichen Sexismus in diesem Parlament einzustellen.“ Ein Satz, der ob der Sexismus-Debatte auch 30 Jahre später noch aktuell ist. Quelle: dpa
Zu den ersten Abgeordneten zählten auch Petra Kelly (links, mit Blumen) und Marieluise Beck-Oberdorf (rechts). „Auch wenn wir uns antiautoritär gaben, so hatte doch dieser altehrwürdige Plenarsaal etwas Respekt einflößendes“, sagte Beck-Oberdorf in einem Interview mit tageschau.de. Trotzdem habe es das Gefühl gegeben, man sei keine „normale“ Partei. Quelle: dpa
Grünen-Gründungsmitglied Kelly, hier mit dem damaligen SPD-Vorsitzenden Willy Brandt, gehörte zu den Ikonen der grünen Anfangsjahre. Sie prägte zum Beispiel den Ausdruck der „Anti-Parteien-Partei“ und der „Instandbesetzung des Bundestages“. Sie setzte sich besonders für Frieden und Menschenrechte ein. Noch mehr Beachtung als ihr Tun fand ihr Tod. Ihr Lebensgefährte und Mitstreiter Gert Bastian erschoss sie 1992 im Schlaf – und tötete sich selbst ebenfalls. Quelle: dpa

Die Grünen wollen die besten Freunde der Konzernchefs werden?

Nicht so schnell. Wenn Coca-Cola sich von Mehrwegflaschen verabschiedet, sind wir laut. Wenn Großbanken im Vergleich zu Sparkassen und Genossenschaftsbanken kaum Steuern zahlen, kritisieren wir das.

Sogar Finanzminister Schäuble will nun die kalte Progression angehen, die Lohnzuwächse auffrisst. Fordern Grüne Ähnliches?

Wenn man genau hinschaut, kommt bei Schäubles Vorschlag gar nicht so viel raus. Aber Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen sollte der Staat mehr Geld lassen. Spitzenverdiener können ruhig mehr als 42 Prozent zahlen.

Doch höhere Steuern? Kann der Staat nicht einfach mal besser haushalten?

Der Staat muss besser wirtschaften. Es muss aber auch drum gehen, untere und mittlere Einkommen spürbar zu entlasten. Da finde ich, dass sehr hohe Einkommen einen bescheidenen Beitrag leisten können. Steuern sind immer auch eine Gerechtigkeitsfrage. Konzerne wie Ikea, Google oder Apple zahlen so gut wie keine Steuern. Das geht nicht.

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