Grünen-Parteitag in Leipzig Die Wohlfühlpartei meidet ihre Widersprüche

Die Grünen: Eine Partei mit Widersprüchen Quelle: imago images

Die Ökopartei hat zwei Wahlerfolge eingefahren und präsentiert sich als potenzielle Regierungspartei, die die SPD ablöst. Spätestens dann aber würden die Widersprüchlichkeiten klar werden, die die Grünen prägen.

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Die Grünen stehen in den Umfragen ziemlich gut da. Sie dürfen sich zurzeit sogar über seltene Anerkennung von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, einem Ökopartei-Kritiker, freuen. Dobrindt hat diese Woche die Bayernwahl analysiert: Seine Christsozialen hätten nicht nur nach rechts in Richtung AfD verloren, sondern auch an die Grünen nach links. Die hätten mehr als nur ihre Kernwähler überzeugt, er grenzte diese kritisch als „Ideologie-Grüne“ ab. Die Sonnenblumenpartei habe eben auch viele Bürgerliche erreicht, das seien „Lebensgefühl-Grüne“, die das Gute wollten, aber ihren Lebensstil nicht unbedingt dafür änderten. „Denen müssen wir wieder ein Angebot machen“, forderte Dobrindt. „Klima- und Umweltschutz ist ja auch unser Kern“, postulierte er forsch. „Es geht um die Schöpfung.“ 

Bei der Wahl im Freistaat erreichte die Partei mit der Sonnenblume 17,5 Prozent, fast neun Punkte mehr als letztes Mal. In Hessen erzielte der kleine grüne Koalitionspartner der CDU ebenfalls ungewöhnliche 19,8 Prozent. 

Erfolg macht attraktiv, auch die Zahl der Mitglieder steigt bei der Partei, die von Freitagnachmittag bis Sonntag zu ihrem Parteitag in Leipzig zusammenkommt.

„Der Laden brummt, wir haben über 70.000 Mitglieder“, sagt Bundesgeschäftsführer Michael Kellner. Vor der Bundestagswahl im vergangenen Jahr hatten die Grünen mit 62.000 ein Allzeithoch bei der Mitgliederzahl gemeldet. Das Hauptthema für die knapp 850 Delegierten ist die Europawahl im Mai 2019. Sie verabschieden das Wahlprogramm und die Kandidatenliste der deutschen Grünen dafür. Die Fraktionschefin der Grünen-Fraktion im EU-Parlament, Ska Keller, soll die Liste anführen. 

Doch gute Botschaften für die Partei unter ihren noch recht neuen Chefs Annalena Baerbock und Robert Habeck verdecken, dass die Grünen auch deshalb auf einer Erfolgswelle reiten, weil sie das Lebensgefühl vieler Städter, vieler Jüngerer und vieler Frauen treffen. Habeck und Baerbock sind als Realpolitiker darauf bedacht, ihre Partei als regierungsbereit und als zweite, bürgerliche Kraft zu präsentieren, die die Sozialdemokraten ablösen könnte. Im Zweifelsfall mit der Union und dem dritten Partner FDP.    

So lange die Grünen im Bundestag kleinste Oppositionspartei sind, muss Führungsriege der Partei allerdings ihre zahlreichen Widersprüche kaum auflösen, die in einer Regierung zum Problem werden können. 

Beispiel Kohleausstieg: Hier leben die Grünen mit einem doppelten Widerspruch. Zum einen demonstrieren sie vorne mit im Hambacher Forst und gegen die Braunkohle. Allerdings haben sie als Regierende in NRW einst selbst der Rodung und dem weiteren Kohleabbau zugestimmt. Zum anderen fordern sie zwar einen schnellen Kohle-Ausstieg in Deutschland, doch bleiben Sie konkrete Antworten schuldig, wie dann in den nächsten Jahren eine verlässliche Energieversorgung zu konkurrenzfähigen Preisen funktionieren könnte. 

Beispiel Mobilität: Die Grünen profilieren sich als Vordenker für umweltfreundliche wie vernetzte Mobilität. Doch die grün geführte Landesregierung in Baden-Württemberg zeigt, wie wenig sie bei der Umsetzung vorankommt, weil sie das eben gemeinsam mit der wirtschaftlich dominierenden Autoindustrie schaffen muss. 

Beispiel Flüchtlinge: Zwar setzt sich auch in der Alternativpartei die Einsicht durch, dass die Integration vieler Zuwanderer schwierig ist und klarer Regeln bedarf. Dennoch verhindern Regierungen mit grüner Beteiligung ebensolche strikteren Regeln beim Umgang mit Straftätern oder mit Zugewanderten, die kein Bleiberecht haben. 
Beispiel Klimaschutz: Sogar beim Kernthema der Nachhaltigkeitspartei zeigen sich Widersprüche, die sich nur auflösen ließen, indem Wähler vergrault werden. Ein Großteil der neuen Wähler, die CSU-Mann Dobrindt „Lebensgefühl-Grüne“ nennt, schadet mit dem eigenen Lebensstil dem Klima mehr als andere Gruppen in der Gesellschaft – etwa durch häufigere Flugreisen und höheren Konsum. 

All das wird in Leipzig wohl nur am Rande zur Sprache kommen. Allerdings könnte das Regieren und das Angehen der Widersprüche bei den Grünen schneller anstehen als geplant. Durch den Verzicht von Kanzlerin Angela Merkel auf den CDU-Vorsitz mag bei Union und SPD kaum einer vorhersagen, wie lange die vor sich hin rumpelnde Bundesregierung noch bestehen wird.

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